Harry Maitey war ein gut integrierter Migrant aus Hawaii, der bereit war, sich der preußischen Kultur anzupassen – ein Musterbeispiel, das sich heute nur wenige zum Vorbild nehmen.
Der preußische König Friedrich Wilhelm III. gilt den wenigen Deutschen, die überhaupt von ihm gehört haben, nicht selten als ewiger Zauderer an der Seite einer starken, leider früh verstorbenen Frau, als Anhänger einer bisweilen zögerlich erscheinenden Neutralitäts- und Friedenspolitik oder als frömmelnder Konservativer, der keinen zusammenhängenden Satz bilden konnte.
Nun, möchte man einwenden, da gab es doch auch die von ihm unterstützten Preußischen Reformen und vielerlei sonst, aber ich beschränke meine Ansichten wohl besser auf Dinge, von denen ich etwas mehr verstehe: Dieser König setzte endlich fort, was Friedrich der Große mit staatlicher und privater Finanzierung 1772 begonnen hatte – den Aufstieg der späterhin unter verschiedenen Namen tätigen Seehandlungs-Companie, hier künftig Seehandlung genannt. Das Unternehmen mit Sitz in Berlin wurde unter Friedrich Wilhelm III. staatliches Handels- und Geldinstitut, das nach dem Ende der Befreiungskriege den Handel mit China, Indien, Südamerika und der Südsee mit eigenen Schiffen aufnahm.
Erstes Schiff der Seehandlung war die in Vegesack bei Bremen gebaute und unter Bremer Flagge fahrende Mentor, die erst im Verlauf ihrer von 1822 bis 1824 währenden berühmtesten Reise – es war ja nicht weniger als die erste von Deutschen ausgeführte Weltumsegelung – gekauft wurde. Das Schiff führte nunmehr die preußische Flagge und wurde zum Vorgänger zahlreicher Nachfolger, die meist auf Werften in Vegesack, Danzig und Swinemünde entstanden. Man kann in der Mentor also den Ursprung einer preußischen Marine sehen, die damals den Frieden und das Brot der Völker in die Welt hinaustrug: Die Seeleute an Bord waren Zivilisten, und die geringe Bewaffnung diente allein dem Schutz vor Piraten.
Die Mentor
Auf der Mentor waren es sechs Kanonen, denen man diese Rolle zugedacht hatte, alles übrige an Bord sprach für gänzlich friedfertige Absichten: Schachspiele, hydrographische und astronomische Literatur, Beschreibungen von maritimen Weltreisen, ein Klavier und in den Luken Ballen schlesischen Tuches. Außer der Besatzung waren beim Auslaufen aus Bremen am 15. Dezember 1822 obendrein Terry, der Pinscher des Kapitäns, zwei Katzen, acht Schweine, 147 Hühner, Gänse und Tauben sowie zwei Kanarienvögel an Bord.
Nebenher: Für Seeleute und für den Duden sind Schiffsnamen – selbst wenn sie den Namen von Männern tragen – immer weiblich, und es hat während vieler Jahrhunderte noch keinen Seemann gegeben, der das als herabwürdigend empfand. Überdies sollten hier sicherlich einige unumgängliche seemännische Begriffe erwähnt werden. So war die Mentor, manchmal mit dem Wieselwort Handelsfregatte bezeichnet, ein Vollschiff. Sie gehörte also einem Großseglertyp an, der mindestens drei rahgetakelte Masten besitzt: Eine Rah oder Rahe ist ein waagerecht und drehbar am Mast befestigtes Rundholz, an dem das Segel angeschlagen wird.
Um dieses Segel besser in den Wind zu bringen, kann der Winkel, den die Rah mit der Längsachse des Schiffes bildet, mit Tauen an den Rahenden (Brassen) verändert werden. Wenn man, zum Beispiel im Sturm, die Segelfläche verringern muss, geschieht das, indem Segelbahnen zusammengerafft und mit daran befestigten Reffbändseln festgebunden werden. Überdies führt ein Vollschifff am achtersten, am hintersten Mast ein zusätzliches, in der Längsachse ausgerichtetes Segel, das Besansegel, mit dem Wende- und Halsemanöver unterstützt werden.
Eine harte Reise
Das Reffen der Segel kann eine der furchtbarsten Arbeiten für die Matrosen sein. Sie entern dabei zuvor über die an Leitern erinnernden Wanten auf und stehen auf den sogenannten Fußpferden, den unter den Rahen gespannten Tauen. Das gibt etwas Halt und behütet meist vor dem Absturz. Dennnoch kostet es viel Kraft, nicht selten auch Haut und Fingernägel, zum Beispiel ein nasses Segel zu reffen. Der auf der Pamir mitreisende Schriftsteller Heinrich Hauser schrieb während einer Umsegelung von Kap Hoorn über jene Männer:
„Segelschiff-Leute sind eine harte Rasse, aber es gibt trotzdem eine Grenze dessen, was der Körper eines Menschen aushält. Kälte, Nässe, Schnee und Hagelböen, zu wenig Schlaf wochen- und wochenlang. Nasses Zeug und nasse Kojen, Quetschungen vom Herumgeschleudertwerden durch die überkommenden Seen, wundgeschlagene Knochen und zerrissene Hände (...)
Es gibt fast keinen mehr, den der Kapitän oder ich noch nicht behandelt hätten. Ich schneide jetzt täglich zwei bis drei Mann. Manchmal sind das kaum mehr Hände, die da zu uns kommen: Hornhautklumpen mit tiefen Schrunden voll schwarzem Dreck, rohes, aufgerissenes Fleisch, dick geschwollene Gelenke voll Eiter unter der Haut. Unser Pflaster geht zu Ende, auch die große Flasche Kreosol. Es ist eine harte Zeit, eine verflucht harte Zeit, und es ist immer noch nicht abzusehen, wann sie zu Ende gehen wird.“
Auch die in der Wesermündung begonnene Reise der Mentor führte um Kap Hoorn und sodann zum Laden von Kupferbarren in die chilenischen Häfen Valparaiso und Coquimbo. Nach weiteren einundvierzig Tagen auf See wurde am 28. November 1823 Honolulu auf der Hawaii-Insel Oahu erreicht: Eine Hafenstadt, in der frisches Wasser übernommen werden musste, weil das mitgeführte faulig geworden war. Dennoch wird kaum einer der Männer an Bord – Kapitän Johann Andreas Harmssen, die Steuerleute Eggers und Wilhelm Wendt, der nach englischem Vorbild Supercargo genannte Ladungsbeauftragte Wilhelm Oswald und sechzehn Besatzungsmitglieder – den unvermuteten Aufenthalt bedauert haben.
Ein junger Hawaiianer
Kapitän Harmssen, Eggers und Wendt, die bisher noch keinen Untergebenen durch Krankheit verloren und alle – damals völlig ungewöhnlich – gesund nach Hause bringen werden, konnten dort der stets mitreisenden Skorbutgefahr durch den Kauf von frischem Obst und Gemüse für die Verpflegung begegnen, Oswald hoffte, dass er auf Hawaii wenigstens einen Teil der mitgeführten Tuchwaren verkaufen würde. Die Leute an Deck hingegen hatten gewiss schon in Hafenkneipen gehört, dass sie in Honolulu Fiddler's Green erwartete: das Seemannsparadies mit einem Meer aus Grog, in dem trunkene Delphine spielen, wo es niemals stürmt und die Bäume an den Ufern statt der Blätter Rumflaschen tragen. Dort spielt die Fiedel Tag und Nacht zum Tanz auf, und spärlich bekleidete, nach Mandeln und Nelken duftende Frauen mit Blumen im Haar sehnen sich danach, von schwieligen Händen gestreichelt zu werden.
Manche dieser Hoffnungen blieben unerfüllt, weil amerikanische Walfänger die Preise in Honolulus Amüsierviertel verdorben hatten. Kapitän Harmssen wiederum musste den Gemüsekauf einschränken und erwarb stattdessen Kleidung und Schmuck sowie zahlreiche Gebrauchs- und Kultgegenstände oder Waffen. Vieles davon stammte aus der Zeit vor der Ankunft britischer und amerikanischer Missionare und war von unermesslichem Wert für jene Wissenschaftler, die sich der Kultur der Südseevölker zuwandten. Auch erwartete ihn eine schwierige Entscheidung: Ein junger Hawaiianer, später Harry Maitey genannt, wollte seine Heimat mit der Mentor verlassen. Eine Verständigung mit ihm war nur sehr eingeschränkt möglich, und die Beweggründe für seinen Entschluss blieben unklar. Es könnte schlicht Abenteuerlust, aber auch die Folge von Auseinandersetzungen auf der Insel gewesen sein, denn der Junge war Waise und erst etwa sechzehn Jahre alt.
Harmssen wird sich an Omai erinnnert haben, an einen Tahitianer, der ein halbes Jahrhundert zuvor dem britischen Kapitän Tobias Furneaux nach England folgte und dann nach einem Jahr mit Kapitän James Cook zurückkehrte. Omai, von der britischen Gesellschaft zum Südseeprinzen erhoben, wurde gefeierter Mittelpunkt von wissenschaftlichen Zusammenkünften, von Bällen und Wohltätigkeitsveranstaltungen. Man lehrte ihn unter anderem so nützliche Dinge wie das Schlittschuhlaufen – weitaus wichtiger war allerdings eine Audienz, bei der König Georg IV. forderte, Omai müsse gegen Pocken geimpft werden. Ihm blieb deshalb das unglückliche Schicksal des Polynesiers Ahutoro aus Tahiti erspart, der mit einem französischen Weltumsegler nach Frankreich gereist war.
Willkommene Migranten in Preußen
Doch Harmssen war sich seiner Verantwortung bewusst und wollte den Jungen nicht daheim zur Schau stellen. Er forschte vergeblich nach Verwandten, befragte einheimische Würdenträger und ließ Harry von einem Arzt untersuchen. Zum Schluss beeindruckte ihn das heftige Verlangen seines Schützlings so sehr, dass er zustimmte. Wie es scheint, haben beide ihre Entscheidungen nicht bereuen müssen. Die Reise der Mentor führte nun über den chinesischen Hafen Kanton, wo 5.000 Kisten Tee und weitere Handelsgüter geladen wurden, über Java und durch den Indischen Ozean um das Kap der Guten Hoffnung in den Atlantik. Sie endete nach rund 39.000 Seemeilen am 14. September 1824 in Swinemünde bei Stettin.
Die erste deutsche Weltumseglung hatte somit ein Jahr und 273 Tage gedauert, darunter 362 Tage auf hoher See. Stellvertretend für die Leistungen der gesamten Besatzung wurde Kapitän Johann Andreas Harmssen von König Friedrich Wilhelm III. empfangen und mit dem Allgemeinen Ehrenzeichen Erster Klasse ausgezeichnet. Denn der Erfolg war in bedeutendem Maße ihm zu verdanken: Zum Beispiel gelang es Harmssen während eines dreitägigen Orkans, den die Mentor auf der Reede von Valparaiso überstand, sein Schiff zu retten, während zwei Dutzend andere an den Strand getrieben und zu Wracks zerschlagen wurden. Aber in Preußen ging es sparsam und bescheiden zu: Ein Denkmal, wie andere Länder es ihren ersten Weltumseglern setzten, wird man hierzulande vergeblich suchen. Vielleicht ist das auch gut so – es wäre in unserer Zeit sicherlich beschmiert oder zerstört worden, weil nach der Ansicht ebenso unbedarfter wie aggressiver Wirrköpfe eine historische Kontinuität von Preußen in die schwärzeste Zeit deutscher Geschichte führte.
Überdies sollte man nach Meinung jener einem Mann, der „einen unbegleiteten Jugendlichen entführte“, kein Denkmal setzen. Dabei waren Migranten in Preußen fraglos sehr wilkommen, nicht erst seit dem Toleranzedikt von 1685: Holländer kamen seit dem Mittelalter, dann zum Beispiel zehntausende Hugenotten aus Frankreich oder Protestanten aus Österreich. Letztere hatte übrigens der heute gern angeprangerte „Soldatenkönig“ gerufen, dessen Heer lediglich ein paar Tage an einer Belagerung teilgenommen hatte. Gern gesehen und mit den Bürgerrechten beschenkt wurde man freilich nur, wenn man auch die Pflichten eines Bürgers erfüllte, und das hieß in Preußen selbstverständlich: zumindest für den eigenen Lebensunterhalt zu arbeiten und die Gesetze und Gewohnheiten im Lande zu respektieren.
Eine ungewisse Zukunft
Dies galt künftig auch für Harry Maitey, der von der Schiffsführung und den Matrosen als ausgeglichen, freundlich und umgänglich geschildert wurde und an der Überfahrt nur als staunender Passagier teilnahm: Unverhoffte Mitteilungen, von denen ich wie vieles andere in einem einfühlsamen Buch von Michael Stoffregen-Büller gelesen habe. Erstaunlich deshalb, weil der ungewohnte Seegang Harry ebenso zu schaffen gemacht haben muss wie die Ungewisssheit über seine Zukunft in einem fremden Kulturkreis, die Enge an Bord, das Wetter, die unverständliche Sprache, das ungewohnte Essen – zum Glück aß man auch auf Hawaii Schweinefleisch – und die Wasserknappheit. Die Zeit während der Seetörns vertrieb er sich unter anderem mit kleinen Schnitzarbeiten: Etwas, das sich späterhin ebenso wiederholen würde wie der Ausruf „maitai“ mit dem er alles bedachte, das ihm angesichts der geblähten Segel oder der oft waghalsigen Tätigkeit seiner Begleiter bewundernswert erschien.
Nach dem kameradschaftlich vergebenen Vornamen Harry bekam er damit auch einen Nachnamen. Als die Reise endete, nahm Christian Rother, Königlicher Commissarius und Chef der Seehandlung, den Jungen in sein Haus in Berlin und in seine Familie auf. Auch dort hieß es, er sei ein angenehmer, gutmütiger Mensch mit dem ausgeprägten Hang, sich modisch zu kleiden. Heutigen Fachleuten für das Aufspüren rassistischer Neigungen erscheint gewiss mitteilenswerter, dass er während gelegentlicher Zusammenkünfte im Hause Rother auch als Tischdiener tätig war. Während einer Ausstellung über Brandenburgs koloniale Vergangenheit ist nämlich kürzlich wortreich beklagt worden, farbige Tischdiener wären auf zeitgenössischen Darstellungen fast nie oder nur am Rande erschienen. Dabei ist doch gemeinhin bekannt, dass Diener in anderen Kulturen stets im Mittelpunkt standen. Genug, wirklich verletzt hat den jungen Mann zunächst vielleicht der Tag, an dem er das Haus Rother verlassen musste, obwohl das zweifellos besser für seine künftige Entwicklung war.
Harrry Maitey geriet nun auf die Pfaueninsel im Berliner Umland, auf flaches Land im stillen Wasser der Havel, das mancher Preußens Arkadien genannt hat. Dort tollte einst der Vater Friedrich Wilhelms III. mit der schönen Wilhelmine umher, der Sohn liebte das Eiland wegen der Erinnerungen an seine Frau Luise und ließ Gärtner und Forstleute tätig werden. Unweit vom noch von der schönen Wilhelmine entworfenen Schloss entstanden eine Pumpstation, ein Gästehaus und eine Meierei, und Friedrich Wilhelm vergaß nicht, seiner Luise einen Tempel errichten zu lassen. Dem folgten ein Tierpark, Volieren und ein kleiner Zoo, zu dem Seehandlungschef Rother einen Löwen beisteuerte. Nach einem Schulbesuch, denn das Deutsche bereitete ihm immer noch Schwierigkeiten, war das ein schöner Arbeitsplatz für Preußens ersten Migranten aus der Südsee.
Zusammenwachsen oder Zerstören?
Er ließ sich taufen und wurde als Mündel des Königs mit dem Namen Wilhelm Heinrich Maitey Gehilfe des Maschinenmeisters auf der Pfaueninsel. Dort erhielt er eine Ausbildung zum Schlosser und Tischler. Offenbar gefiel es ihm gut auf der Insel, wenngleich das preußische Arkadien seiner Heimat nun wirklich nicht ähnlich war: kein strahlendes Licht, keine Brandung, kein Salz auf der Haut. Zudem gab es ringsum wohl nicht nur wohlwollende Menschen, sondern auch solche, die ihn als tätowierten Kannibalen verleumdeten. Alllerdings ist nur eine größere Unstimmigkeit überliefert: Die seit der Ankunft des Gehilfen angefertigten, viel bewunderten geschnitzten Miniaturen aus kostbarem Holz und Elfenbein, zum Teil Darstellungen von Potsdamer Bauten, galten als Werke des Maschinenmeisters. Nachdem Harry Maitey die Insel verlassen hatte, entstanden freilich keine mehr.
Der Grund für den Umzug war Dorothea Charlotte Becker, die Tochter des Tierwärters auf der Pfaueninsel. Die beiden heirateten, lebten in Klein-Glienicke bei Potsdam und hatten drei Kinder. So geht das bisweilen zu, wenn man bereit ist, für den eigenen Unterhalt zu arbeiten und die Gesetze und Gewohnheiten des Landes zu achten, das einem Zuflucht gewährt. Dergleichen mag manchem in den Sinn kommen, der heutige Zustände mißbilligt und Harry Maiteys Grab auf einem Friedhof hoch über der Pfaueninsel besucht. Da liegen kleine Steinchen und manchmal auch ein tropisches Schneckengehäuse auf dem Grabkreuz, das er mit seiner Frau und den Schwiegereltern teilt. Nur drei Schritte daneben verkündet ein vermoderndes hölzernes Kreuz „gef. 1945“, und um das Kreuz verstreute Steine tragen Namen. Es werden auch mehrere Tote darunter liegen, deren Namen vergessen sind, weil hier in den letzten Kriegstagen ein russischer Panzer auffuhr und dabei einen Teil der Gräber zerstörte.
Inzwischen sind Harry Maitey Millionen Migranten gefolgt, und nicht alle zeigen das Bemühen, tätig und achtungsvoll mit uns zu leben, obwohl große Anstrengungen und sehr viele Milliarden aufgewendet werden, um den Ankömmlingen nicht allein Schutz, Unterkunft und Nahrung zu gewähren.
P. Werner Lange, ursprünglich Seemann, ist ein deutscher Autor von Biografien, Reisebeschreibungen, erzählenden Sachbüchern und Hörspielen. Er lebt bei Berlin.