In Berlin regiert mittlerweile bekanntlich eine schwarz-rote Koalition und sie will das bis 2026 tun. Von einer Wende, für die der Regierende Bürgermeister Wegner vor der Wahl warb, ist kaum etwas zu entdecken. Lassen sich Hoffnungszeichen finden?
Vor einem halben Jahr, ein paar Wochen vor Wiederholungswahl am 12. Februar 2023, gab ich die Prognose ab, an den Berliner Zuständen werde sich auch nach den Wahlen nichts ändern. Hinsichtlich der Koalitions- und Regierungsbildung habe ich mich geirrt. Das Unerwartete geschah: Franziska Giffey verzichtete – nach ihrem Verzicht auf den am OSI-Exzellenzzentrum „The EU and its citizens“ erworbenen Doktortitel – auch auf das Spitzenamt des – funkional ungegenderten – Regierenden Bürgermeisters zugunsten des CDU-Wahlsiegers Kai Wegner. Und unerwartet unterlagen in der Abstimmung über Regierungsbildung samt Koalitionsvertrag die radikal karrierelinken Jusos gegenüber den altersbedingt „konservativen“ Genossen in den Außenbezirken.
Seither regiert in Berlin Schwarz-Rot. Von ihrer Stimme und der Wahlrhetorik Wegners erhofften sich die Berliner CDU-Wähler eine Wende zum Besseren. Nach welchem Konzept die Koalition tatsächlich regiert – und bis zu den nächsten Wahlen im Herbst 2026 regieren will –, ist mir nicht ganz klar, da ich, meine Pflicht als mündiger Bürger vernachlässigend, für die in Mode gekommenen, ellenlangen Koalitionsverträge keine Zeit verschwende. Es heißt, das Elaborat trage – bis auf die stets angestrebte Abschaffung der verbliebenen grundständigen Gymnasien – die linke Handschrift der SPD. Immerhin gibt’s jetzt in jedem Berliner Bezirk eine/n Queerbeauftragte/n mit hinreichend dotierten Planstellen. Auch das Wahlalter soll für die immer mündiger werdende Jugend auf 16 Jahre herabgesetzt werden. Befürwortet wird eine solche Wahlrechtsreform ja auch von Bundespräsident Steinmeier. Es geht demokratisch um den Ausgleich der demografischen Ungerechtigkeit, begründet im statistischen Übergewicht wahlberechtigter biodeutscher Rentner und Pflegebedürftiger.
Hohe Erwartungen setzen – nicht nur – die Berliner Bürger und -innen in Fortschritte in Kultur und Bildung als Voraussetzungen für wirtschaftliche Dynamik und beruflichen Erfolgs sowie als Grundlage gelebter Demokratie. Für das Berliner Kulturleben ist als Senator für Kultur, Zusammenhalt, Engagement- und Demokratieförderung der Musikmanager Joe Chialo (CDU, ehemals grün) federführend. Die etablierten Kulturträger werden dafür sorgen, dass die Fördermittel in die alten rot-grünen Töpfe fließen.
Im Bildungswesen erzielt Berlin – im Wettbewerb mit anderen deutschen Großstädten – negative Spitzenergebnisse bei internationalen Lese- und Rechentests. Besserung erhofft die Stadt von der aus Dresden stammenden Katharina Günther-Wünsch (CDU), die Erfahrungen als Studiendirektorin an der Walter-Gropius-Schule in Neukölln mitbringt. Die einfache, politisch stets wirksame Erklärung liegt im Lehrermangel. Richtig, aber wer möchte sich heutzutage diesen Beruf noch zumuten? Erfolge im Bildungsbereich sind überdies schwerlich zu erwarten, solange in den „Problembezirken“ elementare kulturell-soziale Hindernisse – nicht nur abzulesen an den Wahlergebnissen für Erdogan – fortbestehen.
Kulturkampf eröffnet?
Als Senatorin für Integration, Arbeit, Soziales, Vielfalt und Antidiskriminierung fungiert Cansel Kiziltepe, SPD. Um eines der Integrationshemmnisse abzubauen, kündigte Wegner in einem Interview an, sprachliche Gender-Akrobatik in Verlautbarungen der Berliner Verwaltung zu untersagen. Auf Wegners Vorstoß reagierte die links-grüne taz mit Empörung. Es gehe ihm nicht um Rücksichtnahme auf die sprachlichen Nöte der migrantischen Neubürger, sondern um einen ethno-deutschen Kulturkampf. Bei seinem Gegenangriff auf einen „immer wieder hart am Rande Rechtsextremismus operierenden Politiker wie Wegner“ griff Autor Ambros Waigel tief in seine Theoriekiste: „Kulturkämpfe werden eröffnet, um das absehbare Scheitern einer letztlich den Kapitalinteressen verpflichteten Politik zu kaschieren und die zwangsläufige Wut auf Sündenböcke abzulenken. Mal sehen, wie lange die sich das gefallen lassen.“
Mal sehen. Was der Verfassungsschutz zu derlei Definitionen des Rechtsextremismus sagt, ist im Berliner Milieu belanglos. Entscheidend ist in der Hauptstadt die richtige Gesinnung. Wir dürfen also weiter prognostizieren: Mit seiner Absage ans Gendern ist Wegners Wende angesichts der „linken“ Kampfbereitschaft bereits gescheitert.
Im Übrigen bleibt alles beim Alten: Die überlasteten Ämter arbeiten weiter in enervierender Langsamkeit. Klimakleber retten weiter das Klima. Die Feuerwehr, genauer der Senat, der sein Budget nach wie vor zu einem Drittel ihres Budgets aus Steuerquellen der „reichen“ Bundesländern finanzieren muss, fräst die Kleber aus dem Asphalt der Stadtautobahn. Der Rest des Berliner Straßennetzes bewahrt seinen marodem Zustand. Ob die für den Verkehrsfluss im Osten der Stadt sinnvolle A 100 weiter ausgebaut oder ökokulturell gestoppt wird, ist noch unklar.
Immerhin ist die Friedrichstraße, deren Verwandlung in ein Reservat für grüne Radler/innenden den Berliner Grünen bei der Wiederholungswahl einige Prozente kostete, für Autofahrer wieder offen. Wir dürfen also weiter auf eine Wende zum Positiven hoffen.