Thilo Schneider / 10.09.2023 / 15:00 / Foto: Timo Raab / 32 / Seite ausdrucken

SOS von der sinkenden “Titanic”

Get woke – go broke gilt augenscheinlich auch auf dem Printmarkt. Jetzt sinkt gerade das einst stolze Satiremagazin Titanic. Das Team kommt aber bestimmt in einem der öffentlich-rechtlichen Rettungsboote unter. Bis es so weit ist, spielt die Bordkapelle in Frankfurt aber noch.

Kurz vor der bayerischen Landtagswahl 2003 fuhr am Ende der hiesigen Ortschaft (oder, je nach Laufrichtung, Anfang) ein roter Kleinbus vor. Er trug die Aufschrift: „SPD – wir geben auf“. Der Bus hielt, ein paar Leute – unter anderem ein gewisser Martin Sonneborn – stiegen aus, bauten einen jämmerlichen Klapptisch und drei Plakate auf und begannen mit dem „Wahlkampf“ nach dem Motto „SPD – Ihre bewährte Opposition“. Ich weiß es deshalb, weil ich damals voller Verwirrung und Bewunderung vor dem Wägelchen stand und mir nicht sicher war, ob das nun Spaß oder einfach nur die Anerkennung von Realitäten war. Die CSU räumte damals mit Stoiber übrigens 60,7 % bei einem Zuwachs von 7,8 % der Stimmen alles ab, was es abzuräumen gab, während die SPD mit Franz Maget mit 19,6 % und einem Verlust von 9,1% abgebügelt wurde. Heute wären 19,6 % ein Traumergebnis und Florian von Brunn der bundesweite SPD-Held. Aber das nur am Rande der Bedeutungslosigkeit.

Wie sich herausstellte, war die ganze Aktion ein Scherz des Satiremagazins Titanic und ein ähnlich echter Bringer wie der gefälschte Brief 2000, in dem den FIFA-Granden Schwarzwälder Schinken und Kuckucksuhren versprochen werden, wenn sie die Fußball-WM 2006 nach Deutschland vergeben.

In einem Satz: Wenn Du als Politiker Pech hattest, hattest Du die Titanic am Schuh und bist hereingefallen. Und sie keilten nach allen Seiten aus, die Frankfurter Straßenjungs. Hemmungslos, wild und manchmal an der Grenze des guten Geschmacks. Und noch manchmaler darüber. Und deswegen hatte ich sie im Abo.

Lange ist das her. Martin Sonneborn ist mit der PARTEI, vor allem aber mit seiner Arbeit als EU-Abgeordneter beschäftigt, die er zur Überraschung aller Zuschauer sehr ernst nimmt und nicht nur rednerisch brillant, sondern auch schriftlich hervorragend dokumentiert. Meine erste Wahl bei der Europawahl. Diesen Reißnagel im Hintern des arroganten EU-Präsidiums will ich dringend erhalten. Da wäre meiner Ansicht nach Potential für mehr, würde sich die PARTEI weniger wie eine LINKE 2.0 aufführen und wäre dem Kurs des nach allen Seiten austeilenden Satireprojekts treu geblieben. 

5000 neue Abos erbeten

Und die Titanic heute so? Sie bettelt um Spenden und Abonnenten. Auf ihrer Homepage heißt es, witzigwitzigwitzig: 

Sie können nicht alle retten, uns aber schon: TITANIC zu unterstützen war noch nie so dringend, aber auch noch nie so einfach! Die Inflation, hohe Papierpreise und der Bierkonsum von Tom Hintner – die Ausgaben von TITANIC steigen, während die Einnahmen sinken: Deshalb ist TITANIC so pleite wie noch nie! Um trotzdem weitermachen zu können, braucht TITANIC 5000 neue Abos. Und Ihre Unterstützung.

Darunter finden sich die „satirischen“ oder satirischen Beiträge:

Fakt: Die ecuadorianische Polizei hat in einem Schiffscontainer mit Bananen mehr als eine Tonne Kokain für den deutschen Markt beschlagnahmt.  Frage: Muss der nächste FDP-Parteitag jetzt vorsorglich verschoben werden?

Ein Kracher. Komm! Ein Kracher! Mussten Sie auch so laut lachen? Ich auch nicht. Entschuldigen Sie den Gähn-Reflex.

Eine weitere Kotzprobe:

Markus Söder hält trotz Flugblatt-Affäre an seinem Stellvertreter Hubert Aiwanger fest. Eine Entlassung wäre "nicht verhältnismäßig", so Söder. Erst folgende Entgleisungen würden eine Entlassung rechtfertigen:  

  • Besuch des Oktoberfestes ohne zünftigen Vollrausch
  • Linksterroristische Akte (etwa eine SPD-Mitgliedschaft)  
  • Im Wohnzimmer kein Kruzifix aufhängen
  • Hochdeutsch sprechen  
  • Windräder gut finden  
  • Unter der Anzugs- keine Lederhose tragen
  • Den Tag nicht mit einem g’sunden Weißwurstfrühstück beginnen
  • Tragen eines Borussia-Dortmund-Trikots

Mega! Aus meiner Sicht. Und zwar Mega-Scheiße. Das ist „heute-show“-Niveau, nur, dass ich hier das Privileg habe, diese Dümmlichkeiten nicht finanzieren zu müssen. Ich kann mich deshalb ganz gemütlich mit Hendl und einer Maß zurücklehnen und der Titanic bei ihrem Siechtum zusehen. Ob die 5.000 Bonusabonnenten gefunden werden, um dieses einst echte Kultmagazin und Kulturgut („Zonen-Gabi im Glück: Meine erste Banane“ HAT Kultstatus – bis heute!) zu retten – es ist mir egal. 

„Lehrermagazine“ gibt es schon genug

Ich stelle mir die derzeitige Führerinnenredakteurin der Titanic, Laura Brinkmann, vor, wie sie in ihrem unterirdisch schlecht eingerichteten Bunkerbüro sitzt und ihre Autoren anbrüllt: „SONNEBORN! ICH WILL SONNENBORN!“ 

Get woke – go broke gilt augenscheinlich auch oder gerade auf dem Printmarkt. „Lehrermagazine“ gibt es jedenfalls schon genug, die mir (und den anderen mittlerweile alten weißen Männern) das Leben erklären, wie es zu sein hat. Und falls Sie lieber die Achse als Pate oder Spender begleiten möchten, dann können Sie dies ruhigen Gewissens tun: Das Team der sinkenden Titanic kommt bestimmt in einem der öffentlich-rechtlichen Rettungsboote unter. Bis es so weit ist, spielt die Bordkapelle in Frankfurt:

"Schon gehört? Frankreichs Präsident Emmanuel Macron möchte Einheitskleidung für französische Schülerinnen und Schüler."

"Ja, angeblich soll es verpflichtend sein, gestreifte Shirts, Baskenmützen und ein Baguette unterm Arm zu tragen."

Ja GENUA! Kracher. Einer, der nach hinten losgeht. Und die Polen klauen Autos und die Niederländer sind alle Käsefresser. Ruhet sanft. 

(Weitere Untergangs - Artikel des Autors unter www.politticker.de

Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

Foto: Timo Raab

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Leserpost

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Reinmar von Bielau / 10.09.2023

Ich hatte sie auch im Abo, u.a. wg des famos-geschmacklosen Titelbildes (“Sehr witzig Herr Engholm!”). Mit Björn Engholm als Uwe Barschel in der Badewanne. Aber das woke Gestammel der heutigen Red. kann man einfach nicht ertragen. Das hat in Etwa soviel anarchisches Potential, wie weiland die DDR Komiker bei “Ein Kessel Buntes”. Byebye Titanic, kein Rettungsring von mir, bestenfalls eine Träne, wegen der Erinnerung an bessere Zeiten.

T. Schneegaß / 10.09.2023

@P. F. Hilker: Ihrer Bitte wird stattgegeben. Aber eine Frage hätte ich: dieser MSB Spartakus, war das nicht der Studententeil der kommunistischen 5. Kolonne in der gebrauchten BRD, dem auch der heutige Bundeskanzler, sagen wir mal, nahestand? Die, die einen penetranten, fanatischen Antiamerikanismus pflegten, da damals die USA noch gegen den weltweiten Kommunismus kämpften, bevor sie selbst von Kommunisten regiert wurden?

Leo Anderson / 10.09.2023

Ich kannte noch - und habe in bester Erinnerung - Hans. A. Nikels “Pardon”, aus den späten Sechziger, die mit dem Teufelchen auf dem Titelblatt und Gernhardt-Bernstein-Waechter im Autorenteam. Danach kam nicht mehr viel. Aber Satire geht auch heute noch, in neuer Form, als scharfer Blick auf die Wirklichkeit. Stephan Paetows sonntägliche “Blackbox” bei Tichy ist immer wieder gut für ein bitteres Lachen.

N.Lehmann / 10.09.2023

Das gute am Untergang ist, dass es die richtigen trifft. Mehr Eisberge und volle Kraft voraus!

Christoph Ernst / 10.09.2023

@S. Andersson:  Auch ich hatte die Überschrift fälschlich auf die Ampel und das Land meiner Väter bezogen…

W. Renner / 10.09.2023

Was soll ein Satire-Magazin, wenn die Politik schon zur billigsten Satire verkommen ist? Zonen Gaby hat die letzte Banane auch längst verspeist und ist ungefragt, ohne sich vom Fleck zu bewegen wieder in der Zone angekommen.

Oliver Hoch / 10.09.2023

Klar war die Titanic früher clever, war sie lustig. Mittlerweile leider primitiver linker Einheitsschund, schnarchlangweilig, kann weg. Es gibt aber noch den Eulenspiegel (zumindest östlich des Bratwurstäquators am Kiosk sowie auch für die aus den benachteiligten Bundesländern im Abo). Ebenfalls tendenziell eher links - was aber nicht zwangsläufig und durchgängig dumpf und plump bedeutet. Zuweilen durchaus so gut (sogar Bernd Zeller hat schon für das Magazin gearbeitet), wie es das Kokserblatt aus dem Westend in den Neunzigern war. Probieren!

D. Katz / 10.09.2023

Ich war Titanic Abonnent der ersten Stunde bzw. Jahre, und ich habe die Hefte noch in schönen Schubern im Regal stehen. Was gab es da zu lachen! “Es ward eine Sekte in Isfahan / die betete Ar*** und Tit*** an / als man das dem Ajatollah steckte / war schnell Schluss mit dieser Sekte.” Herrlich. Leider wurde das Magazin schon vor Jahren zu einem primitiv-linken Agit Prop Magazin, so dass ich es später nur noch sporadisch und dann gar nicht mehr kaufte. Kann weg.

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