Ahmet Refii Dener, Gastautor / 26.02.2024 / 16:00 / Foto: Pixabay / 15 / Seite ausdrucken

„Simulieren Sie und rufen dann den Krankenwagen“

350 Kilometer sind eine ungewöhnlich lange Reise zum Arzt. Doch im besten Deutschland aller Zeiten muss man das in dringenden Fällen auf sich nehmen – sonst bleibt nur der Notarzt.

Letzte Woche habe ich fast drei Stunden im Zug gesessen und bei Facebook meinen Followern geschrieben: „Wer errät, warum ich heute insgesamt 700 Kilometer zurücklegen werde, das ist nämlich die Entfernung von Aschaffenburg nach München hin und zurück, dem würde ich mein Buch KALTSTART X – Wie oft kann man im Leben bei null anfangen? schenken.“ Das Buch wäre ich gerne losgeworden, aber niemand kam drauf, was ich dort vorhatte.

Ich hatte einen Arzttermin in München. Ich hatte zwar einen Termin in Frankfurt bekommen, circa 50 Kilometer von mir entfernt, aber dieser war erst im Oktober 2024. Das Jahr muss ich deshalb erwähnen, weil es heutzutage auch für 2025 hätte sein können. So war ich also für eine halbe Stunde beim Arzt in München und opferte dafür einen ganzen Tag. Nicht nur das, denn durch die Fahrt mit der Bahn Card 50 und sonstigen Ausgaben lösten sich außerdem 150 Euro in Luft auf. Die Fahrtkosten übernimmt die Kasse nicht. Bitter, dass man in Deutschland nicht einmal die ärztliche Versorgung sicherstellen kann.

Nicht anders sah es bei mir schon vor drei Jahren aus. Plötzlich auftretende Kurzatmigkeit, Stechen in der Herzgegend … sofort bekam ich von meinem Hausarzt eine Überweisung zu einem Kardiologen. Ich rief bei unzähligen an. Zu neunzig Prozent nahmen sie keine Neupatienten, einen Termin bekam ich erst Monate später. Auch meine Krankenkasse hatte es nicht geschafft, mir einen zeitnahen Termin zu organisieren. Da ich oft über diese Zustände klagte, sagte schließlich jemand im Wartezimmer: „Simulieren Sie und rufen dann den Krankenwagen, so habe ich das gemacht. Dann sind sie von jetzt auf gleich auf dem Radar der Ärzte und Ihnen wird geholfen.“

Endlich, ein Termin!

Als ich meiner Frau und meinem Sohn vormachte, wie ich das anstellen würde, brachen wir gemeinsam in Gelächter aus, dass wir uns nicht mehr einkriegten. Schnell war uns klar, dass das nicht mein Weg sein würde.
 
Drei Tage später passierte es dann. Mich rief die Kardiologie-Praxis, die mir erst Monate später einen Termin gegeben hatte, an. „Ich rufe Sie an, weil wir eine Terminabsage haben. Könnten Sie in drei Stunden zum Termin erscheinen?“ Selten kam ein „Ja!“ so schnell rausgeschossen bei mir. Da war ich. Nach dem Check-Up wurden mir 48 Stunden später vier Stents eingesetzt. „Seien Sie ehrlich, hätte ich in diesem Zustand bis zum eigentlichen Termin überlebt?“, fragte ich den Kardiologen. „Das kann man so nicht sagen, aber einen Herzinfarkt hätten Sie sicher gehabt!“, erwiderte er.

Sofort erinnerte ich mich an einen Satz aus der Türkei, welcher unter der Bevölkerung oft benutzt wird: „Wir sind in diesem Land nur zufällig am Leben!“ Siehe da, dieser Satz kann vielerorts auch in Deutschland zum Einsatz kommen. Zwei Monate nach dem besagten Eingriff musste mir ein Spezialist noch einen zusätzlichen Stent einsetzen.

Türkische Szenen im Wartezimmer

So saß ich also neulich im Wartezimmer einer Münchner Ärztin – einer Bekannten, die ich in meiner Verzweiflung um einen Termin gebeten hatte. Da sie wie ich türkischen Ursprungs ist, war die Praxis voll mit Türkeistämmigen, aber auch anderen Ausländern. Es ist nun einmal so, dass man sich in diesem Punkt untereinander mehr vertraut. Somit gibt es auch keine Sprachbarriere für die, die kaum Deutsch sprechen. Es handelte sich wohlgemerkt nicht um eine Klinik, sondern eine Arztpraxis, aber auf der Straße und vor der Tür standen an die fünfzehn Personen aus dem Wartezimmer, die hier eine Zigarettenpause einlegten.

Während ich auf meinen Termin wartete, konnte ich typisch türkische Szenen erleben. Einer, der für eine Leistung den Eigenanteil von 200 Euro zu zahlen hatte: „Das ist Wucher, woanders zahlt man dafür 50 Euro oder gar nichts!“ Sicher hatte er diese Leistung nirgendwo sonst in Anspruch genommen und demzufolge keine Vergleichsmöglichkeit, aber vielleicht dachte er, wenn er laut und vor großem Publikum daherkomme, würde das sicher Wirkung zeigen. Es lief nicht gut für ihn, auch wenn einige ihm nickend Recht gaben. Er musste bezahlen und wird sich demnächst eine andere Praxis suchen müssen.
 
Am besten fand ich eine dicke Frau der Mutterklasse „Big Mama“, die einer anderen Patientin vorschlug: „Vielleicht sagen Sie mir, welche Beschwerden Sie haben. Ich bin oft beim Arzt und kann Ihnen, während Sie auf die Ärztin warten, vielleicht einige Ratschläge geben.“ Tatsächlich fing die Frau an, ihre Krankengeschichte zu erzählen. Lustig wurde es, als sie aufstand und ihrer neuen Wartezimmerberatung etwas ins Ohr flüsterte. Leise sprechen muss gekonnt sein. Alle bekamen mit, wie sie von einem Frauenproblem berichtete. Sie wurde dabei knallrot.

Im besten Deutschland aller Zeiten

Nachdem mich also meine Münchner Ärztin untersucht hatte, plauderten wir noch ein wenig über Politik, die Wirtschaft und das Leben. Unter dem Eindruck der Menschenmassen in der Praxis, fragte ich meine Bekannte, ob alle Ärzte mit Migrationshintergrund so viele Patienten hätten. Die bejahende Antwort zog noch weitere Ausführungen nach sich: „Wissen Sie, dass die Kassen von uns Ärzten mit Migrationshintergrund Behandlungshonorare zurückverlangen?“ Das war mir neu! „Wie geht das denn?“ – „Wir sind im besten Deutschland aller Zeiten, klar geht das. Wir haben, wie vieler meiner Kollegen auch, Anwälte eingeschaltet. Migrationshintergrund lässt sich halt am liebsten von jemandem mit Migrationshintergrund behandeln. Nicht, dass dadurch den bio-deutschen Ärzten Patienten fehlen würden. Nein, sie sind ausgelastet bis an die Decke. Aber was zu viel ist, ist zu viel, sagen die Kassen und machen den Ärzten mit Migrationshintergrund große Schwierigkeiten.

Natürlich werden auch deutsche Ärzte abgestraft, wenn sie die vorgegebene Anzahl an Patienten pro Quartal überschreiten. In Zeiten von eklatantem Ärztemangel sollte man kaum glauben, dass engagierte Mediziner von deratigen Vorschriften gegängelt werden.

Meine Arztfreundin berechnet pro Patient des Öfteren nur 20 Euro für eine Behandlung, damit die Kasse nichts sagt und allen gedient ist und sie niemanden zurückschicken muss. Wenn ich schon 350 Kilometer aus der obersten Spitze Bayerns, aus Aschaffenburg kam, dann gibt es sogar Patienten, die sich aus dem noch entfernteren Duisburg auf die Reise machen. Kann man solch einen Vertrauensbonus unverrichteter Dinge, sprich Behandlung, nach Hause schicken? Die Kasse sagt ja!

Im Umkehrschluss würden diese Patienten am Ende im Krankenhaus landen und täglich über 200 Euro die Kassen kosten. Zehn Tage gleich 2.000 Euro, statt einmalig 20 Euro. Das geht und ist anscheinend gewollt. Die Praxen sollten ihre Arbeit verrichten und Kranke heilen, statt sich mit Rechtsanwälten herumzuschlagen. Ich verlange Ärzte ohne Grenzen in Deutschland, ohne Limitierung der Patientenzahlen. Wenn die Praxen mit den Patientenströmen klarkommen, sollen sie es machen. Den Verdienst sollten sie von der Kasse, ohne Wenn und Aber, erhalten können, im besten Deutschland aller Zeiten.

Ahmet Refii Denergeb. 1958, ist deutsch-türkischer Unternehmensberater, Blogger und Internet-Aktivist aus Unterfranken. Mehr von ihm finden Sie auf seiner Facebookseite und seinem Blog.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Thomin Weller / 26.02.2024

@Jochen Lindt Die meisten Zahnärzte sind Angestellte einer Versicherung. So ist es kein wunder das bundesweit eine abgebrochene Bohrer Pandemie bei einer Wurzelbehandlung existiert. Das kostet noch mal extra so umbei 1000-2000 Euro, egal welche Versicherung, weil ein “Dentalmikroskop” zur Entfernung benutzt werden muss. Das muss jeder zahlen. Das ist ein Zubrot für den Angestellten Zahnarzt da ein abgebrochener Bohrer kein Behandlungsfehler ist und der Patient generell für den Pfusch zahlen muss. Ist wohl die einzige Berufsgruppe die zerstören kann und dafür extra Geld erhält.

S. Wietzke / 26.02.2024

Besonders absurd ist das auch deshalb, da sich die Zahl der Ärzte in Deutschland seit 1990 auf 557.000 fast verdoppelt hat. Da ich mich nicht erinnern kann in den 90ern in einem medizinischen Notstandsgebiet gelebt zu haben stellt sich die Frage womit die Ärzteschaft inzwischen so ihren Tag verbringt. Mit ärztlicher Tätigkeit kann es anscheinend nicht viel zu tun zu haben.

Anke Müller / 26.02.2024

Dass sie, weil sie von woanders herkommt, mehr Geld “abgezogen” bekäme, ist natürlich spekulativ. Denn es ist das System Lauterbach, das allen Ärzten die Übersicht über ihren Verdienst im Quartal nimmt - und sie zum Teil tatsächlich nicht wissen, mit welchem Ausgleich für ihre Arbeit sie pro Vierteljahr rechnen können. Deshalb nehmen viele ja auch keine Patienten mehr an - was dann zu den auf irgendwann vertagten Terminen führt - wenn überhaupt. Da diese Münchner Ärztin das nicht macht, kommt sie halt, trotz massig Arbeit, ins Minus. Außer bei privat zahlenden Patienten. Da ist klar, was in Rechnung gestellt werden kann.

W. Renner / 26.02.2024

Eines Tages kommt ein Raketen Rettungsschiff und bringt alle zum Schamanen nach Timbuktu.

gerhard giesemann / 26.02.2024

Komische Geschichte, das. Glaube kein Wort davon.

Jochen Lindt / 26.02.2024

Stimmt nicht.  Zahnärzte verdienen viel Geld mit Asylanten und Zahnersatz. Nur Deutsche zahlen zu.

Ralf Pöhling / 26.02.2024

Dieses Land ist kaputtreguliert. Das sorgt dafür, dass der Apparat der alles regulieren soll auf enorme Größe anwachsen muss, um die Regularien noch zu überprüfen und durchzusetzen. So ein Apparat muss ja auch versorgt werden. Wenn die Regulierungswut dann so groß geworden ist, dass der regulierende Apparat selbst größer ist als die Struktur, die er regulieren soll, gehen immer mehr Ressourcen in die Regulierung und immer weniger in das regulierte System selbst und dieses geht dann an Mangel zugrunde. Die Politik in Deutschland definiert sich meist darüber, Gesetze zu erlassen. Sie definiert sich leider kaum darüber, Gesetze wieder zu streichen, wenn sie schwach definiert, überflüssig oder sogar schädlich sind. Sieht man beim Steuerrecht, beim Waffenrecht und mittlerweile auch beim Gesundheitssystem. Alles völlig überreguliert. Der Apparat erdrückt das eigentliche Anliegen.

Werner Fett / 26.02.2024

“Wissen Sie, dass die Kassen von uns Ärzten mit Migrationshintergrund Behandlungshonorare zurückverlangen?” Genauso wie bei allen anderen Ärzten, die über dem Budget liegen, und in keiner Weise anders. Diese selbstmitleidige Stilisierung zum Opfer, die man ja leider häufig antriffft, ist mit etwas Sachkenntnis nicht angebracht.

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