Ein Journalist kennt den Stil der eigenen Kollegen ganz genau. Und wenn ein Journalist einen echten Verdacht hat, dann sucht er im Text akribisch nach Bestätigung seiner Vermutung und findet auch die Fehler. Angeblich waren “singende Kinder” so ein bemühtes Bild des Herrn Relotius. Moreno hat sich vermutlich bei singenden Kindern und ähnlichen wiederkehrenden Relotius-Stereotypen lachend auf die Schenkel geklopft. Aber wozu zum Chef gehen und sich eine blutige Nase holen? Lass den Kollegen doch weiterlügen. Haarig wurde es für Moreno erst, als sein eigener Name betroffen war. Den wollte er nicht versauen. Erst da wird ein Journalist aktiv. Vorher doch nicht. Bringt doch nichts. Zudem hatten die Amerikaner schon durchgeladen. Wie praktisch! Gewusst hat es Moreno schon lange, da bin ich sicher.
Wenn ein Psychologieprofessor und Sachverständiger das fragwürdige Verhalten eines Tatverdächtigenn beschreiben soll, das ein kluger Bauer durch Nachdenken genauso sicher kann, dann benutzt er Beschreibungen, wie: “wahrscheinlich unscharfe emotionale Etikettierung ( was ist das denn? ) eines Gedankens ... (und ) ...basiert eine solche Konditionierung auf einem organischen Substrat .... dauerhafte Verknüpfung ” u. Ä. Das iWortgeklingel hört sich ja fast analog zu Relotius’ Texten an. Diese Unsitte unangebrachter Beschreibungen, durch die kein Mensch klüger wird, scheint es neben dem Journalismus genauso in den Wissenschaften schon immer zu geben. Also , lieber Herr Professor Meins, kommen Sie den einfachen Menschen mal entgegen und drücken Sie sich einfach aus.
Herzhaft gelacht - wenn auch mit sehr bitterem Beigeschmack - habe ich bei Lektüre der SPIEGEL-Reportage über Chemnitz an der Stelle, wo es um den Auslöser für den Mord an Hillig ging: ” Einer meint, es sei um ein Feuerzeug gegangen. Ein anderer, jemand habe eine EC-Karte haben wollen, womöglich um eine Linie Kokain zu ziehen. Am Ende liegt Hillig am Boden, einer der fünf Messerstiche hat seinen Herzbeutel getroffen, die Lunge ist verletzt…” Also ich benutze meine EC-Karte fast ausschließlich zum Geld abheben. Ok, ich kokse nicht.
Ich habe den nach Außen noch goldgelb leuchtenden, aber innerlich verfaulten Kürbis entfernt. Zu meinem Leidwesen und was mich besonders betrübt zum Leidwesen meiner Nachbarn, stinkt der Misthaufen immer noch.
Jeder rümpft die Nase über die bekannten 3-Groschenromane. Diese Hefte beim Zeitungshändler wie “Jerry Cotten jagt den Unhold” oder “John Kling der Rächer der Enterbten”. Alle Fiktion, alle Märchen, alle reine und dazu auch schlechte Fantasie aus den Satzbaukästen der passen Programme aus dem Computer per Kopieren und Einfügen als Massenschund gedruckt. Und trotzdem, an irgend jemanden und in ausreichender Zahl werden die gekauft und gelesen. Bei den sog. Frauenromane nicht anders. Also, warum soll der Spiegel da Sorge haben, das seine Geschichten nicht mehr gekauft werden? Wie gewünscht, so bestellt, so geliefert.
Juan Moreno schreibt über den Fall Relotius: “Ich kannte ihn nur aus seinen Texten.” und “Können wir daraus etwas lernen? Ja, Journalisten sind Menschen. Menschen lügen.” Das dürfte auch für die “Opferung” eines Täters gelten, damit die Branche ungestört weitermachen kann, wie bisher. Warum sollte Herr Moreno die große Ausnahme sein?
Das ist wohl so ähnlich wie in einer Diktatur. Jeder weiß, dass ein Gutteil der Aussagen verdreht, falsch interpretiert bis gelogen ist, weil - es muss ja alles den Aussagen der Führung und der herrschenden Ideologie entsprechen. Und alle spielen das Spiel mit, selbst wenn man in der DDR heimlich vor sich hin prustete, wenn beispielsweise in einer Stadt wieder mal nur die Fassaden der Hauptstraße hergerichtet worden sind, um gute Bilder für einen der albernen staatlichen Umzüge der SED abzugeben. Oder andere ballen die Faust in der Tasche - aber letztlich akzeptieren alle die Machtverhältnisse als gegeben und unveränderlich und wer erfolgreich sein will, passt sich an. Und die Angst vor dem System soll die einzelnen Mitglieder klein halten. Es gibt immer Systemlinge, die mit an der Spitze schwimmen und Randständige, die sich eigentlich generell unwohl fühlen. Ich gehe auch davon aus, dass die “Qualitäten” des Relotius bei seinen Kollegen wohl bekannt war, dass sich aber niemand mit dem System anlegen wollte, immerhin diente es ja der “richtigen Gesinnung”. Wer will denn da schon den bösen Verräter spielen, wenn es um so eine edle Sache geht wie die Rettung der Indianer…äh…Refugees? Und auch letztlich um die Existenz des Wahrheitsverkündermagazins “Spiegel”? Ich habe doch ziemlichen Respekt davor, dass Moreno den Mut und die Kraft aufgebracht hat, jenes Lügensystem zu stürzen.
Sagen, was ist! Die NZZ ist überhaupt völlig überbewertet und in SPON hab ich bisher noch kein Wort über Amberg entdeckt.
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