Wenn jemand laut darüber nachdenkt, wie zugewanderte Schwerkriminelle und Gefährder abgeschoben werden können, gilt das den Regierenden als verwerflich, während sie gern die Integrierten abschieben lassen, weil man derer bequem habhaft wird. Ein bitterer Fall aus Sachsen.
Im Moment wird viel über ein vermeintliches Geheimtreffen zwischen AfD-Mitgliedern und "Rechtsextremisten" berichtet, bei dem angeblich über "Deportationen" von Menschen mit ausländischen Wurzeln geredet worden sein soll. Seitdem herrscht bundesweite Empörung. Auch in Sachsen. Doch hier akzeptieren Behörden und Regierung (CDU, SPD, Grüne) achselzuckend die Abschiebung gut integrierter Migranten. Ein Beispiel für diese menschenverachtende Praxis ist der Fall der Familie Berisha aus Zschopau im Erzgebirge.
Vor vier Jahren, am 19. Januar 2020, es ist ein Sonntag, lernt die 13-jährige Argjentina Berisha abends für einen Mathetest. Argjentina geht in die 7. Klasse der August-Bebel-Oberschule im erzgebirgischen Zschopau. Die Teenagerin wurde in Zschopau geboren und wuchs dort auf. Sie ging in die Kita, danach zur Grundschule und schließlich an die örtliche Oberschule. Ihre Eltern stammen aus dem Kosovo und waren vor 20 Jahren nach Zschopau geflüchtet. Argjentinas Mutter arbeitete zu dieser Zeit als Reinigungskraft, der Vater war zu dieser Zeit aufgrund einer Herzerkrankung erwerbsunfähig.
Plötzlich klopft es 23 Uhr an der Tür. Die Mutter öffnet. Sächsische Polizeibeamte stehen vor der Tür und teilen der Familie mit, dass sie abgeschoben wird und genau eine Stunde Zeit hat, die nötigsten Sachen zu packen. Argjentinas Welt bricht zusammen. Verzweifelt kontaktiert sie ihre Schulfreunde. Die Familie versucht, einen Anwalt einzuschalten. Mit einer Abschiebung hatte sie nie und nimmer gerechnet, zumal sie – nach eigenen Aussagen – stets alle geforderten Dokumente bei der zuständigen Ausländerbehörde im Landratsamt Erzgebirge eingereicht hatte. Ersparen wir uns weitere Szenen dieser traumatischen Abschiebung. Vom Schicksal der Familie Berisha erfuhr ich im Sommer 2020 und beobachte bzw. begleite den Fall seitdem.
Aus dem Erzgebirge ins Nichts abgeschoben
Der Rest dieser schockierenden Abschiebung ist kurz erzählt: Weil sich die Eltern in den Nachwirren des Kosovo-Konfliktes serbische Papiere besorgt hatten, wurde die Familie nach Serbien abgeschoben. Nachdem sie 20 Jahre in Zschopau wohnhaft war. In Serbien kennen die Berishas niemanden. Als sie in Belgrad ankommen, fragen sie wildfremde Leute nach Unterkunft. Argjentina spricht kein Wort Serbisch. Die Berishas (über)leben seit 2020 von Spenden in einem kleinen Dorf nördlich von Belgrad.
Nachdem die dreiköpfige Familie nach Serbien verbannt worden war, kümmerten sich Zschopauer Eltern um die Auflösung der Wohnung und fuhren auf eigene Kosten zweimal mit einem Transporter nach Serbien, um den Berishas die eigenen Möbel zu bringen.
Argjentina hat sich seit 2020 diszipliniert den sächsischen Schulstoff von der 7. bis zur 10. Klasse im Homeoffice erarbeitet. Das Material erhielt sie regelmäßig von ihren Mitschülerinnen, die ihr sogar Tafelbilder aus einzelnen Unterrichtsstunden schickten, um ihr das Gefühl zu geben, dass sie weiterhin Mitglied der Klasse ist. Zum Abschluss der 10. Klasse bekam auch Argjentina von ihrer Klasse das obligatorische Abschluss-T-Shirt.
Keiner will´s gewesen sein
Von Anfang an wird die abgeschobene Familie in Serbien diskriminiert, weil sie ethnische Kosovo-Albaner sind. Bedeutet: Bis heute weigern sich die serbischen Behörden, den Berishas Meldepapiere auszustellen. Die Folge: kein Recht auf Ausweise, kein Recht auf Pässe, kein Recht auf soziale Unterstützung, keine Arbeitserlaubnis, kein Recht auf Schulbesuch für Argjentina, keine Bewegungsfreiheit. Im serbischen Zwangsexil müssen die Berishas als Menschen zweiter Klasse leben. Den sächsischen Ausländerbehörden ist das offenbar völlig egal.
Seit 2020 hatte ich mehrfach sächsische Regierungsparteien und verschiedene Behörden (u.a. Landratsamt Erzgebirge, Landesdirektion Sachsen, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) kontaktiert, mit dutzenden E-Mails und Anrufen. Fast schon detektivisch versuchte ich herauszufinden, wer wann warum die Abschiebung der Berishas in Gang gesetzt hat. Auffällig: Alle Angefragten schoben die Verantwortung von sich. Niemand wollte es gewesen sein. Niemand bot Hilfe an.
Mehrfach und intensiv hatte der Autor den Fall “Berisha” mit Asylfachleuten und dem Sächsischem Flüchtlingsrat besprochen sowie eine Fachanwältin für Asylrecht um eine Begutachtung der Akte gebeten.
Hier die Antwort aus einem der zahlreichen Gespräche mit dem o.g. Personenkreis:
„Die Familie hätte nicht abgeschoben werden sollen, weil sie einen Voraufenthaltszeitraum von 20 Jahren hatte. Die sind in der Bundesrepublik fest verankert, in der deutschen Gesellschaft und verwurzelt. Des Weiteren war die Familie insgesamt in einem Antragsverfahren für einen Aufenthaltstitel. Die Voraussetzungen waren so gut wie erfüllt. Und bei der Tochter wäre auch eine Aufenthaltsperspektive erreicht gewesen mit dem Paragraph 25a für gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende. Und allein schon, dass die Tochter hier geboren ist, hier ihre Wachstumsphase hatte, also ihre Schule, ihre Kindheit erlebt hat, ist sie fest verankert in der deutschen Gesellschaft.“
Schauen wir mal nach, was im Aufenthaltsgesetz Paragraph 25a steht:
„Einem jugendlichen oder heranwachsenden geduldeten Ausländer soll eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich seit vier Jahren ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufhält … und er im Bundesgebiet in der Regel seit vier Jahren erfolgreich eine Schule besucht hat … und es gewährleistet erscheint, dass er sich auf Grund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann.“
Da Argjentina sich zum Zeitpunkt der Abschiebung bereits im siebenten Schuljahr befand, scheint unstrittig festzustehen, dass sie diese Voraussetzungen erfüllt hatte und nie hätte abgeschoben werden dürfen.
Wie konnte es so weit kommen, dass eine geflüchtete Familie, die seit 20 Jahren in Sachsen lebt, die hier voll intergriert war, deren Tochter in Zschopau geboren und aufgewachsen ist (und eine deutsche Geburtsurkunde hat), in einer Nacht-und-Nebel-Aktion abgeschoben wird?
Wer wann warum innerhalb der sächsischen Ausländerbehörden den Abschiebeprozess in Gang gesetzt hat – im Verwaltungsdeutsch heißt es: aufenthaltsbeendende Maßnahmen einleiten – ist nicht Erfahrung zu bringen. Die Behörden mauern beharrlich. Gab es etwa ein Geheimtreffen im Erzgebirge?
Die Abschiebung aus Zschopau ist kein Einzelfall
Ein Jahr später schoben die sächsischen Behörden eine gut integrierte georgische Familie ab. Wieder waren (schulpflichtige) Kinder betroffen. Doch die Familie wehrte sich rechtzeitig, genauer gesagt die Kinder, mit Hilfe einer beigestellten Rechtsanwältin. Der Fall ging bis vor das Oberverwaltungsgericht Bautzen, das eine Rückholung anordnete. Nachzulesen hier. Alles keine Einzelfälle.
In Sachsen schmückt sich die schwarz-rot-grüne-Regierungskoalition gern mit ihrem unermüdlichen Einsatz für Demokratie und Menschenrechte. Aber dass voll integrierte, fleißige Mitbürger mit Migrationshintergrund, die hier leben und zu uns gehören wollen, abgeschoben werden, damit haben CDU, SPD und Grüne in Sachsen offenbar kein Problem.
Unterstützt werden die inzwischen 17-jährige Argjentina und ihre Eltern bis heute u.a. von einigen Zschopauer Mitschülern sowie deren Eltern. Materiell und moralisch. Wer der Familie helfen möchte, findet dafür einen Spendenlink auf der Webseite www.argjentina-nach-hause-holen.de.
Argjentina möchte zurück in ihre Heimat, nach Zschopau. Ihr Fall hat sich im Erzgebirge herumgesprochen. Es gibt Unternehmen, die sie als Azubi in einem Pflegeberuf aufnehmen und akzeptieren würden, dass die Teenagerin parallel auf einer Abendschule ihren Bildungsabschluss nachholt. Doch weil ihr Serbien die Ausstellung von Papieren verweigert, ist das im Moment nicht möglich. Keine Papiere, keine Identität, keine Bewegungsfreiheit, kein Vorstellungsgespräch, kein Ausbildungsvertrag.
Fachkräfte lieber aus Brasilien holen?
Warum es der Erzgebirgskreis zulässt, dass Menschen abgeschoben werden, die im Landkreis zur Schule gehen und danach eine Ausbildung beginnen wollen, versteht niemand. Man werfe nur mal ein Blick auf das Fachkräfteportal. Tausende Fachkräfte werden gesucht, aber der Landkreis schiebt fleißig ab. Leider die Falschen. Nach dem Motto: Abgeschoben wird, wer schnell greifbar ist und sich nicht wehren kann.
Derweil möchte Ministerpräsident Michael Kretschmer für den Freistaat in den kommenden Jahren 150.000 Fachkräfte im Ausland anwerben. U.a. dafür tingelt seine Kabinettskollegin Petra Köpping (SPD) auf Kosten der sächsischen Steuerzahler für eine Woche nach Brasilien.
Wie bitte? Brasilianische Pflegekräfte sollen Heimat und Familien verlassen, um jetzt das Fachkräfteproblem im Freistaat zu lösen, für das vor allem die langjährigen Regierungsparteien CDU und SPD die Hauptverantwortung tragen? Identitäts- und perspektivlos muss Familie Berisha derweil seit vier Jahren zwangsweise in Serbien leben. Der Fall zeigt exemplarisch, wie unlogisch, intransparent, konzeptlos und auch menschenverachtend die Migrationspolitik der sächsischen Koalition (CDU, SPD, Grüne) in Wahrheit ist.
Deren Frontleute (u.a. Ministerpräsident Kretschmer und Ministerin Köpping) halten vornherum gern Sonntagsreden über Menschenrechte, "starke Zivilgesellschaft" und den unendlichen Kampf gegen “Rechts”, hintenrum lassen sie es zu, dass integrierte Mitbürger mit Migrationshintergrund abgeschoben werden, während das bei den Nicht-Integrationswilligen unterbleibt.
Stephan Kloss ist freier Journalist. Er lebt bei Leipzig und studiert Psychologie.