Gastautor / 26.05.2020 / 06:12 / Foto: Pixabay / 94 / Seite ausdrucken

Von einem, der hinter die falsche Gardine blickte

Von Tim Gökalp.

Mit 22 Jahren hörte ich im Radio von einem Wirtschaftsskandal in den USA. Die Story faszinierte mich so sehr, dass ich mir vornahm, einer dieser kritischen, unabhängigen und unbeugsamen Wirtschaftsjournalisten zu werden, die solche Skandale aufdecken. 2012 stolperte der Yahoo CEO Scott Thompson über eine Veröffentlichung der Washington Post. Er hatte sich mit einem Abschluss in Computerwissenschaften geschmückt, den er gar nicht hatte. Vier Monate später gab er seinen Rücktritt vom Vorstandsvorsitz bekannt. Einmal in einem Team von investigativ arbeitenden Journalisten tief verborgene Fakten ausgraben, mutig die Mächtigen kontrollieren und verpflichtet der Öffentlichkeit, mit Hingabe zur Wahrheit, klang für mich damals wie der Inbegriff von Freiheit.

Sieben Jahre später war ich Stipendiat eines journalistischen Förderprogramms einer politischen Stiftung, hatte einen Mentor des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, selbst Investigativjournalist, und ein bevorstehendes Vorstellungsgespräch bei einer deutschen Nachrichtenagentur. Mir war bewusst, dass ich mein Einstiegsticket in den exklusiven Kreis der Journalisten nicht durch gute journalistische Arbeit verdient hatte, sondern ausschließlich durch Networking und Vitamin B. Nicht verkehrt, dachte ich. Zumal mir all dies die Möglichkeit gab, wieder durch Networking, einen Auftrag bei einem europäischen Rundfunksender zu erhalten und mich als  Journalist zu beweisen.

Ich erinnerte mich an die Geschichte des gefallenen Vorstandsvorsitzenden in den USA und stellte die Recherchethese auf, dass es bei den über 180 deutschen Vorständen der DAX30-Unternehmen einen ähnlichen Fall geben muss. Monate kämpfte ich mich durch Excel-Tabellen, konzipierte systematisch eine investigative Daten-Recherche und fragte an über 200 inländischen und ausländischen Hochschulen die tatsächlichen Abschlüsse von deutschen Vorständen an, um sie mit den Selbst- und Konzernangaben der Vorstände abzugleichen. Alles im Auftrag von besagtem europäischen Rundfunksender.

Der Vorstandsvorsitzende von adidas, Kasper Rorsted

Ich wurde fündig. Ich konnte aufdecken, dass der Vorstandsvorsitzende von adidas, Kasper Rorsted, Manager des Jahres 2019 (Manager Magazin), öffentlich vorgegeben hat, an einer renommierten Wirtschaftsuniversität studiert zu haben, während er de facto nur einen College-Abschluss einer ähnlich klingenden Institution vorweisen konnte. Die weltweit anerkannte Nachrichtenagentur Bloomberg News hat – nach langem Zögern – kürzlich auf Basis meiner Rechercheergebnisse den Eintrag in ihrem CEO-Verzeichnis zu Rorsted entsprechend geändert – allerdings stillschweigend, ohne eine Nachricht dazu zu veröffentlichen.

In seinem Lebenslauf als Nestlé-Aufsichtsrat war ein Abschluss an der renommierten Copenhagen Business School angegeben, ebenso im Lebenslauf zu einem Interview mit McKinsey. Im Lebenslauf auf der Webseite von Nestlé wurde das im Februar geändert in “1985: International Business Studies, Copenhagen Business College, Denmark”. In der PDF-Version steht es weiterhin (Stand 23.05.2020). Laut Auskunft von adidas resultiert der falsche Eindruck, Rorsted habe eine Universitätsausbildung absolviert, lediglich aus einer missverständlichen Formulierung in seinem Lebenslauf. Man werde künftig, wo nötig, deutlich machen, dass es sich bei Rorsteds Ausbildungsstätte um ein College handelte.

In seiner Kurzbiographie auf der adidas-Webseite ist das (noch) nicht geschehen, da steht (Stand 23. 05. 2020) weiterhin: “Er erwarb einen Abschluss in Betriebswirtschaft an der International Business School, Dänemark.” In einem Interview in der Bild-Zeitung, das auf englisch verfügbar ist, wird er noch im Januar 2020 vorgestellt als jemand, der, obwohl Professorensohn, seine Universitätsausbildung selbst finanziert hat. Dazu wird er zitiert mit:

"I cleaned company toilets for six years. Not the worst experience.“ (Ich habe sechs Jahres lang Unternehmenstoiletten geputzt. Nicht die schlechteste Erfahrung.)

Tatsächlich war Rosted nicht an einer Universität, sondern am Niels Brock College in Copenhagen. Dessen Kurse liefen in den 80er Jahren aber höchstens zwei Jahre. 1985, als Rorsted dort seinen Abschluss erwarb, firmierte es unter Niels Brock‘s School of International Business. Eine “International Business School” gibt es in Kopenhagen zwar auch, aber erst seit den 2000er Jahren. Eine Business School wird allgemein – anders als ein College – als universitäre Einrichtung verstanden.

„Karrieredoping des adidas CEO”

Sie fragen sich vielleicht, weshalb Sie noch nicht auf eine Schlagzeile gestoßen sind wie „Karrieredoping des adidas CEO” oder „Manager des Jahres 2019 mit falschem Universitätsabschluss”. Das liegt daran, dass ich nun schon sehr lange vergeblich versuche, ein Medium zu finden, das bereit ist mein Rechercheergebnis zu veröffentlichen. Insgesamt habe ich in den letzten drei Monaten mit über 60 etablierten Medien Kontakt aufgenommen und meine Fakten dargelegt. Von großen Zeitungen und Zeitschriften bis zu relevanten Lokalredaktionen. Spätestens wenn ein interessierter Journalist bei der Chefredaktion nachgefragt hat, ob man die Story bringen kann, war Schluss – mit zum Teil abenteuerlichen Begründungen.

Meinen Auftrag beim Rundfunk habe ich im Lauf der Recherchen verloren. Das Vorstellungsgespräch bei der deutschen Nachrichtenagentur wurde abgesagt, nachdem ich dem Einladenden meine Recherche offenbart und ihm vorgeschlagen hatte, dabei mitzumachen. Selbstkritisch muss ich beifügen, dass ich als Jungjournalist auch Fehler gemacht und vielleicht nicht immer den richtigen, neutralen Ton getroffen habe. Aber den Rechercheergebnissen tut das keinen Abbruch. Einen guten Grund, diese nicht zu veröffentlichen, kann ich nicht erkennen.

Als die ersten zwei Medien abgelehnt hatten, war mein Elan noch ungebrochen. Bei einer so großen und vielfältigen Medienlandschaft kein Beinbruch. Ich hatte ja meine Fakten und war, wie ich meinte, auf eine Geschichte gestoßen, die von öffentlichem Interesse war. Und wenn ein bierdeckelgroßer Artikel auf Seite 23 dabei herauskommen wäre. Ich wäre noch halbwegs zufrieden gewesen. Ich nahm Kontakt zu den Investigativteams großer Redaktionen auf und hatte schnell auch interessierte Top-Journalisten am Telefon. Hoffnungsvoll legte ich jedes Mal alle meine Fakten dar. „Above my pay grade” war eine Aussage eines Investigativjournalisten einer großen Zeitung. Am Tag später die Absage.

Ein anderer bekannter Wirtschaftsjournalist lehnte ab mit der Begründung: „Aber Kasper Rorsted ist mit adidas doch so erfolgreich.” Ein Chefredakteur eines großen Finanzblattes bedankte sich herzlich, merkte aber an, dass die Fakten nicht in die Agenda des Mediums passen. Den Satz, „Das ist nichts für uns” habe ich von überregionalen Zeitungen sowohl mit einer tendenziell linken als auch konservativen Ausrichtung mehrmals gehört und gelesen.„Du machst nur Feuilleton, und wir wollen niemanden ankacken”, war auch eine Aussage, die ich verdauen musste.

Lieber nach denen treten, die schon am Boden liegen

Am abenteuerlichsten war die Logik einer Rundfunkanstalt, die erst ein strukturelles Problem gesehen hatte, nämlich, dass es viele kleine und größere Diskrepanzen zwischen Konzernangaben zum Führungspersonal und deren eigenen Angaben in Karrierenetzwerken gibt, jedoch im Frühstadium absagte, weil der Protagonist mit der entsprechenden Fallhöhe noch gefehlt hatte. Nachdem ich diesen hatte, drehte sich die Begründung, und man sah darin nur noch ein Einzelfallproblem ohne strukturelle Bedeutung. Etwa 50 Kontaktaufnahmen mit unterschiedlichsten Medien später ist die Geschichte meines Scheiterns, wie ich selbst nun finde, interessanter, als mein Rechercheergebnis.

Ein wichtiger Punkt, den ich nicht bedacht hatte: Scott Thompson war neu bei Yahoo gewesen und von Anfang an umstritten. Er hatte mächtige Gegner. Er wurde auf Betreiben eines aktivistischen Investors gestürzt, nachdem er kurz zuvor ein Personalabbauprogramm verkündet hatte, das zu Rücktritten hochkarätiger Manager führte. Außerdem hatte er sich kurz nach seinem Amtsantritt in einem Patentrechtsstreit mit Facebook angelegt.

Kasper Rorsted dagegen war erfolgreich, kaum umstritten und auf dem Höhepunkt seiner Macht und seines Ansehens. Ich hätte mit meinem Veröffentlichungsversuch wohl warten müssen, bis er irgendwann angeschlagen ist. Denn das Mediengeschäft folgt offenbar dem Prinzip, dass es gesünder ist, nach denen zu treten, die wanken oder schon am Boden liegen, als nach denen, die fest im hohen Sattel sitzen. Denn die treten oft und kräftig zurück.

Und nun?

Ich bin froh, das Privileg gehabt zu haben, hinter die Kulissen des deutschen Journalismus blicken zu dürfen, dankbar, dass ich meine Geschichte erzählen durfte und glücklich, auf dem Weg zum Investigativjournalisten gescheitert zu sein.

Mein Versuch war zweifellos mit sehr viel Frust verbunden. Auch das Eingeständnis, einmal gescheitert zu sein und aufgeben zu müssen, ist nicht einfach. Aber mit der Zeit ist die Einsicht gereift, dass mein mit Idealen angereichertes Bild des investigativen Journalismus wohl ein falsches war. Ich wäre nicht glücklich damit geworden, ihm weiter nachzujagen. Lieber gebe ich meinen Wind in neue Segel.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog von Norbert Häring.

Foto: Pixabay

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Volker Wagner / 26.05.2020

Hmm, es ist so ein Problem mit dem investigativen Journalismus. Cui bono, wer soll oder muss gestürzt werden. Betrachtet die Lebenslinien von Schorsch Leber seines Zeichens Maurer, Nobi Blüm Werkzeugmacher. Nur so zum Beispiel , sie arbeiteten sich hoch und waren authentisch. Sehen wir alle diese Politologen, Soziologen, etc mit phantastischen Lebensläufen, Karriere vom Kreißsaal zum Parlamentssaal, diese Phrasendrescher,  dann sind mir gestanden Menschen tausendmal lieber, die nie vergaßen- wo sie herkamen, als diese Yuppie-Schnöseltruppe mit all ihren akademischen Titeln. Bist du eine Niete in deinem Beruf, dann langt es doch fast immer für den Bundestag. Oder etwas nicht. Gesunder Menschenverstand kann jede Form der Bildung ersetzen, aber nicht jede Bildung den gesunden Menschenverstand. Der Mensch fängt nicht erst beim Abitur an, ein guter Handwerker ist allemal besser als eine Flasche mit akademischen Titeln!

Heinrich Moser / 26.05.2020

Das erste Mal, dass ich einen Achgut Artikel widerlich finde. Die Frage ist doch, ob er ein guter Manager ist und ob er sein Gehalt daher ehrlich verdient. Das Herumwühlen in irrelevanten Details der Vergangenheit ausschließlich mit dem Ziel, jemanden, der keinen so tollen Start oder eine Jugendsünde begangen hatte (wer keinen Schummelzettel hatte, werfe den ersten Stein), mit Jauche zu überschütten um selbst Karriere zu machen, verdient keinen Platz in meinem Lieblingsblog. Broder, übernehmen Sie!

Sonja Dengler / 26.05.2020

Huch! Was ist das denn für eine selbstgerechte Beweihräucherung - er hätte es besser so tun sollen, wie er vorhatte: nicht weiter nachjagen und segeln gehen und die Buchstaben alle (!) in der Schublade lassen. Noch scheint er jung zu sein, noch scheint er nicht zu wissen, was wirkliches Scheitern ist - und wie schwer dann ein Neuanfang. Der wird vielleicht noch.

Matthias Olschowy / 26.05.2020

So ist es. Den Erfolgreichen hält keiner auf in seinem Lauf.

Ernst-Günther Konrad / 26.05.2020

Sie haben recht. Das Prozedere in Verbindung mit dem Versuch Öffentlichkeit herzustellen, ist wahrlich interessanter als die Botschaft, das in der Biografie eines Unternehmers etwas nicht stimmt. Sie haben vielleicht nicht bedacht, dass neben ihrer “schnöden” Recherche ein “gefakter” Lebenslauf zusätzlich ein echter Aufreger gehört. Sie hätten Ihre Geschichte besser verpacken müssen. Die Medien heute wollen auch eine politische Haltung in Ihrer Recherche erkennen. Schnöde Wahrheiten sind da wenig bis gar nicht gewünscht. Wer weiß, wen Herr Rorsted alles kennt oder fördert? Manches Medium bekommt vielleicht auch Anzeigenteile oder wird über versteckte Subunternehmer mitfinanziert? Ich glaube, hätten Sie Ihre Story mit entsprechendem ör Skandalpapier verpackt, wäre da etwas gegangen. Vielleicht einen Hinweis darauf, das Rosted als Kind jemandem das Förmchen geklaut hat. Als 8jöhriger jemand geschubst hat. Als 10jähriger einem Nachbarskind einen freudigen Kuss auf die Wangen gedrückt hat oder was gerade besonders “In” ist, er hat “rechte” Tendenzen. Er kennt vielleicht einen AFD-Wähler, war mal im Theater und da saß drei Reihen hinter ihm ein “Nazi”. Vielleicht spendet er heimlich der AFD oder winkt mit dem falschen Arm Freunden zu. Aber so, nur ein gefakter Lebenslauf in der Ausbildung eines “verdienten” und “anerkannten” Unternehmers aufdecken? Inzwischen ist das Erschleichen von Doktortiteln und das Vorgeben falscher Berufs- und Lebenserfahrungen Hauptbestandteil deutscher Politikerbiografien. Warum soll das bei Unternehmern anders sein? Und mal ehrlich. Eigentlich müsste Rorstedt doch stolz sein, ohne großen Bildungshintergrund soweit gekommen zu sein. und könnte damit sogar angeben. Irgenwie eine verkehrte Welt. Dennoch ein hervorragender Artikel Herr Gökalp.

Hermann Kanther / 26.05.2020

Mein Mitgefühl hält sich in Grenzen. Es gäbe hinreichend Verstrickungen zwischen Politik und Wirtschaft, genug politische Kuhhändel, unzählige Fälle von Verschwendung und Subventionsbetrug aufzuklären oder Politikern widersprüchliche Aussagen vorzuhalten. Stattdessen verschwendet der Autor Monate damit, um ein Skandälchen zu finden, das gewiss aufklärungswert ist, aber in seiner Bedeutung doch eher gering ist. Was ist ein Betrug bei einer Doktorarbeit gegen die Veruntreuung von 135 Mrd Steuergeld?

Albert Pflüger / 26.05.2020

Schöner Bericht. Meine eigene Lebenserfahrung bestätigt es: das Diktum “Man muß mit den Wölfen heulen” hat allgemeine Gültigkeit. Individualismus ist kein gesellschaftlich erfolgreiches Konzept, Ihre Erfahrungen mit “Networking” sprechen eine deutliche Sprache. Die Mehrheit weiß es instinktiv, sie achtet darauf, sich stets an die Seite der Sieger zu stellen, und für den Fall, daß es nicht gelingt, jedenfalls darauf zu bestehen, insgeheim deren Ziele stets unterstützt zu haben. In einer Zeit, in der Leute, die sich ihre Universitätsabschlüsse und Dissertationen ergaunert haben, unverdrossen als politische Hoffnungsträger gehandelt werden, oder jedenfalls auf 1a Versorgungsposten befördert werden, Leute wie Lagarde, rechtskräftig wegen Vorteilsgewährung verurteilt, an die Spitze der EZB gelangen, ist eine Nachricht wie die, die Sie an den Mann bringen wollten, vielleicht einfach nur zum Gähnen. Schließlich kann man da sogar immerhin ein Versehen behaupten.

dr. michael kubina / 26.05.2020

Auf der Betrugsskala wäre dieser Fall m.E. realtiv weit unten anzusiedeln. Ich vermute, ein Großteil der Journalisten (und nicht nur diese) hat seine Karriere mit ähnlich irreführenden Angaben zur eigenen Qualifikation geplastert. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.

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