Peter Grimm / 19.12.2018 / 15:48 / Foto: Elvert Barnes / 80 / Seite ausdrucken

„Spiegel“ entleibt sich mit Fake-News-Reporter

Claas Relotius, Autor und Redakteur des „Spiegel“, mehrfach preisgekrönt für seine Reportagen, muss das Haus verlassen und die Redaktion musste eingestehen, dass der Mann, den der „Spiegel“ als „ein journalistisches Idol seiner Generation“ beschreibt, schlicht vollkommen erfundene Reportagen produziert hat. Im Artikel, mit dem sein bisheriger Arbeitgeber die Publikation von Fälschungen einräumt, heißt es freundlich, dass er „kein Reporter ist, sondern dass er schön gemachte Märchen erzählt, wann immer es ihm gefällt.“ Außerdem wird darauf verwiesen, dass nicht alles falsch war, was unter seinem Namen erschien: „ … manche Geschichten sind nach seinen eigenen Angaben sauber recherchiert und Fake-frei“.

Eine E-Mail vom 3. Dezember habe die Fake-Blase platzen lassen, wie der „Spiegel“ selbst schreibt: „Eine ‚Jan‘ meldet sich, das ist kurz für: Janet, sie macht die Pressearbeit für eine Bürgerwehr in Arizona, die entlang der Grenze zu Mexiko Streife auf eigene Faust läuft. Sie fragt Relotius, der über diese Bürgerwehr zwei Wochen zuvor in der dunkel schillernden SPIEGEL-Reportage „Jaegers Grenze“ geschrieben zu haben vorgab, wie das denn zugehe? Wie Relotius Artikel über ihre Gruppe verfassen könne, ohne für ein Interview vorbeizukommen? Und dass es doch sehr seltsam auf sie wirke, dass ein Journalist Geschichten schreibe, ohne vor Ort Fakten einzusammeln.

Der ganze Beitrag stellt sich als Fälschung heraus, der offenbar noch weitere Fake-News-Enttarnungen gefolgt sind. Man fragt sich natürlich, warum beim Spiegel keiner merkt, wenn die eigenen Kollegen gar nicht an die Orte reisen, aus denen sie berichten. Vor dieser Frage stehen nun auch die Spiegel-Redakteure und suchen nach Antworten:

„Wenn Relotius schreibt, die kleine Stadt zähle „drei Kirchen, zwei Jagdklubs und eine Hauptstraße, die sich kilometerlang zwischen heruntergekommenen Flachbauten hinzieht“, wäre das dank der vielen Möglichkeiten des Internets wohl auch überprüfbar, aber hier geht es schon hinein in die Recherche des Journalisten vor Ort. Seine Arbeit basiert auf einem Grundvertrauen, das ihm die Redaktion zu Hause schenkt.“

„Wie ein Trauerfall in der Familie“

Könnte es nicht vielleicht auch sein, dass das Vertrauen dadurch gestärkt wurde, dass Relotius oft genau die Geschichten geliefert hat, die das richtige Weltbild bedienten? Und dann waren sie offenbar auch noch so gut geschrieben, dass man gar nichts hinterfragen mochte: „Die kruden Potpourris, die wie meisterhafte Reportagen aussahen, machten ihn zu einem der erfolgreichsten Journalisten dieser Jahre“, schreibt der Spiegel selbst. Vielleicht ist in Zeiten, in denen selbst in Verbandszeitschriften der Journalisten dafür geworben wird, vor allem auf das Zeigen der richtigen Haltung und weniger auf die Recherche zu achten, die Verbreitung guter Fake-News besonders leicht.

Verständlich, dass in der Spiegel-Redaktion nun schwere Betroffenheit herrscht, vor allem, weil sich die Kollegen dort in einer ungewohnten Rolle befinden. Statt anzuklagen müssen sie zunächst Reue zeigen:

„Diese Enthüllung, die einer Selbstanzeige gleichkommt, ist für den SPIEGEL, für seine Redaktion, seine Dokumentationsabteilung, seinen Verlag, sie ist für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein Schock. Die Kolleginnen und Kollegen sind tief erschüttert. Auf dem Flur im neunten Stock des SPIEGEL-Hauses, auf dem Relotius‘ Zimmer 09-161 lag, sind Belegschaft und Leitung des Gesellschaftsressorts, in dem er arbeitete, fassungslos und traurig. Ein Kollege, der viel mit Relotius‘ Texten zu tun hatte, sagte Anfang dieser Woche, die Affäre fühle sich an ‚wie ein Trauerfall in der Familie‘.“

Zu diesem Trauerfall können wir nur unser Beileid aussprechen. Fehler unterlaufen einem leider zumeist dort, wo man es nicht erwartet. Aber man kann ja aus ihnen lernen. Beispielsweise auch die am besten weltbildkonformen Geschichten wieder kritischer zu hinterfragen und Fakten, die nicht so recht weltbildkompatibel sein wollen, dennoch als Teil der Wirklichkeit anzuerkennen und so zu behandeln. Recherche ist eben doch wichtiger als Haltung, zumindest im journalistischen Gewerk.

Der Beitrag erschien auch hier auf sichtplatz.de

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H.Milde / 19.12.2018

Ein zweiter Stern/Kujau? Da viele Qualitätsjournalisten, mM auch im Spiegel, Geschichten eher “herrschaftskonform” schreiben, Unliebsames weglassen, und damit Wahrheiten unterdrücken, würde ich sagen, gleiche Noten, gleiches Orchester und gleiche Musik. Was war das noch ein Blatt unter Augstein, herrlich die “Spiegel-Affäre” vs Strauß etc. Nix mehr 4te Macht, nur noch HalalNews. Auch die Obertanen haben ja viel Distanz zur Realität, Berufsleben, Sorgen und Nöte der Nichtmigranten. Er, der Ertappte, hat eher einiges an Reisespesen eingespart, und damit vor allem an CO2.! Das müsste doch der WeltRettungsKlimaFlüchtlingsKanzlerin zusagen, oder? Also Nix verkehrt gelaufen, kein historischer Betrug wie Kujau & Stern. Nur MainStreamQualitätsjournalismus. Uff, Ball flach halten, alles halal.    ; )

Volker Kleinophorst / 19.12.2018

Komm Spiegel, jetzt mal den Staub aus den Klamotten und dann: Trump, Putin und die AfD haben uns zum Lügen gezwungen. Was stirbt zuerst Spiegel oder SPD?

Gidon David / 19.12.2018

Mit Jakob Augstein gesprochen, möchte man nicht ohne Häme anmerken: Im Zweifel stinkt’s!

Klaus Peter / 19.12.2018

Claas Relotius hat auch sehr viel “Objektives” aus der Ukraine und Syrien bzw. von den dortigen Kriegsschauplätzen berichtet. Mich würde nicht wundern, wenn auch hier…....... Herr Relotius sollte auf jeden Fall ein Fortbildungs-Seminar bei Frau Johanna Wild besuchen, das war die mit dem “werteorientierten Journalismus”. Fake You!

D. J. Katz / 19.12.2018

Ich würde erst mal mit einem Urteil warten. Ob man dem Spiegel die Relotius-Geschichte glauben kann? Warum sollte man? Warum ausgerechnet diese?

Gerhard Mader / 19.12.2018

Es wird wohl keinem “Spiegel-Freund” gelingen, sich angesichts dessen Häme zu verkneifen. Aber nicht nur ... nicht nur.

P.Steigert / 19.12.2018

Ich warte auf die ersten Fälle beim Regierungspropagangafernsehen 1+2. Nur kann ich mir schlecht vorstellen, welche Art von Lüge oder Manipulation die überhaupt noch zugeben würden, nachdem die Chemnitz-Sache so gar keine Folgen hatte. Die Spiegel-Geschichte kann bei der deutschen Journalisten-Clique nur die Spitze des Eisberges sein oder der aufgekratzeTeil einer riesigen Giftmülldeponie.

Marc Blenk / 19.12.2018

Lieber Herr Grimm, mich wundert nur, dass die Sache auf so banale Weise ans Licht kam. Aber sie sagen es selbst. In diesem Umfeld, wo die Gesinnung mehr zählt als die Wahrheit, ist das alles andere als ein Schock. Der kam als Kulturschock totalitärer Weltsicht schon früher und gar nicht so abrupt, sondern schleichend. Und jetzt tun sie beim Spiegel sicher so, als hätte das Verhalten des Fälschers nichts mit dieser gerade beim Spiegel längst durchgesetzten Gesinnungsjournaille zu tun, in der Wirklichkeit Wunsch und Gesinnung angepasst wird. Diese zunehmend mit dem Mittel der Denunziation arbeitenden Redakteure sollten sich beim Blick in den Spiegel schämen oder sich schnellstens eine Babbel - App für koreanisch herunterladen, sich bei Kim Jong un melden und bitte nie mehr in Deutschland etwas veröffentlichen. Die Lüge im Spiegel ist systemimmanent.

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