Endlich wird Tacheles geredet – drei Jahre nach dem Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin mit zwölf Toten. Das Web-Magazin schreibt: „Ein Polizist versetzt mit seiner Zeugenaussage den Bundestag in Aufruhr. Er ist bis heute wütend – weil ein Informant, der schon früh auf die Gefährlichkeit des späteren Attentäters hinwies, aus seiner Sicht damals nicht ernst genug genommen wurde.“ Die Vorwürfe aus NRW richten sich an das Bundesinnenministerium, das Bundeskriminalamt und die Berliner Polizei. „Ein Kriminalhauptkommissar, der am Donnerstag im Bundestag als Zeuge befragt wurde, sagte, ein Beamter des Bundeskriminalamtes (BKA) habe ihm am Rande einer Besprechung beim Generalbundesanwalt am 23. Februar 2016 gesagt, der Informant des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamtes, der damals auf die Gefährlichkeit des späteren Attentäters Anis Amri hingewiesen habe, ‚mache zu viel Arbeit‘. Diese Auffassung werde auch von ‚ganz oben‘ vertreten … Er sei nach diesem Gespräch ‚konsterniert und geschockt‘ gewesen und habe darüber auch direkt im Anschluss mit zwei Staatsanwälten gesprochen.“ Der Informant sei „absolut glaubwürdig“.
Es dürfte unstrittig sein, dass es sich dabei um strafrechtlich relevante Unterlassung handelt. Besonders pikant: Die „Vereinigung 17. Juni 1953“ in Berlin hat Ende Dezember 2016 bei der Staatsanwaltschaft in Moabit Anzeige gegen Unbekannt wegen strafwürdiger Unterlassung erstattet: Die Behörden hätten gewusst, dass Anis Amri einen Anschlag verüben wollte. Bei investigativ.de bei der Welt klingt das ähnlich: „Die Ermittler in Nordrhein-Westfalen hatten Zugang zu Amris Telegram-Chats. Sie wussten daher von seinen Kontakten zu IS-Terroristen in Libyen. Und vom Wunsch, einen Anschlag in Deutschland zu begehen.“ In der Anzeige heißt es weiter: „Mithin haben sich diverse, derzeit unbekannte Personen der Unterlassung schuldig gemacht und haben insofern den Tod von Menschen inkauf genommen“, indem sie ihre „Handlungspflicht gröblich verletzt“ hätten. Der Fortgang der Anzeige ist hier festgehalten.
Die Anzeige des Vereins wurde zurückgewiesen, woraufhin dieser beim Generalstaatsanwalt in Berlin Beschwerde gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft vom 17.01.2017 einlegte und beantragte, entsprechende Ermittlungen aufzunehmen. Die Generalstaatsanwaltschaft wies die Beschwerde ab. Eine der Begründungen: „Bloße Vermutungen und Möglichkeiten begründen noch keinen Anfangsverdacht.“ Der Verein dazu: „Wenn hier unserer Strafanzeige keine konkreten Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat entnommen werden konnten, sieht das aus unserer Sicht eher nach einer tatsächlichen zusätzlichen Vernebelung von Verantwortlichkeiten unter Anwendung formaler Juristerei aus … Resignierend teilte der Vorstand mit, dass ‚unsere Mittel leider nicht ausreichen, eine entsprechend ausgestattete Kanzlei mit der Wahrnehmung des Interesses an einer sauberen und zweifelsfreien rechtlichen Beurteilung‘ zu beauftragen.“
Später noch entdeckt: Zwei Meldungen bei „Heute im Bundestag“: "Anis Amri hat durch die Offenherzigkeit, mit der [er] im Kreis Gleichgesinnter über Terrorabsichten redete, auch die mit ihm befassten Ermittler überrascht. Dies berichtete eine Oberkommissarin aus dem nordrhein-westfälischen Landeskriminalamt am Donnerstag dem 1. Untersuchungsausschuss ... Ende November berichtete der Informant, Amri habe im Kreis seiner Gesinnungsgenossen geprahlt, er könne jederzeit Kalaschnikow-Schnellfeuergewehre beschaffen, um in Deutschland einen Anschlag zu verüben. Diese Äußerung sei 'schon sehr prägnant' gewesen ... Warum damals nicht schon ein eigenes Ermittlungsverfahren gegen Amri eingeleitet wurde, könne sie freilich nicht beurteilen." Quellen direkt aus dem Bundestag: Hier die erste Meldung und dort die zweite.
Nachtrag vom 16.11.2019
Beim General-Anzeiger heißt es: "Der von M. angegebene BKA-Beamte versichere, dass er die behaupteten Äußerungen weder dem Wortlaut noch dem Sinn nach getätigt habe. Somit steht nun Aussage gegen Aussage, es war ein Vier-Augen-Gespräch, weitere Zeugen gibt es nicht. Auch Beteiligung oder Mitwissen des damaligen Ministers wird dementiert. Es sei auszuschließen, dass de Maizière oder BKA entsprechende Weisungen erteilt hätten." M.'s Vorgesetzte solle jetzt vom Untersuchungsausschuss vorgeladen werden.
Die Zeit schreibt: Nach widersprüchlichen Aussagen von Mitarbeitern des BKA und NRW-LKA verwies die SPD auf strafrechtliche Konsequenzen. Die Widersprüche müsse der Ausschuss nun klären, denn "jemand lügt".
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Susanne Baumstarks Blog Luftwurzel.