Murat Altuglu, Gastautor / 01.01.2015 / 15:34 / 2 / Seite ausdrucken

Auf Ihr Wohl, Bischof Bohl!

Murat Altuglu

Es war wohl eine Fügung Gottes, dass ich beim Zappen auf eine Ansprache des EKD-Landesbischofs Jochen Bohl im ZDF stieß. Die Ansprache ist auch hier nachzulesen: http://www.evlks.de/landeskirche/landesbischof/25738.html

Nun ist die EKD bei vielen Konservativen wie auch bei Christen umstritten. Dazu brauche ich mich hier nicht zu äußern. Was Herr Bohl da allerdings von der Kanzel verbreitet, ist beispielhaft und entlarvend für das Glaubensverständnis, das bei der EKD vorherrscht. So sagt Herr Bohl:

„...aus christlicher Sicht…muss geklärt werden, wie der Staat seine Einwanderungs- und Asylpolitik gestalten soll. Darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein und über die konkreten Fragen muss gestritten werden. Über die Aufnahme von Flüchtlingen aber gibt es nichts zu streiten, dazu ist der Staat verpflichtet. Wer anderes sagt, stellt sich gegen das Grundgesetz und mehr noch: der leugnet ein Gebot Christi und trifft auf den Widerstand der Kirche, die seinen Namen trägt.“

Man erkennt hier deutlich, wie verschroben das Glaubensverständnis bei der EKD ist. Einem Konstrukt wie dem Staat wird christliches Handeln auferlegt. Christ zu sein bedeutet, individuell Verantwortung zu übernehmen. Christ zu sein bedeutet, individuell die Bürde zu tragen. Man kann diese Verantwortung und Bürde nicht auf die Allgemeinheit - also den Staat - abwälzen. Im Christentum hat der Staat keine Pflicht, Flüchtlinge aufzunehmen.

Dies zu tun, wäre zutiefst unchristlich. Es ist ein essenzieller Bestandteil des Christentums Unchristliches zu tun, also sündhaft zu handeln. Dann man wird von Jesus aufgerufen, christlich zu handeln, und somit Opfer zu bringen. Freilich: Man kann diesem Aufruf auch nicht folgen, aus Geiz, Faulheit, und/oder Bequemlichkeit. Somit steht es einem frei, Erlösung in Christus zu suchen oder sich Weltlichem hinzugeben. Entsprechend wird man gerichtet.

Es ist daher mehr als bequem, den „Staat“ zum christlichen Handeln aufzurufen, dem Staat eine Pflicht zuzuschreiben. Wer oder was ist der Staat? Nichts. Der Staat handelt nicht. Es handeln nur Menschen. Es gibt keinen Staat, es gibt nur Steuergeld, und es gibt Entscheidungen, wie dieses verwendet wird.

Christen, vor allem in Amerika, geben zehn Prozent ihres Brutto-Einkommens an die Kirche und wohltätige Zwecke ab. Es ist belegt, dass Christen in den USA mehr Geld als andere spenden und auch viel Zeit ehrenamtlich aufwenden, um anderen zu helfen. Das ist christliches Handeln. Man kommt seiner individuellen Verantwortung nach und opfert dafür Geld und Freizeit.

Der Landesbischof vom EKD hingegen argumentiert kollektivistisch. Der „Staat“ soll dieses und jenes für Flüchtlinge tun, damit man sich individuell wohlfühlt. Das ist kein Gebot von Jesus Christus. Das ist nicht christlich. Das ist politisch. 

Man kann christliches Handeln nicht delegieren. Man kann nicht das Geld eines anderen verwenden, um Gutes zu tun. Wenn einer lieber Geld anhäufen oder sich ein größeres Auto zulegen will, anstatt Flüchtlingen zu helfen, dann ist dies sein Recht.

Dass dies aus christlicher Sicht nicht gut ist, ist etwas Anderes. Da könnte es der Landesbischof dem Heiland gleichtun und von Ort zu Ort, von Haus zu Haus tingeln und die gute Nachricht verkünden, damit die Menschen weltlichen Gütern abschwören und stattdessen den Anderen wie sich selbst lieben und aus dieser Motivation heraus Hilfe leisten. Es ist halt anstrengend, Christ zu sein.

Praktisches Beispiel: Mit dem Gehalt eines Landesbischofs könnte Herr Bohl ein gutes Dutzend Flüchtlinge auf Hartz IV Niveau versorgen und hätte dann immer noch mehr Geld übrig, als es die meisten Menschen in Deutschland zur Verfügung haben.

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Max Wedell / 01.01.2015

Ich danke Herrn Murat Altuglu sehr für diesen exzellenten Artikel. “Über die Aufnahme von Flüchtlingen aber gibt es nichts zu streiten, dazu ist der Staat verpflichtet. Wer anderes sagt, stellt sich gegen das Grundgesetz und mehr noch: der leugnet ein Gebot Christi.” sagt Bischof Bohl. Was für ein hanebüchener Unsinn die Behauptung ist, es wäre ein Gebot Jesus Christus’, “der Staat” wäre zur Aufnahme von Flüchtlingen verpflichtet, hat der Artikel sehr gut klargemacht. Aber auch die zweite Behauptung, unser Grundgesetz würde den deutschen Staat verpflichten, Flüchtlinge aufzunehmen, ist eine Unsinnsbehauptung, wenn man sie etwa auf Flüchtlinge vor einem Bürgerkrieg bezieht. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erklärt in einem Artikel auf ihrer Website, der mit “Politisch Verfolgte genießen Asyl” überschrieben ist, den Geltungsbereich der Asylregelungen des Grundgesetzes… dort kann man folgenden Satz lesen: “Allgemeine Notsituationen wie Armut, Bürgerkriege, Naturkatastrophen oder Perspektivlosigkeit sind damit als Gründe für eine Asylgewährung grundsätzlich ausgeschlossen”. Daher ist auch die Behauptung Bohls, das Grundgesetz würde den deutschen Staat zu einer Aufnahme von Flüchtlingen zwingen, die vor einem Bürgerkrieg wie etwa in Syrien fliehen, eine Quatschbehauptung. Daß es sehr zu wünschen ist, daß Menschen im (relativen) Wohlstand Menschen in Not helfen, darüber besteht doch überhaupt kein Dissens. Ärger erweckt hingegen die Behauptung von Politikern, Bischöfen und anderen Berufstugendhelden, die Hilfe könne nur in einer Massenumsiedelung um den halben Erdball bestehen. D.h. selbst wenn man einmal die Quatschbehauptung über “die Pflichten des Staates gemäß Christi” beiseite lässt, so gibt es ebenso kein Gebot Christi, das als Hilfe eine Massenumsiedelung um den halben Erdball vorschreibt… sondern Hilfe kann viele Formen annehmen. In Deutschland ist aber eine Debatte darüber nicht möglich (Bischof Bohl: “Über die Aufnahme von Flüchtlingen aber gibt es nichts zu streiten”), d.h. an Massenumsiedelungen führt kein Weg vorbei, und wer denen reserviert gegenübersteht, ist ein Menschenfeind, basta!

Doderich von Schwarzen / 01.01.2015

Ihr letzter Satz “Mit dem Gehalt eines Landesbischofs könnte Herr Bohl ein gutes Dutzend Flüchtlinge auf Hartz IV Niveau versorgen und hätte dann immer noch mehr Geld übrig, als es die meisten Menschen in Deutschland zur Verfügung haben.” bringt pointiert zum Ausdruck, was bereits vor 170 Jahren Harry Heine so wundervoll formulierte: “Ich kenne die Worte, ich kenne den Text, ich kenn´ auch die Herren Verfasser! Ich weiß, sie tranken heimlich Wein - und predigten öffentlich Wasser!” (aus: “Deutschland - Ein Wintermärchen”) Danke für Ihre wahren Worte und treffende Analyse der Verderbtheit der EKD…

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