Vera Lengsfeld / 05.03.2010 / 13:15 / 0 / Seite ausdrucken

Sie lügen wie gedruckt. Stasioffiziere stellen ihr Buch"Fragen an das MfS” vor

Auf dem Podium der Ladengalerie der „Jungen Welt“ hocken sechs unsicher wirkende, alte Männer nebeneinander, die vom Moderator, in einem verzweifelten Versuch, witzig zu sein, als das inkarnierte Böse vorgestellt werden. Es sind ehemals hohe und allmächtige Stasioffiziere, die heute so harmlos wirken, dass man ihnen unbedenklich seine Enkel anvertrauen würde. Hinter ihnen warnt ein grellgelbes Plakat: „Sie lügen wie gedruckt. Wir drucken, wie sie lügen“ Dieser Regiefehler der Veranstalter ist das treffendste Motto, das für diesen Abend gefunden werden konnte. Denn gleich nach Beginn der Lesung kommen die Lügen hageldicht, obwohl sich Werner Grossmann, lange Zeit stellvertretender Minister für Staatssicherheit, Mühe gegeben hat, harmlose Stellen des Machwerks von 25! Autoren auszuwählen. Zwar hätte es nur ein Gründungsgesetz für die Staatsicherheit gegeben, danach hätte das Organ ausschließlich nach internen Anweisungen gehandelt, man hätte sich dennoch strikt an die Gesetzlichkeit gehalten. Wenn jemand nur gegen die DDR gehetzt, aber kein Gesetz verletzt hätte, wären der Stasi leider die Hände gebunden gewesen. Wer lediglich über die Mauer klettern wollte, ohne eine westliche Schleuserbande in Anspruch genommen zu haben, wäre das ebenfalls kein Fall für die Stasi gewesen. Sie hätte weder Entführungen noch Morde geplant. Wenn doch, wie im Fall des Oppositionellen Rainer Eppelmann, in dessen Stasi -Akte sich sehr wohl Mordpläne befinden, wären die betreffenden Stasimänner, die lediglich aus Frust solche Planspielchen erfunden hätten, degradiert worden. Kurz, die DDR war gut, die Stasi war rein und alle Fakten, die das Gegenteil belegen, sind Manipulationen und Erfindungen des Klassenfeindes. Dann kommt noch die Litanei über die angebliche Ausgrenzung und Verfolgung unschuldiger Mitarbeiter eines Dienstes, der schließlich nur die üblichen kriminalistischen Praktiken angewandt hätte, um die Wahrheit über die üblen Absichten der Gegner der DDR aufzudecken. Alle waren und sind schlimmer:  BND, CIA, Mossad sowieso, das vereinte Deutschland insgesamt, die USA. Die gezielte Desinformation ist mit so viel Klagerei und Selbstmitleid gemischt, dass die Opas einem fast leid tun können. Im Raum sind ein paar lebendige Beweise für ihre Lügen anwesend, obwohl noch mehr ehemalige Stasihäftlinge draußen bleiben mussten. Nachdem ehemalige Häftlinge vor ein paar Wochen schon einmal eine Buchpräsentation der Stasi besucht hatten, waren die Genossen diesmal schon eine Stunde früher in solcher Zahl erschienen, dass die meisten Plätze besetzt waren. Der Moderator unternahm noch einen krampfhaften Versuch, nur eigene Leute in der Diskussion zuzulassen, musste das aber in Anbetracht der anwesenden Presse aufgeben. Der Blutdruck der Genossen schoß in die Höhe und ihre Herzschrittmacher setzten für einen Augenblick aus, als sie sich anhören mussten, dass eine Frau verhaftet, verhört und vor Gericht gestellt worden war ohne ein einziges Gesetz der DDR verletzt zu haben, wie das Oberste Gericht der Noch-DDR feststellen musste. Ein Mann war als Jugendlicher für mehrere Monate im Stasiknast gelandet, weil er mit seiner Freundin über die tschechische Grenze in den Westen wollte. Keine Schleuserbande war auch nur in der Nähe. Den Genossen wurden Teile ihrer „Einsatz-, und Kampfgrundsätze“ vorgelesen, die nach der Stasiaktenöffnung auftauchten. Darin ist eine ganze Palette von Einsatz-, und Kampfformen für Einzelkämpfer und Gruppen in Aktionen und Operationen festgehalten, wie: Zerstören, Vernichten, Desorganisieren, Demoralisieren, Liquidieren, alles sorgfältig mit Unterpunkten versehen, wie das gewünschte Ziel erreicht werden kann. Beim Liquidieren liest sich das so: „Das Liquidieren beinhaltet die physische Vernichtung von Einzelpersonen und Personengruppen. Erreichbar durch: Das Erschießen, Erstechen, Verbrennen, Zersprengen, strangulieren, Erschlagen, Vergiften, Ersticken.
Die Genossen versuchen ihre Verlegenheit hinter dröhnendem Gelächter zu verbergen. Ein besonders eifriger Lacher bekommt Atemnot und muss an die frische Luft befördert werden. Den Klügeren ist aber schon klar, dass nun Schluss mit lustig ist und man bemüht sich um eine Erklärung. Diese Grundsätze wären nur mal eben für den Ernstfall aufgeschrieben worden, sie hätten immer nur auf dem Papier gestanden. Einer der Herren auf dem Podium entblödet sich nicht, den Verdacht zu äußern, der BND hätte bei der Verfassung der Grundsätze heimlich seine Finger im Spiel gehabt, um die Staatssicherheit zu diskreditieren. Und die Unterschrift von Wolfgang Schwanitz unter dem Mordbefehl an Hironymus Schreiber? Der Mann auf dem Podium windet sich. Er will erst das Original der Akte sehen, ehe er Stellung nimmt. Überhaupt, ein Gericht hätte bereits versucht, ihn zu überführen, aber die Beweise hätten nicht ausgereicht. Mit der Wahrheit über das Ministerium für Staatsicherheit, um die es angeblich in dem Buch gehen soll, hat das alles nichts zu tun. Das Buch ist ein weiterer Versuch, die Öffentlichkeit zu täuschen und für dumm zu verkaufen. Als den Herren die Argumente ausgingen, packten sie die ganz große ideologische Keule aus. Mit bebender Stimme rief ein Mitarbeiter der Jungen Welt ins Mikrophon, dass ein Vergleich der Praktiken der kommunistischen Geheinpolizisten mit den der geheimen Staatspolizei eine Beleidigung der 6 Millionen Jüdischer Opfer des Nationalsozialismus sei, obwohl es keinen Anlass für eine solche Äußerung gab. Kurz darauf machte ein Stasimann im Podium klar, wie verbrecherisch der Mossad sei, der einen palästinensischen Terroristen ( den er allerdings als Jungen bezeichnete) in Libyen ermordet hätte. Auf einen Einwurf aus dem Publikum, der Mossad hätte auch Eichmann entführt, nickte ein anderer Stasimann eifrig: daran sehe man, wie ungesetzlich der Mossad vorginge.
Zum Schluss bekam die Veranstaltung noch eine unverhoffte satirische Note. Ein Uralt-Westlinker bemächtigte sich des Mikrophons, um zu sagen, wie sehr er es bedauere, dass er die Genossen erst so spät kennenlernen durfte. Nun seien sie schon zu alt und nicht mehr recht brauchbar für die zahlreichen linksradikalen Aktionen, die er immer noch plane und durchführe. Aber vielleicht könnte man einander doch noch nützlich sein im Kampf gegen den alltäglichen Faschismus im heutigen Deutschland.
Und der Dirigent des Stasiorchesters berichtete von seinen vergeblichen Bemühungen, den Klangkörper in das vereinigte Deutschland retten und bekam feuchte Augen als er erzählte, ein amerikanischen Militärmusikcorps hätte sich eine Schallplatte mit den sozialistischen Märschen der Stasimusiker von Anfang bis Ende angehört. Da wurde klar: die Stasi liebt nicht nur alle, sie will von allen geliebt werden.
Abende wie dieser, wo einer Teilnehmerin zugezischt wurde: „Schade, wir hatten Dich nicht lange und hart genug in der Mangel, sonst hättest du heute nicht so die große Klappe gehabt“, sind nicht geeignet, den Wunsch, geliebt zu werden, zu erfüllen.

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