Manfred Haferburg / 24.12.2019 / 06:27 / Foto: Pixabay / 36 / Seite ausdrucken

Wie geht es eigentlich der Notre Dame von Paris?

Heiligabend. Seit Jahren gingen meine Frau und ich – beide strenggläubige Agnostiker verschiedener Konfessionen – zum Weihnachtsfest gerne zur Mitternachtsmesse in die Kathedrale Notre Dame de Paris. Es ist für uns ein langer, aber sehr besinnlicher Spaziergang entlang der nächtlichen Seine durch die weihnachtlich geschmückte Stadt, hin zu einer der wunderbarsten Kathedralen der Welt. Diese Weihnachtsandacht kann leider in diesem Jahr nicht stattfinden und wohl auch nicht in den nächsten Jahren. Aber vielleicht ja im Jahre 2025?

Am 15. April 2019 gegen 19:00 stand der uralte Eichen-Dachstuhl der Kathedrale Notre Dame de Paris in hellen Flammen. Man nannte den Dachstuhl „la forét“ – „den Wald“, weil er aus 1300 Eichenbalken aus dem 12. Jahrhundert bestand – jeder stammte von einem anderen Baum. 

Um 19:15 stürzte das mit 96 Meter höchste Teil der Kirche, der „Vierungsturm“ - genannt „la Fléche“ - in sich zusammen, begleitet von einem kollektiven Aufstöhnen der Menge. Weinend mussten die Franzosen mit ansehen, wie ein Teil ihres Weltkulturerbes, ein Teil ihres Herzens in Flammen aufging. Nicht nur Frankreich, die halbe Welt hielt den Atem an.

Wenige Wochen vor dem Brand hatten Restaurierungsarbeiten am Spitzturm und Dach begonnen. Das Budget dafür betrug 150 Millionen Euro. Im Bereich der Vierung des Daches war ein großes Gerüst errichtet worden, aus tausenden Stahlrohren, 300 Tonnen schwer. Steigleitungen für Löschwasser hatte man nicht vorgesehen. Am 15. April nach 17:00 Uhr verließen die Arbeiter wie gewöhnlich das Gerüst. 

Die Besetzung der Brandwache auf eine Person reduziert

In der Kirche wurde zu dieser Zeit eine Messe zelebriert. Die Touristen verließen nach und nach die Kirche, nur noch die Gläubigen blieben bei ihrer Feier.

Im Inneren des Daches der Notre Dame gab es aus Brandschutzgründen keine elektrische Anlage. Wohl aber gab es eine Brandwarnanlage, bestehend aus vielen Brandmeldern, die in einem zentralen Kontrollraum in Vollzeit überwacht wurden. Man hatte allerdings die Besetzung der Brandwache auf eine Person reduziert. Als um 18:20 ein Warnmelder auslöste, konnte der laut französischer Medien nur mangelhaft ausgebildete Brandwächter keinen Brandherd finden, da er angeblich zur falschen Stelle lief. 18:43 wurde ein zweiter Alarm ausgelöst und ein Feuer wurde entdeckt. 

Die Kirche wurde unmittelbar darauf evakuiert. Nach wenigen Minuten trafen die ersten Feuerwehrleute ein, die sich mit ihrer Ausrüstung allerdings erst durch den Turm zum Feuer nach oben begeben mussten, was mit Schlauch über eine Wendeltreppe auch ein paar Minuten dauerte. Nach und nach traf die schwere Technik der Feuerwehr ein und ein aussichtsloser Kampf gegen die lodernden Flammen des Dachstuhles begann. Es dauerte eine halbe Stunde, bis auch die riesigen Feuerlösch-Hebebühnen die Brandbekämpfung aufnehmen konnten. 

600 Feuerwehrleute kämpften mit 70 Feuerwehrfahrzeugen, zwei Löschbooten mit Tauchpumpen, Hubschraubern, Drohnen und ferngesteuerten Löschrobotern bis zum Morgen gegen das Feuer. Sie konnten die vollständige Zerstörung des Daches nicht verhindern. Das Blei der Dachplatten schmolz in der Hitze und flüssige Bleikaskaden ergossen sich wie Lava aus den Schlünden der Speier, zu denen Quasimodo einst sagte: „Ach wäre ich doch von Stein, wie Du“. 

Weinend, betend und singend

Während die Feuerwehleute unter Einsatz ihres Lebens um das Monument kämpfen, harren tausende Franzosen weinend, betend und singend die ganze Nacht an den weiträumigen Absperrungen aus. Man hat sogar die Häuser in der unmittelbaren Umgebung evakuiert, weil man zeitweise den Einsturz der mächtigen Kathedrale befürchtete. Gegen 5:00 Uhr morgens konnte der Einsatzleiter der Feuerwehr verkünden, dass der Brand gelöscht sei und die Gebäudestruktur trotz Hitze und vieler Trümmerschäden weitgehend intakt sei. 

Der Dachstuhl des Kirchenschiffes wurde vollständig zerstört. Ein Kreuzgewölbe des Kirchenschiffs stürzte ein. Viele Trümmer, Staub, Asche, Ruß und Wasser verwandelten auch das Innere der Kirche in ein Bild des Schreckens.

Es gab aber auch einige gute Nachrichten. Die zauberschöne Statue der Jungfrau Maria mit dem Kinde aus dem 14. Jahrhundert, die der Kathedrale ihren Namen gab, blieb wie durch ein Wunder unbeschädigt – obwohl nur einen Meter von ihr die Steine der Deckentrümmer auf den Marmorfußboden krachten. Auch die unschätzbare Dornenkrone Jesu konnte zwischen herabfallender Asche und Glutnestern von Feuerwehrleuten und dem Kunstintendanten der Kirche gerettet werden. Da hat wohl der liebe Gott seinen dicken Daumen dazwischen gehalten. Auch der Altar und die große Orgel wurden nicht von den Flammen oder herabstürzenden Teilen beschädigt. Die Orgel braucht aber wegen der Asche und wegen des eingedrungenen Wassers dringend eine Renovierung.

Die überlebensgroßen Statuen der 12 Apostel und die der vier Evangelisten, die den Vierungsturm zierten, blieben unbeschädigt. Man hatte sie wenige Tage zuvor für Restaurierungsarbeiten abgebaut und weggebracht. Neunzig Prozent der Kunstwerke und Reliquien konnten unbeschadet gerettet werden.

Wie sieht es heute im Inneren der Notre Dame aus? Hier darf noch kein normal Sterblicher rein. Ein einziger kurzer symbolischer Gottesdienst mit ein paar Auserwählten wurde mit weißen Bauhelmen abgehalten. Lustig, auch der Bischof trug einen Bauhelm über seiner Soutane. 

Die Fensterrose in der Westfassade ist unbeschädigt

Die Ascheschicht und die Trümmer im Inneren sind beseitigt, der Marmorboden glänzt wieder wie einst. Auf einer Seite haben ein paar Säulen des Kirchenschiffs ein Korsett bekommen. Die Jungfrau Maria ist von ihrer Säule in eine schützende Holzkonstruktion geflohen. Das Schönste aber ist, dass die weltberühmte große Fensterrose in der Westfassade unbeschädigt ist, was zugegebenermaßen an ein weiteres Wunder grenzt.

Auch von außen kommt der normal Sterbliche nicht mehr so richtig nahe an die Notre Dame heran. Das Dach hat zwei große Holzkonstruktionen bekommen, die je ein flaches provisorisches Dach aus weißen Planen tragen, damit kein Wasser eindringen kann. Die außenliegenden Stützrippen, die das Gebäude optisch so besonders machen – sie werden Strebewerke genannt – haben jede einzelne eine stützende Holzkonstruktion bekommen.

Oben auf dem Dach sieht man das größte Problem: das riesige Baugerüst. Die tausenden Stangen und Verbinder sind in der Mitte teilweise geschmolzen und lassen sich nicht mehr normal lösen. Es bestand die Gefahr, dass das Gerüst einstürzt und mit seinem Gewicht einen weiteren Riesenschaden am Gebäude anrichtet. Derzeit wird unter das Gerüst eine Stahlträgerkonstruktion gebaut, die das Gewicht des Gerüsts bei seiner Demontage abfangen soll. Das ist nicht so ganz trivial – in 60 Meter Höhe. 

Es wird allerorten fleißig gearbeitet an der Wiederherstellung unserer schönen Dame von Paris. Die Kathedrale gehört offiziell dem Staat Frankreich und war daher nicht versichert. Der Vatikan hat ausgeschlossen, für die Kosten aufzukommen. Doch es stehen genügend Milliarden aus Spenden bereit.

Es ist noch nicht entschieden, ob das neue Dach wieder auf einer Eichenkonstruktion ruhen wird. An den Eichenbalken sollte es nicht scheitern, haben doch französische Waldbesitzer schon 1500 Eichen als Spende angeboten. Vielleich baut man aber auch eine Stahlkonstruktion, oder es kommen Spannbetonteile wie in der Kathedrale von Reims zum Einsatz. Auf jeden Fall soll es keine „Modernisierung“ geben – hat Macron gesagt und einen Architektenwettbewerb ausgelobt. 

Eine offizielle Brandursache wurde bisher nicht veröffentlicht

Sieben Monate sind seit dem Brand vergangen; Offiziell arbeiten 50 Ermittler der Pariser Staatsanwaltschaft daran, die Ursache des Brandes herauszufinden. Es werden Ermittlungen wegen fahrlässiger Brandstiftung geführt. Eine offizielle Brandursache wurde bisher nicht veröffentlicht. Man hört Meldungen über einen Kurzschluss oder eine weggeworfene Zigarettenkippe als Brandursache. 

Bis zum Wiederaufbau der Kathedrale dient nun die Kirche St.-Sulpice den Gläubigen als Ersatz. Interessant ist, dass diese Kirche vier Wochen vor dem Brand der Notre Dame ebenfalls nur knapp einer Katastrophe entging. Während eines Orgelkonzerts hatte jemand einen Lumpenhaufen im Eingang angezündet, der die Tür aus dem 18. Jahrhundert zerstörte. Der Brand wurde rechtzeitig entdeckt und es wurde niemand verletzt. Der Täter konnte nicht gefunden werden. Das Ereignis reiht sich in eine ganze Reihe von Kirchenschändungen im Vorfeld des Brandes der Notre Dame ein. 

Noch eine winzige Anekdote zum Schluss. Sicher ist der Gallische Hahn als Symbol des französischen Volkes jedermann bekannt? Ganz böse Zungen behaupten, der Gallische Hahn stünde bis zum Bauch im Mist und würde den ganzen Tag nur krähen. Doch was hat diese kleine teutonische Bosheit mit dem Brand der Notre Dame zu tun?

Oben in 96 Meter Höhe auf dem schlanken Vierungsturm prangte an einer langen Stange ein großer Gallischer Hahn über der Stadt Paris, bestehend aus mit Grünspan überzogenem Metall. Als der Turm im lodernden Flammenmeer einstürzte, waren alle sicher – der ist verloren, eingeschmolzen, Drops gelutscht, Kater gekämmt. Zwei Tage später fand man den Hahn auf einer Terrasse liegend, reichlich verbeult zwar, doch noch zu retten. Ist der Gallische Hahn unkaputtbar? 

Wenn das nicht einen Symbolwert hat, zu Zeiten des Generalstreiks in Frankreich, was dann?

Foto: Pixabay

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Ilona Grimm / 24.12.2019

Zwar bin ich kein Baumeister oder Zimmermann, aber ich habe selber einmal ausprobiert, mit Hilfe einer brennenden Kerze ein übrig gebliebenes Stück vom Firstbalken in Brand zu setzen. (Ich habe Angst vor Blitzeinschlägen und Feuer…). Es ist mir nicht gelungen. An die wundersame Entzündung durch einen Kurzschluss, wo es gar keine elektrischen Leitungen gab, oder liegen gebliebene brennende Zigaretten habe ich nie geglaubt. Ein deutliches Indiz dafür, wie der verheerende Brand wirklich entstanden ist, ist das dröhnende Schweigen der Regierung. Auch die von @N.Reher erwähnten zerstörten Wegkreuze und Kapellen und alle anderen Schändungen christlicher Stätten werden tot geschwiegen. Damit es für uns alle leichter wird, das Zusammenleben täglich neu auszuhandeln (Aydan Özoguz, SPD). Doch wenn Kirchen nur noch Kulturdenkmäler sind, darf sich niemand wundern, wenn sie von Barbaren geschändet weden. Weiß abseits der wenigen wirklichen Christen überhaupt noch jemand im Westen, warum Weihnachten gefeiert wird?

Bert Busch / 24.12.2019

Notre Dame…ja, ich erinnere mich. Ja, natürlich! Das laizistische und auch streng-atheistisch-gläubige Frankreich (und mit ihm das restliche Europa) hielt einen Moment inne und ward gewahr, dass es eventuell mehr um uns her geben könnte, als uns das alltägliche Framing weismachen möchte. Der Kulturkampf ist in vollem Gange, wir wissen es , sie wissen es. Lasst uns Atem schöpfen in den Weihnachtstagen und Kraft aus der Höhe; beides werden wir noch brauchen. Und an den Autoren: vom beobachtenden Agnostiker, der solch eine Kirche vor Augen hat, zu einem zuversichtlich-gelassenen Christenmenschen kann es doch wirklich kein weiter Weg mehr sein. Allen eine frohe und gesegnete Weihnachtszeit!

Ines Hildebrand / 24.12.2019

Sehr geehrter Herr Haferburg, herzlichen Dank für diesen wunderbaren Weihnachtstext - ich wünsche Ihnen, allen Autoren und Kommentatoren der Achse ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein hoffnungsvolles, gutes Neues Jahr. Es hat richtig gut getan über diese wunderschöne Kirche, in der wir “zufällig” einen Gottesdienst erleben durften, zu lesen, was im Stillen vor sich geht. Für alle Verantwortlichen, auch die meinen, sie wären es nicht, gilt: Die Rechnung kommt zum Schluss.

Robert Jankowski / 24.12.2019

Ein Schreinermeister, der in Bayern auch mit alten Kirchen zu tun hat, meinte, dass so alte Kirchendachstühle quasi unbrennbar sind. Sie entwickeln mit der Zeit eine Art Imprägnierung gegen Schädigungen von Außen. Auf Youtube gibt es ebenfalls ein entspeechendes Video dazu. Wieviele Kirchen müssen noch brennen, damit Leute wie Habeck endlich mit dem Import von Islamisten aufhören? @N.Reher: warum bloß werden über solche Vorkommnisse keinerlei Berichte gebracht?! Vielleicht, weil man befürchtet, dass sich die Deutschen irgenwann beginnen zu wehren? Die Rolle der Kirchen dabei erscheint mir auch immer verlogener.

Michael Hinz / 24.12.2019

Der vergessene Zusammnehang zwischen Kultur, egal ob französischer oder deutscher, und Militarismus: Der Vasall gelobte dem Lehnsherrn Treue und ‘Den Zehnten’ solange dieser garantierte, den Feind nicht ins Land zu lassen. Sicher, der Militarismus verselbständigte sich zu seiner eigenen Karikatur, doch Kultur und Kulturgüter blieben unangetastet.

Wolfgang Kaufmann / 24.12.2019

Die lothringische Baufirma hat ja quasi schon eingestanden, dass die ausländischen Arbeiter nicht bereit waren, für jede Rauchpause auf den Boden hinunterzusteigen. Ein echter Franzose hingegen wäre nie bereit gewesen, zwischen zwei Zigarettenpausen auf das Gerüst zu steigen. Zum Streiken vielleicht, aber zum Arbeiten niemals.

Norbert Rahm / 24.12.2019

Frohe Weihnachten, Herr Haferburg! Weihnachten mit Osterflair in Paris, das hat sicher was. Die Aufklärung des Brands von Notre Dame wird verschleppt, sie würde wohl, wie man in Deutschland sagen würde, von Rechten “instrumentalisiert” werden. Und das Fass zum Überlaufen bringen? Unsere Öffentlich-Rechtschaffenen Medien stellen die gemeine Gelbweste gerne als hirnloses Monster dar und halten sich sonst mit Berichten aus Frankreich zurück. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Es ist wohl in der Tat wieder an den Franzosen, ihre Obrigkeit abzusetzen. Vielleicht diesmal nur im übertragenen Sinne Kopf ab. Der Deutsche, ich erinnere mich da gerne an Heinrich Mann und sein Buch “Der Untertan”, er liegt so gerne auf Linie und ist davon auch inbrünstig überzeugt. Bis auf die Sachsen. Auch das ist historisch verbürgt.

Eugen Karl / 24.12.2019

Wer durch eine “weggeworfene Zigarettenkippe” einen hunderte Jahre alten Eichendachstuhl zum Brennen bringen kann, der hat das Zeug dazu, Ehrenbürger von Schilda zu werden.

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