Noch keine Beruhigung an der Beschneidungsfront. Nur weil ein pingeliger deutscher Richter den feinen Unterschied zwischen Genitalverstümmelung und Beschneidung nicht faßte und sich zudem um den Schutz von Minderjährigen sorgte, gab es fast einen Beschneideraufstand. Das Ganze hätte einen gewissen Unterhaltungswert, wenn es in der Tat nicht um Unmündige gegangen wäre, denn es dürfte dem Groß der Bürger völlig Schnuppe sein, was sich Juden und Moslems, als Erwachsene wohl, abschneiden und warum. Frau Knobloch sah gar den Kern jüdischer Identität bedroht. Man stelle sich einmal vor, die katholische Kirche würde ein solches Voodoo-Ritual an Kindern vollziehen und irgendein prominenter Vertreter, gar ein ehemaliger Kardinal Ratzinger, würde dies mit solchen kruden Argumenten verteidigen. Das Geheule darüber in unserem Land wäre nicht auszuhalten.
Ich gebe Ihnen Recht, dass der Vergleich zu dem südafrikanischen Ritual mehr als nur hinkend ist und an dem grundsätzlichen Problem völlig vorbeigeht, aber auf juristischer Ebene ist es schon eine fragwürdige Angelegenheit, wenn es um die Beschneidung geht. Es werden mehrere Grundrechte eines Minderjährigen verletzt, egal wie human und ungefährlich eine moderne Beschneidung ist. Zum Beispiel verletzt es das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Im Allgemeinen kann man sicherlich darüber streiten, wie wichtig oder unwichtig die Vorhaut ist, aber dem Kind und zukünftigen Erwachsenen wird die Entscheidung zum Verbleib eines Hautstückes genommen. Man kann sich auch die Frage stellen, wie es wäre, wenn es sich nicht um die Vorhaut, sondern um das Entfernen eines Stückes des Ohrläppchens handeln würde. Ein Ohrläppchen ist sicherlich ähnlich schmerzempfindlich und ich denke auch hier kann man sich über die Funktion streiten. Weiter verletzt das Beschneiden das Recht auf Religionsfreiheit. Nehmen wir an, ein Jude entscheidet sich zu einer anderen Religion überzutreten bzw. Agnostiker zu sein, so wird er doch stets die Spuren des Religionsbekenntnisses seiner Eltern mit sich tragen. Weiter finde ich eine aufgeschlossene Diskussion zu diesem Thema (natürlich nicht indem man irgendwelche Horrorgeschichten aus Afrika heranzieht) als von rassistischen bzw. antisemitischen Motivationen befreit, da man nicht kulturrelativistisch vorgeht, frei nach dem Motto diese Juden und ihre komischen Rituale, da mischen wir uns lieber nicht ein, sondern dieselben verfassungsmäßigen Rechte für die Nachkommen eines Juden, Moslems etc. fordert wie für die Mehrheitsbevölkerung.
Immer noch Beschneidung? Wirklich…. Ich halte das Thema für relativ unwichtig und verstehe die Beitragsdichte dazu kaum. Wenn man aber als Liberaler eine Meinung dazu vertreten muss, dann sollte ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Kindes natürlich strafbar sein. Jeder (auch Kinder) hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Teil des Schutzes des eigenen Lebens). Verstümmlungen jeder Art an Kindern sind ein Verstoß gegen eben dieses Recht (ob die Verstümmlung nun ungefährlich ist oder nicht, ist nicht relevant). Ein Kind kann sein Recht nicht selbst durchsetzen (Klagen etc.). Deswegen sollte der Staat dies tun (eine der wenigen Aufgaben die ich ihm zugestehe).
Sehr geehrter Herr Altuglu, warum haben Sie den Artikel nicht verlinkt, wie es sonst üblich ist? Übrigens einer der besten Artikel der ZEIT, die ich seit langem gelesen habe. Längst verlorenes liberales Profil scheint da wieder durch. Kernpunkt der Argumentation ist der Widerspruch, dass Mädchenbeschneidung unter jeden Umständen verboten ist, auch wenn es sich “nur” um die Beschneidung der Klitorisvorhaut handelt, welche ohne Weiteres mit der Jungenbeschneidung vergleichbar ist. Quintessenz des Liberalismus ist die Selbstbestimmung, solange nicht die Freiheit anderer eingeschränkt wird. Warum entscheiden Sie für Ihren Sohn? Warum lassen Sie ihn nicht selbst entscheiden, wenn er 14 ist? Befehl Gottes? Weil man es so macht? Weil es nach Ihrer Auffassung besser aussieht? Hygiene (wir leben ja in einer wasserarmen Gegend)? Verstehen Sie mich recht. Jungenbeschneidung widerspricht zwar meinen Vorstellungen von individueller Selbstbestimmung, dennoch darf sich der Gesetzgeber in diesen sensiblen Bereich nicht zu sehr einmischen (freilich die Rahmenbedingungen vorgeben). Natürlich auch aus historischen Gründen. Aber ich hoffe inständig, dass dieser Brauch, wo sinnlos (in der Wüste oder in Gegenden mit schwierigen hygienischen Bedingungen mag das anders aussehen), irgendwann von den betreffenden Erziehungsberechtigten als das erkannt wird, was er ist: ein absurder und übergriffiger Anachronismus. Mit freundlichen Grüßen, Ein kopfschüttelnder Atheist
Ich lese Achgut immer gerne und habe die Seite schon oft weiterempfohlen. Nur beim Thema Beschneidung bin ich absolut nicht eurer Meinung, auch nicht der Herr Broders. Wer Aufgrund archaischer Vorschriften Jungs verstümmelt und sie damit nachweislich schädigt, braucht sich nicht auf wie sonst so oft auf die Aufklärung und Zivilisation berufen. Es gibt keinen rechtfertigenden Grund Jungen zu verstümmeln. Schon gar nicht auf Grund religiöser Traditionen. Jeder soll glauben was er will, das gibt im nicht das Recht, seine Söhne zu beschneiden. Wo sollder die Grenze der religiösen Toleranz sein? Beim Züchtigen der ungehorsamen Frau? Beim Handabhacken? Steinigen? Warum fordert Ihr hier Toleranz für Verhalten, das Ihr sonst bei anderen kritisiert? Es kann doch nicht sein, dass bei persönlicher Betroffenheit aufgrund der eigenen Religion ein „Recht“ gefordert wird, seine eigenen Kinder zu schädigen. Kultur ist es, seinen Jungen zu verstümmeln – Zivilisation ist es, dies zu verbieten.
Dies ist eine herzliche Einladung an alle, die sich voraufklärerischen Kulten noch sehr verbunden fühlen: in unserem Land geschieht Ihnen nichts, wenn Sie sich von diesen abwenden. Kein Vater muß hier mit einem Messer auf sein gesundes Kind losgehen. Brauchen wir im Ernst ein Gesetz, daß das festschreibt?
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