An einer Pinnwand, wo ich Kuriosa aufbewahre, hängt ein älterer Ausdruck aus der online-Version vom „Hamburger Abendblatt“. Es geht da um die Fahndung nach einem 27-Jährigen, der an einer Tankstelle der Hansestadt mit einer 9mm-Pistole mehrfach auf drei Männer geschossen hatte, später auch in eine für gewöhnlich belebte Straße hinein schoss, in welche die Männer per Auto flüchteten. Der 25 Zeilen lange Bericht erwähnt drei Mal, es handele sich bei dem Gesuchten um einen Deutschen.
Typisch deutsch sieht er auf dem abgedruckten Fahndungsfoto der Polizei nicht direkt aus, und sein Name (Nikbakht Shasavand) klingt auch etwas ungewöhnlich. Aber egal. Seine Staatsbürgerschaft ist mutmaßlich eine deutsche, und somit war das Abendblatt aus dem Schneider. Foto und Name gedruckt, wie von der Polizeipressestelle gewünscht, und dennoch keine fiese braune Hetze gegen Migranten abgeliefert – vorbildlich gelöst.
Man muss wissen, dass in Hamburgs nordfrischer Luft öfters Blei herumfliegt. Auch blitzen vor Discos, auf dem Kiez, in S- und U-Bahnhöfen, auf Rummelplätzen sowie bei vielköpfigen „Familienfeiern“ nicht selten Messerklingen auf. Es gibt dann viel Tatü-Tata im Großstadtrevier und die Notärzte haben was zu tun. Die meisten der mutmaßlichen Tatbeteiligten heißen deutlich anders als Maik, Malte-Thorben oder so, was von Teilen der Stadtbevölkerung ungut vermerkt wird. Schön also, wenn auch mal Deutsche unter den Tätern sind.
Auf „Spiegel online“ erschien neulich ein Stück über eine neunköpfige „britische Sexgang“ (O-Ton SpOn), die in London vor Gericht steht. Ihre Mitglieder sollen jahrelang Mädchen aus prekären Verhältnissen – einige zur Zeit der mutmaßlichen Taten noch Kinder - als Sexsklavinnen gehalten haben.
Ein mutmaßliches Opfer gibt an, sein „mutmaßlicher Peiniger“ (SpOn) habe ihm den ersten Buchstaben seines Vornamens mit einem heißen Draht ins Gesäß gebrannt: M wie Mohammed. Damit die anderen aus der Bang-Gang, die das Mädchen vergewaltigen durften, die Besitzanzeige des Eigentümers nicht vergaßen. Es sei damals 12 Jahre alt gewesen, behauptet das Mädchen.
Nun ist Mohammed im heutigen Großbritannien ein geläufiger Name, aber neugierig macht er schon. Wie wohl die anderen angeklagten Briten aus der mutmaßlichen britischen Sexgang heißen? Auf SpOn ist darüber erfreulicherweise nichts zu erfahren, wohl aber im Londoner „Guardian“. Es handelt sich, verrät das linke Blatt ohne lange zu mutmaßen, um Kamar Jamil, Akhtar Dogar, Anjum Dogar, Assad Hussain, Mohammed Karrar, Bassam Karrar, Mohammed Hussain, Zeeshan Ahmed und Bilal Ahmed. Der Guardian veröffentlicht dazu auch noch eine Zeichnung aus der Verhandlung (fehlt bei SpOn zum Glück), welche neun Männer auf der Anklagebank von Old Bailey zeigt. Bei einem Casting für die beliebte britische TV-Serie „Inspector Barnaby“, würden sie, nun ja, mutmaßlich durchfallen.
Skandal. Da werden Menschen vorverurteilt und an den Pranger gestellt. Praktisch gebrandmarkt! Und das im Vereinigten Königreich, einst ein Bollwerk der Bürgerrechte. Lieber Guardian, so war das mit deinem Wächteramt nicht gemeint! Nimm dir am Spiegel ein Beispiel, wie man eine hintergrundreiche Story behutsam eintütet, ohne die Leser gleich gegen Migranten rassistisch aufzuwiegeln. Oder am Hamburger Abendblatt, dem immerhin britische Besatzer nach dem Krieg eine Drucklizenz erteilten.
Das Abendblatt-Motto, 1948 ersonnen vom Verleger Axel Springer, lautet bis auf den heutigen Tag: Seid nett zueinander!
Wir, Guardian, haben verstanden. Wir.
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/vergewaltigungsprozess-neun-maenner-in-london-angeklagt-a-885165.html
http://www.guardian.co.uk/society/2013/feb/22/oxford-child-abuse-trial-branded/print