Die Presse übt sich in der klassischen Gerichtsreportage, wo überraschende Zeugen die Wende im Prozess bringen und für eine neue Schlagzeile sorgen. Das ist das, wenn im Film sich die Zeitung um die eigene Achse dreht und herangezoomt wird, bis die neue Meldung lesbar wird. Im Brunner-Fall ist es die schockierende Nachricht, dass Brunner zuerst zugeschlagen habe, so dass der Mordvorwurf nicht aufrechterhalten werden könne.
Nicht?
Brunner wurde also gar nicht ermordet? Es war demnach so eine Art suicide by Schläger.
Diese Rechtsauffassung indes erscheint skurril, oder wie Juristen sagen: lebensfremd. Wer zuerst zuschlägt, kann nicht ermordet werden?
Meine Rede. Man muss zuerst zuschlagen, wenn man nicht ermordet werden will.
Brunner aber hat, selbst wenn diese Version stimmen beziehungsweise wenn das Gericht sie so feststellen sollte, diesen Schlag in einer Notwehrlage verübt; die Bedrohung durch die Schläger war gegeben, sie hatten ihre Chance, sich davonzumachen, haben aber den Angriff fortgesetzt, indem sie die Schüler und Brunner weiter verfolgt haben. Deshalb ändert der Schlag nichts an den Mordmerkmalen. Die ungehemmten Tritte zeugen von Tötungsvorsatz.
Nichtjuristen dürfte es interessieren und Juristen sollte es, dass herrschende Meinung und Lehre bei Mord und Totschlag übereinstimmend zwei Irrtümer vertreten. Totschlag wird als das Grunddelikt angesehen, das durch eng auszulegende Merkmale zu Mord hochgestuft wird. Dann müsste im Gesetz aber Totschlag vor Mord stehen, tut es nicht, Mord ist das Grunddelikt, Totschlagsmerkmal ist „ohne Mörder zu sein“.
Der zweite Fehler liegt in der durch Praxisferne entstandenen Ansicht, Tötungsvorsatz bedeute eine besondere Überwindung einer Hemmung. Dies lässt sich durch nichts belegen, im Gegenteil ist es so, dass zur Hemmung eine psychische Anstrengung betrieben werden muss. Man bremst sich, um nicht zu töten.
Vielleicht kann ein jetziger Jurastudent in dreißig Jahren als BGH-Richter die Korrektur vornehmen, und seine WG-Mitbewohnerin schreibt den Kommentar.