Peter Grimm / 19.12.2020 / 06:25 / Foto: Glype Sune / 142 / Seite ausdrucken

Rhetorik-Ehrung für Angela!

Es ist nur ein paar Jahre her, da hatten manche Anhänger der Bundeskanzlerin aus den Reihen der Meinungsbildner und Medienwerktätigen verkündet, wie angeraten es doch wäre, Angela Merkel den Friedensnobelpreis zu verleihen. Daraus ist bekanntlich nichts geworden, der Nobelpreis fehlt bislang in der Auszeichnungssammlung der deutschen Regierungschefin. Dass man in einem Regierungsamt immer mal wieder mit dem einen oder anderen Preis, einem Titel oder einer anderen besonderen Würdigung bedacht wird, ist ja ziemlich alltäglich. Doch manch eine Ehrung kann dennoch überraschen. Mitten am Freitag konnte man beispielsweise im Deutschlandfunk folgende Meldung hören:

„Bundeskanzlerin Merkel wird vom Seminar für Allgemeine Rhetorik an der Universität Tübingen für die ‚Rede des Jahres‘ gewürdigt.“

Als Hörer glaubt man ja an dieser Stelle noch, irgendetwas falsch verstanden zu haben. Selbst glühende Anhänger ihrer Politik dürften sie wohl kaum für eine begnadete Rhetorikerin halten. Doch man erfährt gleich mit den nächsten Nachrichten-Sätzen, dass es sich offenbar um keinen Versprecher und keine Satire handelt:

„In einer Erklärung heißt es, Merkels Fernsehansprache am 18. März zur Corona-Pandemie sei ein eindrucksvoller Appell an Verantwortung und Miteinander. Die Jury urteilte, die Rede verbinde die anschauliche Darstellung komplexer wissenschaftlicher Erkenntnisse mit Empathie und politischer Umsicht. Frankreichs Präsident Macron habe dagegen in seiner ersten Ansprache im Fernsehen zu autoritären Ansagen und einer ausladenden Kriegsmetaphorik tendiert. Der britische Premier Johnson habe die Gefahren eher heruntergespielt. Der Kanzlerin wiederum sei der ‚Spagat zwischen Vernunft und Einfühlungsvermögen‘ in einer vorbildlichen Weise gelungen.“

Was hat das Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen zu dieser Wahl bewogen? Sucht man das Wohlwollen der Mächtigen? Vielleicht lohnt es sich, nachzulesen, wie die Tübinger Rhetoriker selbst ihre Wahl begründen:

„Kanzlerin Merkel demonstriert eindrucksvoll, wozu öffentliche Rede fähig ist, wie Vernunft mit Hilfe von Rhetorik handlungsmächtig werden kann und auf welche Weise gute Rhetorik Gemeinsinn und Zusammenhalt befördern kann. Merkel gelingt damit eine historische Rede, die für die erfolgreiche Bewältigung der ersten Corona-Welle von zentraler Bedeutung ist. Wie kaum eine andere Rede in den vergangenen Jahren dürfte die Fernsehansprache die deutsche Bevölkerung unmittelbar beeinflusst haben.“

Ansonsten kaum Überraschungen

Es mag an meiner Ignoranz liegen, dass mich diese Ansprache nicht unmittelbar beeinflusst hat und ich sie – bis zu dieser Auszeichnungs-Nachricht – schon so gut wie vergessen hatte. Der 18. März ist schon eine Weile her und es gab ja seither etliche neue Corona-Notverordnungen mit begleitenden Kanzlerinnen-Auftritten, die auch so ähnlich klangen wie die Sätze vom 18. März.

Wenn man Merkels Rede aber in der Rückschau liest, dann erkennt man wirklich Sätze, die bemerkenswert sind, auch wenn sie nicht gerade durch sprachliche Schönheit oder innovativen Satzbau bestechen:

„Glauben Sie keinen Gerüchten, sondern nur den offiziellen Mitteilungen, die wir immer auch in viele Sprachen übersetzen lassen.“

Damals war übrigens offizielle Mitteilung, dass Masken im Alltag nicht sonderlich sinnvoll und nützlich wären. Wer dies heutzutage immer noch glaubt, wird glatt zum „Corona-Leugner“ erklärt. Aber was sollen diese abseitigen Gedanken, es ging ja eigentlich um Rhetorik.

Vielleicht erschließt sich die Vergabe dieser Auszeichnung ja mit einem Blick darauf, wer nach Meinung der Tübinger Rhetoriker in den letzten Jahren die jeweilige „Rede des Jahres“ gehalten hat.

Im letzten Jahr wurde EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für ihre Wahlrede vor dem Europäischen Parlament entsprechend geehrt. Da ist der rhetorische Unterschied zu Angela Merkel wahrlich nicht übermäßig groß. Anders ist das schon bei Cem Özdemir (2018), Norbert Lammert (2016) oder Gregor Gysi (2013), die neben zahlreichen Schriftstellern zu den Politikern gehören, die in den letzten Jahren geehrt wurden.

Sonderlich aufregend ist diese Auswahl der Ausgezeichneten eigentlich nicht, zumeist sogar recht erwartbar. Diese Zeilen gäbe es auch nicht, wenn nicht die Nachricht von einer Rhetorik-Auszeichnung für die Bundeskanzlerin so sehr nach Satire geklungen hätte. Aber wenn wir schon einmal auf diese Auszeichnung schauen, so ist auch bei ihr eine gewisse Entwicklung bemerkbar. Die erste entsprechende Ehrung gab es 1998. Ausgezeichnet wurde Martin Walser für seine damals umstrittene Friedenspreisrede. Seinerzeit begründeten die Tübinger Rhetoriker ihre Wahl so:

„Martin Walser hat mit selbstkritischen und ironischen Untertönen den Meinungsbetrieb in seiner manchmal gutgläubigen, doch meist zynischen Doppelbödigkeit aufgedeckt und als Instrument der ideologischen Macht­ausübung, als profitables Mediengeschäft und intellektuelle Inszenierung erkennbar gemacht. Die maßlose und hämische Kritik an dieser in rhetorischem Ethos, schlüssiger Argumentation und leidenschaftlichem Engagement für eine menschenwürdige Zukunft vorbildlichen Rede bestätigt deren Thesen so eindrucksvoll wie bedrückend.“

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Wolfgang Kaufmann / 19.12.2020

Ganz oben auf meiner rhetorischen Favoritenliste stehen nach wie vor die Beiträge „Niemand hat die Absicht eine Pandemie zu errichten“ vom 15. Juni 1961 oder „Wollt ihr die totale Pandemie“ vom 18. Februar 1943. Das waren jedenfalls noch Sozialisten, totaler und radikaler als wir sie uns heute überhaupt erst vorstellen können. In diese Liga wird es eine Christdemokratin nur mit dem allergrößten Zittern und Beben schaffen können.

Belo Zibé / 19.12.2020

Vernunft und Einfühlungsvermögen‘ scheint die Jury der Tübinger Rhetoriker im Tresor ihres Vereinsheim eingeschlossen und den Schlüssel verlegt zu haben.

Peter Holschke / 19.12.2020

Das sind doch ehrliche Häute. Zunächts, ich bin neugierig: Haben diese Leute, die Gerüchte nun in viele Sprachen übersetzen lassen, wie angekündigt? Man muss unterscheiden, wer hier den Preis vergibt und woraus sich völlig unterschiedliche Kriterien ableiten lassen. Eine Abteilung einer freien Univerität mag da anders urteilen, als ein akustisches Komitee für retorikski Parteisprech.  Nimmt man zweites an, dann war die Rede Propaganda-brilliant. Ein scheinbar zusammenhangloses, windelweiches, unzumutbares Funktionärsgelaber, bei dem zwischendruch die Peitsche knallt. Den Westdeutschen fehlt die Kommunismuserfahrung. Es kommt auf die geschlagen Haken in der Aussage an, auf die angehängte Verdrehungen, auf die eingebaute Vernebelungen und Enthüllungen, dies Disonanz, auf die Untertöne und den Subtext. Marxistisch dialektisch eben. Darin ist Merkel eine Meisterin und ihrer Kaderapparat hängt ihr an den Lippen.  Homo sovieticus nennt man sowas. Solschenizyn hat diese Art von Funktionärswesen beschrieben, unfähig sich nach westlichen Maßstäben zu artikulieren. Merkel ist ein lebende Prawda. Man ist darauf angewiesen, verkehrt herum, zwischen den Zeilen zu lesen. Vielleicht scließt sich ja die Große-Führer-Universität in Pjöngjang der Eherung an? Stalin war nach westlichen Maßstäben auch so ein Schlechtsprecher, aber seine Sätze waren nach östlichen Maßstäben glasklar und rein. Merkel spricht tatgsächlich einen “andere” Sprache, was mich zu meiner Einleitung zurück führt. Man hält das Teile ihres Rede-Spechs für überflüssigen Firlefanz, dabei hat jedes Wort eine tiefe Bedeutung.  Das Kommunisten immer lügen - immer - wird sie ihr “Merkeldeutsch” was natürlich nicht übersetzen lassen, So die Aussage. Und da diese Art von Lügen total sind, wird auch in alle Ausagenaspekten gelogen., Sie sagt wir, meint ich. Sie sagt viele Sprachen, meint die deutschen Sprache. “Merkeldeutsch” ist nach normalen Maßstäben keine Deutsch, sondern eine eigenständige Sprache mit geklauten Worten.

Heiko Stadler / 19.12.2020

Eine Rhetorikehrung von Merkel habe ich selbst mal miterlebt. Das war vor der Bundestagswahl 2017. Die Ehrung bestand aus einer Tomate, die ihr während ihrer großartigen Rede mit ohrenbetäubenden Pfeifkonzert zugeworfen wurde. Während die “Auszeichnung” von damals vom finanziell ausgepressten Volk kam, kommt die jetzige Auszeichnung vom Geldempfänger, der Uni Tübingen. Dabei sollte man bedenken, dass die Universität Tübingen “Weltruf” als Zentrum für Gender- und Diversitätsforschung genießt und Schwachsinn will bezahlt werden. Die stille Vereinbarung zwischen solchen “Universitäten” und der Politik lautet: Gibt mir Steuergeld, ich verleih dir Orden! Merkels Spendenbereitschaft, wenns um fremdes Steuergeld geht, ist ja mittlerweile legendär. Mit über 50 Orden und Auszeichnungen dürfte Merkel selbst Honecker, Breschniev und Stalin übertreffen.

Dr. Joachim Lucas / 19.12.2020

Was man an Merkels Reden so bedeutungsvoll finden kann, weiß ich nicht. Ich kann bei Bundeskanzler Merkel immer nur “obscuritas” (Dunkelheit der Rede, vulgo: Unverständlichkeit), “Apodiktik”, (Wahrheitsbeanspruchung), schlechte Syntax (Satzbau) und inhaltliche Dürftigkeit, Rechthaberei und Sturheit erkennen. Als Zielgruppe ihrer Ausführungen in versuchter einfacher Sprache stellt sie sich die Bevölkerung wohl immer als Kleinkinder vor. Einen strukturierten inneren Aufbau ihrer Reden erkenne ich nicht. Das Seminar für allg. Rhetorik hat sich wohl inzwischen, wie viel andere Institutionen ebenfalls, auf die Schleimspur begeben. Dies heißt in der Rhetorik “captatio benevolentiae” (Erreichung des Wohlwollens: in dem Fall in negativer Form). Hab selber in den 80igern (unter Jens/Ueding) dort studiert und inzwischen hat das Seminar wohl den heute üblichen lausigen Zustand erreicht.

Frank Stricker / 19.12.2020

Angela Merkel als Rhetorik-Göttin, das ist in etwa so, als würde man mit einem Trabbi Formel 1 Weltmeister…......

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