Adorján Kovács, Gastautor / 30.10.2020 / 06:00 / Foto: Pixabay / 76 / Seite ausdrucken

Sterben verboten!

Von Adorján Kovács.

Derzeit grassiert ein neuer, ein seltsamer Wunsch und ist in aller Munde: „Bleiben Sie gesund!“, heißt es. Sehr schön, aber was soll das in der aktuellen Situation bedeuten? Doch wohl kaum den ernsthaften Wunsch nach ewiger Gesundheit, der sowieso nicht zu erfüllen ist, sondern um lediglich den, nicht an Covid-19 zu erkranken. In dieser Floskel schwingt also irrigerweise mit, dass es nur noch diese offiziell zur Pandemie erklärte Krankheit gibt und alle anderen Krankheiten, die Grippe sowieso, keine Rolle spielen. So in etwa fühlt sich auch an, was die Politik derzeit macht.

Der Psychologe und Theologe Manfred Lütz hat 2011 in der WELT ein Interview gegeben, das die neue Religion des Gesundheitswahns in all ihrer Verlogenheit angeprangert hat. Dass aufgrund des „religiösen Vakuums“ die Menschen für „Ersatzreligionen“ empfänglich seien, ist ja eine bekannte und auch richtige These;  Lütz nannte „Kunstprodukte“ wie den „Buddhismus aus der Dose“, und es ist nicht schwer, weitere Beispiele wie jene zu finden, die zur Entdeckung neuer Geschlechter führen oder sich besonders freitags äußern. Lütz führte aus: „Wenn es keinen lieben Gott gibt und mit dem Tod alles aus ist, dann wird es hektisch im Leben. Mit allen Mitteln versucht man, den Tod zu bekämpfen, denn der Tod ist der Todfeind der Gesundheitsreligion. Man versucht quasi, das ewige Leben im Diesseits zu produzieren, was natürlich ein völlig aussichtsloses Projekt ist.“ Denn „auch wer gesund stirbt, ist definitiv tot.“ 

Seit einem Dreivierteljahr leben die Menschen in Deutschland wegen der Corona-Krise nur noch „vorbeugend“. Sie begreifen nicht, dass „Gesundheit nur eine Rahmenbedingung für das Leben ist, aber nicht das Leben selbst. Um den Tod zu vermeiden, nehmen sie sich das Leben. Und sterben dann doch.“ Dieses Bild, in dem man aus Angst vor dem Tod Selbstmord begeht, ist schon oft gebraucht worden in dieser Zeit, in der der Lockdown, eine so genannte „nichtpharmakologische Intervention“ gegen eine, von der WHO zur „Seuche“ erklärte, virusbedingte akute Atemwegserkrankung zu unerhörten Nebenwirkungen verschiedenster Art, sehr wahrscheinlich auch zusätzlichen Toten, geführt hat.

Ohne auf die große Zahl an Inkonsistenzen und Fehlern einzugehen, die von der Politik gemacht wurden und immer noch werden (wenn es denn Fehler sind und nicht Absicht), und auf die viele Andere schon hingewiesen haben, sei stellvertretend auf die vom RKI genannte, irreführende Zahl von bisher offiziell 10.000 an und mit Covid-19 Verstorbenen hingewiesen. Üblicherweise wird saisonal gezählt, also von etwa Oktober bis April. Auch die Grippe ist im Herbst (wenn auch leicht mutiert) immer wiedergekommen, wurde aber nie als „zweite Welle“ bezeichnet und auch die an ihr Verstorbenen wurden nicht über das ganze Jahr hinweg addiert. Korrekterweise hätte das RKI im Oktober erneut zu zählen anfangen müssen. Aber dann würde sich die Zahl der Verstorbenen nicht so dramatisch lesen. Es ist paradox: Um sich vor dem Tod an Covid-19 zu schützen, werden die Todeszahlen künstlich hochgejazzt.

Als würden die Leichen massenhaft in Rhein und Donau treiben

Mit Gesundheit kann eben Politik gemacht werden. Erst recht, wenn der Gesundheitsbegriff „sakralisiert“ wird, das heißt, wenn die WHO-Definition, Gesundheit sei „völliges körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden“, ernst genommen wird. Lütz sagte völlig richtig, dass dieser „utopische Gesundheitsbegriff“ dazu führt, dass praktisch niemand gesund ist. Und er wies darauf hin, dass „ein Ziel, das zwar das höchste ist, aber niemals erreicht werden kann, der neue Goldesel“ sei, eine „Gelddruckmaschine“ für die Gesundheitsindustrie. Außerdem führe eine Gesundheitspolitik „in die Sackgasse, denn Politik ist die Kunst des Abwägens. Ein höchstes Gut können Sie aber gar nicht abwägen, dafür müssen Sie immer alles tun oder es wenigstens behaupten. Wer da als Politiker ernsthaft für irgendwelche Einschränkungen [bei der Maximalpolitik] eintreten würde, wäre nicht mehr wählbar.“ Kommt uns das heute nicht sehr bekannt vor angesichts der sich gegenseitig überbietenden Ge- und vor allem Verbotswut, die entfesselte Politiker ergriffen hat? Wer ist der knallhärteste Macher? Wer ordnet die strengsten Maßnahmen an? Es gibt gar nicht einmal so wenige Bürger, die noch mehr Verbote fordern, als würden die Leichen massenhaft in Rhein und Donau treiben. Natürlich ist Covid-19 eine reale Erkrankung, die Maßnahmen erfordert, aber welche? Diejenigen, die Schweden ergriffen hat, oder die deutschen? Eine rationale Auseinandersetzung in dieser Frage ist doch gar nicht mehr möglich.

Lütz erwähnt auch, dass wegen des „religiös aufgeladenen“ Gesundheitsbegriffs immer öfter Leute „als krank gelten, die gar nicht krank sind.“ Gerade im Bereich der Schönheitschirurgie werden immer neue, angeblich behandlungsbedürftige „Krankheiten“ entdeckt. Es ist eben auch so, dass Krankheiten durchaus erwünscht sein können, so pervers sich das anhören mag. Je mehr Krankheiten, desto mehr Möglichkeiten der Therapie (und des Verdienstes – in des Wortes doppelter Bedeutung). Covid-19 hat natürlich auch Profiteure aller Art. Deswegen sind auch Ärzte, vor allem Theoretiker, die in Labors arbeiten und nicht unmittelbaren Patientenkontakt haben, nicht frei davon, bei einer neuen Viruserkrankung begeistert zu sein über neue Arbeitsmöglichkeiten. Das Leiden der Menschen ist nicht das erste, was sie sehen. Sie sehen zum Beispiel: Ich habe als Erster den Verlust des Geschmackssinns beschrieben! Endlich gibt es freie Bahn für einen neuen genbasierten Impfstoff! Und welche Ehre, hieße es dereinst: Morbus Drosten!

Der Wunsch: „Bleiben Sie gesund!“ ist für chronisch Kranke ein Hohn, schrieb Lütz. Er ist mindestens so gedankenlos wie der Spruch: „Hauptsache gesund!“, der zum Beispiel von Geburt an Herzkranken unterstellt, nie in ihrem Leben die Hauptsache erlebt zu haben. Die problematische Gesundheitsreligion, die sich aktuell zum toxischen Gesundheitswahn auswächst, der ja in seinen konkreten Maßnahmen wie auch in Gesetzen und Gesetzentwürfen diktatorische Züge trägt, wirft wichtige Fragen auf, die unbeantwortet geblieben sind: Werden die undemokratischen Vollmachten wieder rückgängig gemacht, die sich die Politik selbstherrlich genehmigt hat? Wann genau? Wie können die ergriffenen Zwangsmaßnahmen überhaupt je beendet werden? Denn es wird immer Krankheiten geben, genauso wie Kranke. Auch ein Impfstoff gegen das neue Corona-Virus kann nicht ernsthaft als Rettung angepriesen werden, denn das Virus wird sich verändern oder neue Viren werden auftreten. Soll dann alles wieder von vorne losgehen? 

Beim Terror heißt es immer: Es gibt keine absolute Sicherheit

Die Maximierung, das Alles-tun-müssen, ist die große Gefahr der Gesundheitsreligion. Politik war früher einmal die Kunst des Machbaren. Wenn aber alles gemacht werden muss und tatsächlich auch gemacht werden kann, ist es aus mit dem Abwägen: weil mit der Angst der Menschen gespielt wird und man mit ihrem Gesundheitswahn, der den Tod nicht nur aus dem Alltag, sondern aus dem ganzen Denken verbannt hat, rechnen kann. Dabei ist die Politik (einmal mehr) inkonsistent. Beim Terror heißt es immer: Es gibt keine absolute Sicherheit. Das Bombenattentat, der Messermord, das Massaker: All dies darf stattfinden, weil die Freiheit nicht eingeschränkt werden dürfe. Man müsse dem Terror mit „mürrischer Indifferenz“ begegnen. Warum nicht auch Covid-19? Bei der Gesundheit soll es offenbar absolute Sicherheit durch maximale Freiheitseinschränkung geben, koste es, was es wolle, auch wenn die allermeisten der leider an Covid-19 Verstorbenen die durchschnittliche Lebenserwartung überschritten haben. 

Man könnte sagen, das Neue Corona-Virus sei schließlich gefährlicher als Terror, weil es mehr Menschen tötet. Richtig, aber es ist immer noch eine natürliche Todesursache, der Terror nicht. Täglich sterben in Deutschland etwa 2.500 Menschen, davon jetzt etwa 50 an und mit Covid-19, also zwei Prozent. Warum geht die Politik nicht gegen Erkrankungen, die wesentlich häufiger Todesursachen sind, mit der gleichen Vehemenz vor? Warum hat sie die viel mehr Toten der vergangenen Grippeepidemien so vergleichsweise schäbig behandelt?

Wenn die jetzige Gesundheitspolitik wirklich medizinische Gründe hat, dann liegen sie im von Lütz beschriebenen „Gesundheitswahn“, der die Politik zu absurden Zielen treibt: Der Tod soll nicht mehr stattfinden. Das ist die letzte Konsequenz. Man wird an ein altes Titelbild der Satirezeitschrift TITANIC erinnert, auf dem zu den Worten „Unglaublich! Bonn rettet den Wald!“ Folgendes zu sehen war: an einem Baum befestigt, ein offizielles Schild in gelber Farbe mit dem Text: „Waldsterben verboten! Die Bundesregierung.“ Vielleicht ist das für das Sterben der Menschen auch die Lösung: einfach verbieten! Beim Wald hat es ja angeblich geklappt.

 

Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. habil. Adorján Kovács, geboren 1958 in Stolzenau an der Weser, ist niedergelassener Mund-, Kiefer-, und Gesichtschirurg. Er hat 20 Jahre an einer Universitätsklinik gearbeitet, über 150 wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht und sich zur regionalen Chemotherapie bei Kopf-Hals-Krebspatienten habilitiert. Er ist auch publizistisch tätig.

Foto: Pixabay

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Stephan Ramb / 30.10.2020

eine sehr treffende und wahre Beschreibung, vielen Dank

Wilfried Cremer / 30.10.2020

Der Wunsch nach ewigem Leben lässt sich mit Corona locker transformieren in den Wunsch nach langer Machtausübung. Deshalb muss Frau Merkel leider weitermachen. Isso.

D. Schmidt / 30.10.2020

Mit “Bleiben Sie gesund” will man wohl sagen: Kommen Sie gut durch die Isolationshaft und begehen keinen Selbstmord wenn ihnen inzwischen die Decke auf den Kopf fällt. Da fallen mir doch gleich wieder die Beipackzettel in div. Medikamenten ein. Manche Nebenwirkung sind ja schlimmer als das zu lösende Problem selbst. Äh, passt das jetzt zusammen? (g)

Hannes Krautner / 30.10.2020

Sterben verboten? - Nur das Sterben an und mit Corona ist verboten. Alle andere Sterbeursachen spielen keine Rolle.

dr. michael kubina / 30.10.2020

Die 10.000 “Coronatoten” bisher sind eine total irreführende Zahl. Ca. 8.000 davon stammen aus der Zeit Mitte März bis Mitte Mai, also sind in zwei Monaten gestorben. D.h. in den fünfeinhalb Monaten seitdem sind nur 2.000 Menschen an oder mit Corona gestorben, oder im Schnitt 12 Menschen pro Tag bei insgesamt 2500 Toten täglich in Deutschland. Warum die Zahl seit Mitte Mai kaum noch wächst, ist nicht so eindeutig festzustellen, aber zu den Gründen zählen sicher: falsche Behandlungen, kein Schutz von Risikogruppen, möglicherweise ist das Virus auch inzwischen weniger gefährlich.

Karsten Dörre / 30.10.2020

Während in Coronazeiten Arztpraxen und Kliniken schließen, niemanden reinlassen bzw. wegen Ansteckungsgefahr Behandlungen auf “nach Corona” verschieben, bleiben Apotheken fürs Volk geöffnet. Mein neuer Hausarzt heisst Dr. Karl Lauterbach, der ca. 3x/Woche Fernsehsprechstunden abhält. Hinzu kommen die Fachärzte der Epidemiologie, die 1x wöchentlich im Radio Corona-Sprechstunde geben (NDR). Covid-19 offenbart die seit vielen Jahren schleichende Zerstörung des weltweiten Gesundheitssystems. Wenn Ärzte neuerdings Angst vor Krankheiten haben und Pflegepersonal wegen des Arbeitsalltags auf einer Intensivstation öffentlichkeitswirksam in Videos herumschluchzen, Arztpraxen auf Sparflamme runtergefahren, dann ist das moderne “Bleiben Sie gesund!” und die regierungsabgesegnete Öffnung der Apotheken für jederman folgerichtig.

Ebs Werner / 30.10.2020

Warum die Politik nicht auch gegen andere Krankheiten so vehement vorgeht? Weil es längst nicht mehr um die Gesundheit geht. Machtzuwachs für machtgeile Politiker ist das eigentliche, nur noch schlecht getarnte Ziel. Und da heiligt der Zweck bekanntlich die Mittel.

Michael Liebler / 30.10.2020

“Wir sind nur Gast auf Erden und wandern ohne Ruh, mit mancherlei Beschwerden der ewigen Heimat zu”. Dieses Lied wird auf jeder katholischen Beerdigung gesungen. Man sollte darüber nachdenken und es verinnerlichen und damit abfinden. Danach geht einem dieser Wahn am Hintern vorbei.

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