Vera Lengsfeld / 26.11.2021 / 16:00 / Foto: Imago / 40 / Seite ausdrucken

Wählt das Virus AfD? Humbug im Gewande der Wissenschaft

Ich habe mich schon mehrfach mit dem aufstrebenden jüngeren, weißen, ostdeutschen Mann Professor Matthias Quent, seines Zeichens Direktor der Amadeu-Antonio-Stiftungs-Ausgründung IDZ, Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft mit Sitz in Jena, Thüringen, beschäftigt. 

Jetzt hat das IDZ wieder Schlagzeilen in seinem Kernfeld, der Soziologie und Demokratieforschung geliefert. Unter dem leicht sperrigen Titel – immerhin sind wir hier ja in der Wissenschaft – „Politische Raumkultur als Verstärker der Corona-Pandemie? Einflussfaktoren auf die regionale Inzidenzentwicklung in Deutschland in der ersten und zweiten Pandemiewelle 2020“ einen echten Knaller. Denn das Thema ist Corona und die Frage, wem Quent und die Seinen die Verantwortung für den Pandemieverlauf in Deutschland zuschreiben wollen.

Ich zitiere die Hypothese des IDZ ungekürzt:

„Ausgehend von der Annahme, dass in Regionen mit hohem Zuspruch zu Parteien der radikalen Rechten eine höhere Skepsis bzw. Distanz zu demokratischen Institutionen und damit einhergehend eine geringere Akzeptanz der Schutzmaßnahmen vorherrscht, prüfen wir, inwiefern sich diese Unterschiede in der politischen Raumkultur auf die Inzidenzentwicklungen auswirken.“ 

Ist man als neutraler Leser schon über die Chuzpe einer solchen einseitigen, vorurteils- und ressentimentgeladenen These überrascht, so ist die Herleitung noch verrückter. 

Damit auch jeder versteht, was man zu denken hat

Als wissenschaftlicher Stichwortgeber fungiert tatsächlich der scheidende Ostbeauftrage der alten Bundesregierung, Marco Wanderwitz. Zitat Veröffentlichung: „Der Ostbeauftragte der Bundesregierung Marco Wanderwitz führte den vermuteten Zusammenhang u.a. auf die Verbreitung maßnahmenkritischer Einstellungen in der Bevölkerung zurück.“

Das IDZ rechtfertigt seine „Studie“ mit einer Wanderwitz-Referenz? Ob der gelernte Jurist und über 20 Jahre im Bundestag aktive Abgeordnete darüber erfreut ist? Ich kann es mir nur schwer vorstellen – seinen Wahlkreis hat Marco Wanderwitz jedenfalls verloren, und ich bin mir sicher, dass die IDZ-Studie im Ostteil der Republik alles andere als freudig aufgenommen wird.

Bei der Ausgangslage ist man über die mit viel statistischer Rechnerei garnierten „Erkenntnisse“ der Studie und vor allem deren Schlussfolgerungen nicht weiter erstaunt.

„Unterschiede in der lokalen politischen Raumkultur tragen unseren Befunden nach maßgeblich zur Erklärung der unterschiedlichen regionalen Verläufe der Corona-Pandemie bei.“ 

Aber damit auch jeder versteht, was man zu denken hat, wird über die Studie in den Wissenschaftsseiten großer deutscher Medien berichtet. Pars pro toto, der Spiegel: „Je AfD, desto Corona“.

Aber es gibt auch noch Nebenerkenntnisse der IDZ-Studie (Zitat): „Auch jenseits des inhaltlichen Hauptinteresses der Studie zeigen sich mit Blick auf die Drittvariablen interessante Zusammenhänge, die im Bezug zur öffentlichen Debatte um die Ursachen und Hintergründe der regional unterschiedlichen Ausbreitungsdynamiken stehen. Auf sozioökonomischer Ebene konnte die zentrale Rolle der räumlichen Deprivation gezeigt werden.“

Auch ich musste mich hier noch mal versichern, was uns Professor Quent hier sagen will. Duden und andere Nachschlagwerke erklären Deprivation so: Substantiv, feminin [die], 1. Mangel, Verlust, Entzug von etwas Erwünschtem; Liebesentzug 2. Absetzung eines katholischen Geistlichen. Gemeint ist sicherlich der Punkt 1 – Quent als Meister der psychologischen Deutung der deutschen und insbesondere der ostdeutschen Seele.

So produziert das IDZ spalterische Schlagzeilen

Solcherart wissenschaftlich gerüstet, sollten wir uns mal mit der Realität der vierten Welle auseinandersetzen („Das Schöne an Fakten ist, dass man sie prüfen kann“ – Leitspruch der Wissenschaft und auch von Wissenschaftsaktivisten gerne genommenes Zitat). Immerhin rollt momentan die bis dato höchste Corona-Welle in Deutschland. Zeigt sich also das von Quent und Friend hergeleitete Muster? 

Die RKI-Zahlen sind tatsächlich sehr hoch und ja, es gibt auch unter den Top-10-Landkreisen welche aus Sachsen (wo ja die AfD-Ergebnisse durchweg hoch sind). Aber was ist mit der momentanen #2 (Freyung-Grafenau, Bayern), #4 (Rottal-Inn, Bayern)? Ja, im Kreistag von Rottal-Inn gibt es auch AfDler – mit 5,8 Prozent der Stimmen erzielte die AfD 2020 drei von sechzig Mandaten im Kreistag Rottal-Inn. Aber vielleicht sind Rottal-Inn oder Freyung-Grafenau ja auch durch „Deprivation“ charakterisiert? Liebesentzug aus München oder gar Berlin? Die Distanz zumindest zur Hauptstadt ist ja tatsächlich groß.

Aber was ist mit den Landkreisen, die momentan am wenigstens von der vierten Welle betroffen sind? Zum Beispiel Ludwigslust-Parchim (LK) mit einer 7-Tage-Fallzahl von 77 und einer 7-Tage Inzidenz von 36,3 (im Vergleich: Freyung-Grafenau: 1.230 und 1.569,8)? Zwar ist Ludwigslust-Parchim keine der ostdeutschen Hochburgen der AfD, aber die ist 2019 mit 12 Prozent der Stimmen in den Kreistag eingezogen. Man braucht keine Statistik, um zu erkennen, dass AfD-Stimmenanteile oder vermutetes rechtsextremes Gedankengut nicht die Haupterklärung der regionalen Muster der Pandemieentwicklung sind.

Warum diskutiere ich diese „Studie“ so ausführlich? Natürlich gibt es räumliche Verteilungsmuster in der Pandemieentwicklung: Das ist offenkundig. Genauso offenkundig ist aber auch, dass diese nicht monokausal sind. Und dass in dieser Zeit der eh schon hochschießenden Emotionen diese Art von Meinungsmache im Gewand von Wissenschaftlichkeit schädlich ist. Für mich führt diese Art missbräuchlicher Einsatz von wissenschaftlichen Methoden dazu, dass die Diskussion in Deutschland weiter massiv vergiftet wird. Die medialen Verstärker in den Redaktionen, gerade den Wissenschaftsredaktionen, sind natürlich mitschuldig. 

Statt ergebnisoffen nach wirklich relevanten regionalen Mustern und Faktoren zu suchen und damit auch eine selbstkritische Reflexion und hoffentlich Anpassung der jeweiligen Politik und Kommunikation zu ermöglichen (Bayern!), produziert das IDZ spalterische Schlagzeilen, die dann auch noch medial verstärkt werden: Schuldverschiebungen, Unterstellungen, Ablenkungen: eine Schande für die Wissenschaft, eine Schande für die mediale Diskussion.

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Bernhard Freiling / 26.11.2021

Je mehr sich Regierung und von dieser bezahlte Komparsen “der Demokratie” widmen, umso weniger Demokratie ist vorhanden. Es gibt sie, die Demokratie, oder nicht. Sie wird gelebt oder sie ist tot. Demokratie verträgt andere Meinungen - auch absurde und der Demokratie nicht zuträgliche. Gelebte Demokratie braucht keine Veranstaltung “Demokratie leben”. Wenn sie die nötig hat, ist sie bereits tot.

Dirk-Gunnar Welsch / 26.11.2021

Es lohnt nicht, auch nur eine Sekunde Lebenszeit mit solchem hirnrissigen Schwachsinn zu vergeuden.

Heiko Stadler / 26.11.2021

Fassen wir zusammen: Je AfD, desto Corona und je Klapperstorch, desto Kind. Ohne die Studien des Herrn Professor wäre ich da nie druf gekommen.

Frances Johnson / 26.11.2021

Danke schön. Nicht monokausal, genau. Noch ein Zusatz: Wählen Schüler unter 16 AfD?

Martin Schott / 26.11.2021

Damals, vor Corona, als es noch die landläufige Grippe gab, war für jeden offensichtlich, dass es keine unterkomplexen Erklärungen geben konnte, weshalb die Erkältungswelle die eine Stadt oder den einen Landkreis besonders trifft und den Nachbarort hingegen nicht. Natürlich ist das bei Corona genau so - die unterschiedlichen “Wellen” haben mal diese, mal jene Region stärker getroffen. Allerdings wird nur wenn es um den “Osten” geht, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen “Infektionsgeschehen” und Wahlverhalten oder vermeintlich nicht befolgten “Regeln” konstruiert. Auch wenn es sich nur um eine statistische Korrelation handelt: belegen lässt sich etwa die Abnahme der Geburtenzahl bei gleichzeitig schrumpfender Weißstorch-Population. Dennoch ist das nicht der Beweis, dass der Storch die Babys bringt. Übrigens hat Dieter Nuhr in seiner Satiresendung “Nuhr im Ersten” am gestrigen Donnerstag die Mär “Je AfD, desto Corona” völlig unreflektiert verbreitet (anhand eines “taz”-Artikels, in der Sendung etwa ab Minute 35:00). Zwei Minuten später griff er ebenso unreflektiert den seit August von der Realität überholten “Narrativ” von “90% Ungeimpften auf den (Berliner) Intensivstationen” auf und verbreitete die offenkundige Unwahrheit als wahr. Wenige Stunden nach Ausstrahlung der Sendung informierte der “Focus” über den tatsächlichen Stand der Dinge: “Wie Uwe Janssens, der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte, sei vor allem die Zahl der Patienten mit Impfdurchbrüchen angestiegen. Nahezu 44 Prozent der über 60-Jährigen Patienten auf Intensivstationen seien demnach geimpft. „Das hat deutlich und sprunghaft zugenommen“, so der ehemalige Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI).” Die Redaktion von “Nuhr im Ersten” freut sich auf E-Mail mit Bitte um öffentliche Richtigstellung falscher Tatsachenbehauptungen.

Frances Johnson / 26.11.2021

Hiervon bitte mehr: “Warum wir keinen Lockdown brauchen”, Jörg Phil Friedrich, keine Panik, er ist super und sieht das Wesntliche: Der R-Wert fällt.

Peter Bauch / 26.11.2021

Gibt es die AfD eigentlich noch? In den Qualitätsmedien totgeschwiegen, im Bundestag als Opposition - kann weg. Dann kommt dieser Herr Quent daher und tritt auch noch auf diesen toten Gaul ein. Solche Professoren graust es vor nichts. Ihr Geld - vom Steuerzahler abgepresst -  stinkt ja auch nicht.

Bernd Meyer / 26.11.2021

Hat China die Bayern tatsächlich abgewiesen? Mangels mangelenden Vertrauens? Gut, dass deutsches Stahl immer noch härter ist als chinesisches. Vibratoren ausgeschlossen. Einen Punkt von 100 für Markus Söder.

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