Wolfgang Röhl / 17.10.2008 / 13:40 / 0 / Seite ausdrucken

7 Tage, keine Köpfe. Die einwöchige Debatte um “Qualität im Fernsehen”

Es riecht ziemlich streng aus dem Fass, das der Poltergeist mit der Debatte über „Qualität im Fernsehen“ aufgemacht hat. Je tiefer man die Nase rein steckt, desto unangenehmer wird der Geruch. Altmännerschweiß und Boulevardnuttenparfüm mischen sich da mit dem Mief, der im Inneren von Glashäusern herrscht, aus denen jede Menge Steine geschmissen werden. Ein richtig unangenehmes Odeur strömt einem da entgegen; so, als öffne man ein Fass mit Surströmming, eingelegtem Hering…

Zur Chronologie: den ersten Stein warf der Literaturpapst in Rente vor einer Woche bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises. Das hatte auch damit zu tun, dass es Reich-Ranicki zuletzt stark an einem Forum gebrach. Sein zeitweise ganz unterhaltsames Literarisches Quartett hatte sich schon vor Jahren überlebt, dank der Penetranz der Hauptfigur, die man nur ein Weilchen ertragen kann. Dass Reich mit der eigenen Büchersendung seinerzeit so etwas wie Hochkultur veranstaltet hätte, wird niemand ernstlich behaupten wollen. Das Quartett war immer Slapstick, wie „7 Tage 7 Köpfe“ auf RTL, und lebte von Kaspern wie dem kriecherisch-vorlauten Karasek, der vom Meister alle Naslang was mit der Latte auf die Platte bekam, sowie von der altjüngferlich-humorlosen Schachtel Löffler, die bei jedem Sexschmöker einen Anfall kriegte. Das war Unterhaltung! Aber mehr auch nicht. 

Den zweiten Einwurf direkt aus dem Glashaus machte „Bild“, die als erste das Thema als Dauerbrenner erkannt hatte. Fernsehen ist wie Fußball; jeder hat eine Meinung dazu und kräht sie gerne heraus. Dass aber ausgerechnet Bild, das Qualitätsblatt für die gehobenen Geschmäcker, den ollen Reich huckepack nahm, aus der Fast-Versenkung ans Licht der Öffentlichkeit zerrte und ihn zum weisen alten Indianer verklärte, der „uns“ die ungeschminkte Wahrheit über „das“ Fernsehen einschenkt – das hatte denn doch was Ur-, wenn nicht Saukomisches. Dass die Feuilletons auf diesen Sums reihenweise reinfielen und ins gleiche Horn tröteten, erst recht.

Wie die Debatte nun läuft, ist sie vollends von der Rolle geraten. Der Streit über „hohes“ und „niedriges“ Niveau im Fernsehen, was soll er? Leute wie Reich und jene, die er mit Hilfe seines Kurators Diekmann erfolgreich aufgewiegelt hat, nehmen offenbar an, das Problem beim öffentlich-rechtlichen Bezahlfernsehen (was die Privaten treiben, geht niemanden etwas an, da niemand für sie aufkommen muss) sei das bekannte Ausmaß an Volksmusikgedudel, Dummspaß, Quizstumpfsinn und Castingquatsch. Anders gesagt, wenn man den Wildwuchs von Hinterseer und Pilawa und Kerner und Ina Müller und wen auch immer zurückschneiden und durch noch mehr Politikerverlautbarungen, Nachrichten, Kommentare, Polittalkshows, Tendenzmagazine, Subkultursendungen, Elendsreportagen, durch noch mehr Unternehmerschelte, Neiddiskussionen, Bayern-, Bush- und Energiekonzernbashing ersetzen würde, wäre das TV-Niveau schlagartig geliftet. Erst recht natürlich, wenn man auf möglichst allen Kanälen Sendungen mit MRR ausstrahlte, dem Elder bloedman der Nation.

Was die laufende Diskussion überdeckt, ist der Kern der Malaise. In Großbritannien wird das Elend des Staatsfunks - dort die jahrzehntelang als ehrlicher Makler hoch geschätzte Tante BBC - längst öffentlich verhandelt. Die Vorwürfe an die Redakteure und Chefs der BBC bündeln sich im Begriff „Bias“, Voreingenommenheit. In der BBC gibt es, genau wie bei ARD und ZDF, eine zunehmende Ideologisierung von Programminhalten. Etwa ein Hochspielen von Problemen, die wirklich oder vermeintlich Benachteiligte und Randgruppen jedweder Art erleiden und bejammern, bei gleichzeitigem Klein- und Schönreden von Fehlentwicklungen wie einer ausufernden Anspruchsmentalität, importierter Kriminalität, wuchernden Parallelgesellschaften, systematischem Abbau von Leistungskriterien an öffentlichen Schulen etc. Die britische Schieflage ist deckungsgleich mit der deutschen. Nur hat sich in Deutschland noch keine Kommission gebildet, die Korrekturen bei ARD und ZDF anmahnt, wie im Königreich bei der BBC.

Gänzlich grotesk wird die Informationspolitik von ARD und ZDF bei Themen, die beide Sender mit missionarischem Kampagneneifer verfolgen, etwa die Klimaerwärmung. So gut wie keine kritische Stimme dringt da mehr durch den Betroffenheitschor. Nur die üblichen Angsttrompeter, Untergangspropheten und Ablasszettel-Ausgeber haben das Sagen. Und was, bitte,  taugt ein ständig von Demokratie schwadronierendes Fernsehen, in dessen Talkshows zwar niemals Rechtsextreme geladen werden, wo sich aber die feixenden Erben der SED-Diktatur die Klinke in die Hand geben?

Das sind die Punkte, über die es sich zu reden lohnt, nicht der läppische Streit über Unterhaltungskrempel. Wenn Reich heute Abend bei Gottschalk sein von ihm lang ersehntes Comeback hat, wird von allem Möglichen die Rede sein.

Bloß nicht vom Wesentlichen.

 

 

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