Murat Altuglu, Gastautor / 15.07.2013 / 22:51 / 6 / Seite ausdrucken

Voodoo und kulturelle Analphabeten

Murat Altuglu

Am Wochenende gab es wieder einmal etwas Erquickendes in der ZEIT zu lesen. Ein Jurist und Hochschullehrer äußerte sich zur Beschneidung. Was er uns zu sagen hatte, war pure Propaganda. Tonio Walter eröffnete seinen Beitrag mit einem Bericht aus einer Provinz in Süd-Afrika, wo „im Mai dieses Jahres“ „mindestens“ 30 Jungen in Folge ihrer Beschneidung starben. 

In den südafrikanischen Berichten, die ich fand, wird in einem Artikel von 28, in einem anderen Artikel von 30 Toten berichtet. Die Jungen starben aufgrund von Unterkühlungen und Verblutungen. Es gibt dort offenbar eine Praxis, bei der die Jungen wahrlich verstümmelt werden. Das ist schlimm. Schlimm ist auch, was Tonio Walter, Professor an einer deutschen Uni, im nächsten Absatz schreibt.

„Für den Deutschen Bundestag war das bislang kein Grund, die Beschneidung von Jungen gesondert unter Strafe zu stellen. Die Beschneidung von Mädchen hingegen schon.“ Wenn Deutschland also die Beschneidung unter Strafe stellt, sterben dann in Mpumalanga keine Jungen mehr? 

Es gibt zwei, drei Millionen Türken in Deutschland. Seit den späten 50er Jahren laufen sie in Deutschland herum. Putzen dem Uni-Prof sein Büro und den Hörsaal. Es gibt noch eine Menge anderer Moslems, vor allem aus dem Nahen Osten. Dann gibt es noch die Juden. Die schnibbeln an ihren Jungen in Deutschland seit gut 2000 Jahren. Linksrheinisch noch bevor die Deutschen über den Fluss kamen.

Das alles ist für den Professor irrelevant. Er kommt nicht einmal darauf zu sprechen, dass vor allem die Türken in Deutschland das Objekt seiner Exegese sind. Es reicht für ihn, von der Provinz Mpumalanga her Forderungen an den deutschen Gesetzgeber (entweder den Bundestag oder das Verfassungsgericht, so genau weiß das keiner mehr) zu stellen, mit denen dann die Türken leben sollen.

Das Problem ist, dass der Prof. und die ZEIT keinen Schimmer von der Lebenswirklichkeit der Türken in Deutschland haben. Man lebt tatsächlich in Parallelgesellschaften. Die Türken sind den Bildungsnahen so fern, dass deren Lebenswirklichkeit für die ZEIT und deren Leser unbekannt und uninteressant ist. Das ist cultural illiteracy.

Daher ist es nicht überraschend, wenn aufgrund irgendwelcher Voodoo-Praktiken in Afrika der Professor die Juristenkeule zückt und von „Verstümmeln“ redet. Wenn ich meinen Sohn beschneide, begehe ich eine „sadistische Barbarei.“ Meine amerikanische Ehefrau bekommt auch ihr Fett weg. Professor Walter verurteilt die „puritanischen“ Amerikaner für die gleichen Sitten.

Das ist eine gut angelegte W-3 Professur.  Nur gut, dass die Türken in Deutschland die ZEIT nicht lesen.

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Rudolph Starhemberg / 17.07.2013

Noch keine Beruhigung an der Beschneidungsfront. Nur weil ein pingeliger deutscher Richter den feinen Unterschied zwischen Genitalverstümmelung und Beschneidung nicht faßte und sich zudem um den Schutz von Minderjährigen sorgte, gab es fast einen Beschneideraufstand. Das Ganze hätte einen gewissen Unterhaltungswert, wenn es in der Tat nicht um Unmündige gegangen wäre, denn es dürfte dem Groß der Bürger völlig Schnuppe sein, was sich Juden und Moslems, als Erwachsene wohl, abschneiden und warum. Frau Knobloch sah gar den Kern jüdischer Identität bedroht.  Man stelle sich einmal vor, die katholische Kirche würde ein solches Voodoo-Ritual an Kindern vollziehen und irgendein prominenter Vertreter, gar ein ehemaliger Kardinal Ratzinger, würde dies mit solchen kruden Argumenten verteidigen. Das Geheule darüber in unserem Land wäre nicht auszuhalten.

Tom Guttmann / 16.07.2013

Ich gebe Ihnen Recht, dass der Vergleich zu dem südafrikanischen Ritual mehr als nur hinkend ist und an dem grundsätzlichen Problem völlig vorbeigeht, aber auf juristischer Ebene ist es schon eine fragwürdige Angelegenheit, wenn es um die Beschneidung geht. Es werden mehrere Grundrechte eines Minderjährigen verletzt, egal wie human und ungefährlich eine moderne Beschneidung ist.   Zum Beispiel verletzt es das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Im Allgemeinen kann man sicherlich darüber streiten, wie wichtig oder unwichtig die Vorhaut ist, aber dem Kind und zukünftigen Erwachsenen wird die Entscheidung zum Verbleib eines Hautstückes genommen. Man kann sich auch die Frage stellen, wie es wäre, wenn es sich nicht um die Vorhaut, sondern um das Entfernen eines Stückes des Ohrläppchens handeln würde. Ein Ohrläppchen ist sicherlich ähnlich schmerzempfindlich und ich denke auch hier kann man sich über die Funktion streiten. Weiter verletzt das Beschneiden das Recht auf Religionsfreiheit. Nehmen wir an, ein Jude entscheidet sich zu einer anderen Religion überzutreten bzw. Agnostiker zu sein, so wird er doch stets die Spuren des Religionsbekenntnisses seiner Eltern mit sich tragen. Weiter finde ich eine aufgeschlossene Diskussion zu diesem Thema (natürlich nicht indem man irgendwelche Horrorgeschichten aus Afrika heranzieht) als von rassistischen bzw. antisemitischen Motivationen befreit, da man nicht kulturrelativistisch vorgeht, frei nach dem Motto diese Juden und ihre komischen Rituale, da mischen wir uns lieber nicht ein, sondern dieselben verfassungsmäßigen Rechte für die Nachkommen eines Juden, Moslems etc. fordert wie für die Mehrheitsbevölkerung.

Maximilian Gerber / 16.07.2013

Immer noch Beschneidung? Wirklich…. Ich halte das Thema für relativ unwichtig und verstehe die Beitragsdichte dazu kaum. Wenn man aber als Liberaler eine Meinung dazu vertreten muss, dann sollte ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Kindes natürlich strafbar sein. Jeder (auch Kinder) hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Teil des Schutzes des eigenen Lebens). Verstümmlungen jeder Art an Kindern sind ein Verstoß gegen eben dieses Recht (ob die Verstümmlung nun ungefährlich ist oder nicht, ist nicht relevant). Ein Kind kann sein Recht nicht selbst durchsetzen (Klagen etc.). Deswegen sollte der Staat dies tun (eine der wenigen Aufgaben die ich ihm zugestehe).

Dirk Jäckel / 16.07.2013

Sehr geehrter Herr Altuglu, warum haben Sie den Artikel nicht verlinkt, wie es sonst üblich ist? Übrigens einer der besten Artikel der ZEIT, die ich seit langem gelesen habe. Längst verlorenes liberales Profil scheint da wieder durch. Kernpunkt der Argumentation ist der Widerspruch, dass Mädchenbeschneidung unter jeden Umständen verboten ist, auch wenn es sich “nur” um die Beschneidung der Klitorisvorhaut handelt, welche ohne Weiteres mit der Jungenbeschneidung vergleichbar ist. Quintessenz des Liberalismus ist die Selbstbestimmung, solange nicht die Freiheit anderer eingeschränkt wird. Warum entscheiden Sie für Ihren Sohn? Warum lassen Sie ihn nicht selbst entscheiden, wenn er 14 ist? Befehl Gottes? Weil man es so macht? Weil es nach Ihrer Auffassung besser aussieht? Hygiene (wir leben ja in einer wasserarmen Gegend)? Verstehen Sie mich recht. Jungenbeschneidung widerspricht zwar meinen Vorstellungen von individueller Selbstbestimmung, dennoch darf sich der Gesetzgeber in diesen sensiblen Bereich nicht zu sehr einmischen (freilich die Rahmenbedingungen vorgeben). Natürlich auch aus historischen Gründen. Aber ich hoffe inständig, dass dieser Brauch, wo sinnlos (in der Wüste oder in Gegenden mit schwierigen hygienischen Bedingungen mag das anders aussehen), irgendwann von den betreffenden Erziehungsberechtigten als das erkannt wird, was er ist: ein absurder und übergriffiger Anachronismus. Mit freundlichen Grüßen, Ein kopfschüttelnder Atheist

Frank Kunz / 16.07.2013

Ich lese Achgut immer gerne und habe die Seite schon oft weiterempfohlen. Nur beim Thema Beschneidung bin ich absolut nicht eurer Meinung, auch nicht der Herr Broders. Wer Aufgrund archaischer Vorschriften Jungs verstümmelt und sie damit nachweislich schädigt, braucht sich nicht auf wie sonst so oft auf die Aufklärung und Zivilisation berufen. Es gibt keinen rechtfertigenden Grund Jungen zu verstümmeln. Schon gar nicht auf Grund religiöser Traditionen. Jeder soll glauben was er will, das gibt im nicht das Recht, seine Söhne zu beschneiden. Wo sollder die Grenze der religiösen Toleranz sein? Beim Züchtigen der ungehorsamen Frau? Beim Handabhacken? Steinigen? Warum fordert Ihr hier Toleranz für Verhalten, das Ihr sonst bei anderen kritisiert? Es kann doch nicht sein, dass bei persönlicher Betroffenheit aufgrund der eigenen Religion ein „Recht“ gefordert wird, seine eigenen Kinder zu schädigen. Kultur ist es, seinen Jungen zu verstümmeln – Zivilisation ist es, dies zu verbieten.

Thomas Frieling / 15.07.2013

Dies ist eine herzliche Einladung an alle, die sich voraufklärerischen Kulten noch sehr verbunden fühlen: in unserem Land geschieht Ihnen nichts, wenn Sie sich von diesen abwenden. Kein Vater muß hier mit einem Messer auf sein gesundes Kind losgehen. Brauchen wir im Ernst ein Gesetz, daß das festschreibt?

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