Stefan Frank / 19.11.2021 / 06:00 / Foto: Pixabay / 30 / Seite ausdrucken

Newsguard gegen Achgut.com (3:) Eine verräterische Auskunft

Ich wende mich an NewsGuard-Pressesprecherin Marie Richter, um in Erfahrung zu bringen, ob NewsGuard Skrupel hat, Geld von Publicis zu nehmen und öffentlichkeitswirksam mit Publicis zusammenzuarbeiten. Die Antwort macht fassungslos.

Dass der Reklamekonzern und NewsGuard-Investor Publicis wusste, dass das, was er tat, falsch war, geht nach Meinung der Staatsanwaltschaft auch daraus hervor, dass er 2016 einmal eine „Alternativkampagne“ entwickelt habe, die, wenn sie durchgeführt worden wäre, zum Gegenstand gehabt hätte, das Marketingteam für OxyContin aufzulösen und, so Publicis, „alle Patienten von Purdues Medikation herunterzubringen“. Damit, argumentierte Publicis seinerzeit, würde man „eine tiefere Verantwortung“ für die Sicherheit der Patienten „voll und ganz annehmen“. Stattdessen aber, so die Staatsanwaltschaft, „entschieden Publicis und Purdue sich dafür, die Menschen in Gefahr zu halten“.Die „unfairen und irreführenden Marketingkampagnen von Publicis für Purdue“ hätten die verschreibenden Ärzte in Massachusetts „tausende Male“ erreicht, so die Staatsanwaltschaft. 

„Publicis erstellte mehr als 7.000 unfaire oder betrügerische E-Mails, die an verschreibende Ärzte in Massachusetts gesendet werden, um für Purdues gefährliche Arzneien zu werben. Diese Zahl beinhaltet nicht die vielen Male, die ein Purdue-Vertriebsmitarbeiter einem verschreibenden Arzt ein irreführendes, von Publicis entworfenes Informationsblatt übergab oder ein verschreibender Arzt eine irreführende von Publicis gestaltete Website wie oxycontin.com besuchte oder ein Werbebanner für ein Purdue-Medikament in das EHR[die Gesundheitsdatenbank in der Cloud; S.F.]-Diagramm des Patienten eingeblendet wurde, an dessen Erstellung Publicis mitgewirkt hatte.“

Als Schlüssel zum Erfolg sah Publicis es laut der Anklage, Patienten für einen zusätzlichen Monat auf Opioiden zu halten oder die Dosis ein weiteres Mal zu erhöhen.

„Jeder zusätzliche Monat und jede zusätzliche Tablettenstärke bedeuteten für Purdue mehr Geld und für Publicis größeren Erfolg, aber für die Patienten, darunter Tausende von Purdue-Patienten in Massachusetts, bedeutete jede Erhöhung ein höheres Risiko für Opioidgebrauchsstörungen, Überdosierung und Tod.“

Im August 2014 wollte Publicis von Purdue per E-Mail wissen, wie viel ein Patient wert sei: 

„Publicis wollte wissen, ob Purdue berechnet habe, wie viel Dollar ein Patient dem Unternehmen wert sei ... Purdue sandte Daten, die zeigten, dass die Therapie umso länger ist, je höher die Dosis von OxyContin ist und teilte Publicis mit, dass die Diskussion über den Wert jedes Patienten ‚offline‘ stattfinden sollte.“

Publicis analysierte die Daten, die es von Purdue erhielt, und kam zu dem Schluss, dass jede Verlängerung der Opioid-Einnahme um drei Tage, das Potenzial für 50 Millionen Dollar zusätzlicher Profite bedeute, so die Staatsanwaltschaft. 

Eine Woche später erstellte Publicis einen OxyContin-Business-Plan für das kommende Jahr, um ihn Saeed Motahari, Purdues Chief Commercial Officer, vorzustellen. Darin stellte Publicis fest, dass es wachsenden äußeren Druck gebe, Missbrauch und Überdosierung zu reduzieren. Dennoch müsse eines der wichtigsten Ziele bleiben, bei OxyContin-Verschreibungen „positives Wachstum“ beizubehalten, um „das Lebensblut (!) der Marke zu stärken“. Publicis wandte sich mit seinem Opioid-Marketing an Ärzte, Apotheker und Versicherer, „nicht um aufzuklären, sondern um zu überreden“, so die Anklage.

Die Staatsanwaltschaft weist darauf hin, wie Publicis sich gegenüber der Öffentlichkeit darstellt und so tut, als seien dem Unternehmen die Folgen seiner Arbeit irgendwie wichtig. So heißt es auf der Firmenwebsite:

„Im Gesundheitswesen lässt sich die Leistung nicht in Klicks oder Impressionen oder gar Bürobesuchen messen. Unser einziger KPI [Key Performance Indicator, Leistungsindikator; S.F.] sind Ergebnisse – Geschäftsergebnisse und Patientenergebnisse.“

Doch, so Attorney General Maura Healey, 

„als es darum ging, zwischen Ergebnissen zu wählen, die gut fürs Geschäft waren und Ergebnissen, die gut für Patienten waren, entschied sich Publicis, die Patienten in Gefahr zu bringen“.

Dialog mit NewsGuard

Ich wendete mich vor Veröffentlichung dieser Serie an NewsGuard-Pressesprecherin Marie Richter, um in Erfahrung zu bringen, ob NewsGuard Skrupel hat, Geld von Publicis zu nehmen und öffentlichkeitswirksam mit Publicis zusammenzuarbeiten. Dabei zitiere ich auch aus der Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft Massachusetts, damit sie nicht so tun kann, als habe sie keinen Schimmer, worum es geht.

Sehr geehrte Frau Richter,

ich bin freier Journalist und arbeite an einem Beitrag über NewsGuard und NewsGuard-Großinvestor und Geschäftspartner Publicis Groupe. 

Ich würde mich freuen, wenn Sie mir zwei Fragen beantworten:

1. Ist NewsGuard bekannt, dass Publicis angeklagt ist, über ein Jahrzehnt lang Patienten und Ärzte getäuscht, die Risiken des gefährlichen Opioids OxyContin absichtlich verschleiert und sich an einer kriminellen Verschwörung mit dem Unternehmen Practice Fusion beteiligt zu haben – alles mit dem Ziel, Ärzte dazu zu bewegen, ihren Patienten in immer größerer Zahl und in immer höherer Dosis OxyContin zu verschreiben, um des Profits willen?

2. Welche Konsequenzen zieht NewsGuard daraus?

Zum Hintergrund: 

Publicis gehörte schon 2019 zu den Investoren von NewsGuard. Am 25. Mai 2021 gaben NewsGuard und Publicis Health zudem bekannt, gemeinsam gegen „Missinformation“ und „Desinformation“ über Gesundheitsfragen vorgehen zu wollen.

Zu diesem Zeitpunkt war der Öffentlichkeit bereits seit drei Wochen bekannt, dass Publicis Health im US-Bundesstaat Massachusetts angeklagt wird, über zehn Jahre lang im Auftrag seines Kunden Purdue Pharma Missinformation und Desinformation über das Opioid OxyContin verbreitet zu haben. Es geht um täuschende und betrügerische Kampagnen mit gravierenden, tödlichen Folgen für zahllose Menschen. Daran soll Publicis Health insgesamt 50 Millionen US-Dollar verdient haben.

Attorney General Maura Healey schreibt in der Anklage:

Publicis veranlasste Ärzte, Opioide zu verschreiben und Patienten, sie einzunehmen, die unsicher, ineffektiv und medizinisch unnötig waren und die oft für Dinge verwendet wurden, die keinen legitimen medizinischen Zweck hatten. Publicis trug wesentlich zu einer Epidemie von Opioidgebrauchstörungen und Todesfällen bei.“

Publicis habe Marketingkampagnen betrieben, die „illegal, unanständig und unehrlich“ gewesen seien. Die „unfairen und betrügerischen“ Methoden von Publicis hätten „Leid, Überdosierung und Tod“ verursacht. 

Wegen der Pläne von Publicis haben zu viele Kinder in Massachusetts ihre Eltern durch eine Überdosis verloren. Zu viele Eltern in Massachusetts haben ihre Kinder begraben. Zu viele Großeltern in Massachusetts ziehen ihre Enkel groß. Patienten, die eine Opioidgebrauchsstörung überleben, brauchen langwierige, schwierige und teure Behandlung. Menschen, die von Opioiden abhängig sind, sind oft arbeitsunfähig. Die Sucht von Eltern kann deren Kinder in eine Pflegefamilie zwingen. Babys werden süchtig nach Opioiden geboren, weil sie den Drogen im Mutterleib ausgesetzt waren.“

Neben seiner moralischen Verantwortung für Krankheit, Abhängigkeit und Tod in tausenden von Fällen habe Publicis der Gesellschaft auch einen immensen finanziellen Schaden zugefügt, der auf zwei Billionen US-Dollar beziffert wird.

Die vollständige Anklageschrift gegen Publicis Health finden Sie hier: 

https://www.mass.gov/doc/publicis-complaint/download

Bitte antworten Sie mir bis Dienstag, 16.11.2021, 18.00 Uhr.

Marie Richter antwortet im Auftrag von NewsGuard:

„Sehr geehrter Herr Frank,
vielen Dank für Ihre Anfrage.
Publicis ist einer von vielen Investoren von NewGuard, von denen keiner Einfluss auf unsere redaktionellen Richtlinien oder Inhalte hat. Darüber hinaus ist unser Mitbegründer und Co-CEO Steven Brill ein prominenter amerikanischer Journalist, der ausführlich über Fragen des Gesundheitswesens berichtet hat und sich einen Ruf als führender Kritiker der Praktiken der Pharmaindustrie erworben hat, auf die Sie sich beziehen. Daher würde in Amerika die Vorstellung, dass das von ihm mitgegründete Unternehmen diese Industrie unangemessen begünstigen würde, als absurd erscheinen.
Melden Sie sich gerne, falls weitere Fragen aufkommen.

Freundliche Grüße

Marie Richter 

Als ich das las, hätte ich doch fast den Tee verschüttet. NewsGuard-Pressesprecherin Marie Richter bleibt ungerührt angesichts der Vorstellung, dass zahllose Menschen getötet oder dauerhaft krank gemacht wurden, damit ein Newsguard-Investor mehr Geld verdiente. Business as usual? Sie versucht auch nicht, etwas zu beschönigen oder darauf zu verweisen, dass eine Anklage ja noch keine Verurteilung sei und man erst mal abwarten müsse etc. pp. Nein. Sie ist mit den Gedanken ganz woanders, verteidigt NewsGuard gegen einen imaginären Vorwurf:

„die Vorstellung, dass das von ihm mitgegründete Unternehmen diese Industrie unangemessen begünstigen würde...“

Einen solchen Verdacht hatte ich, wie der Leser oben sehen kann, gar nicht geäußert. Das ist merkwürdig, dass NewsGuard-Pressesprecherin Marie Richter sich aus einer Anklage herauswieseln will, die kein Mensch je erhoben hat. Wie formulierte es Hamlets Mutter Königin Gertrude im dritten Akt des Stücks: The lady protests too much, methinks. Die Dame, wie mich dünkt, gelobt zu viel.

Es erinnert an die Fernsehkrimireihe Columbo, wo die Mörder ihre Tat meistens akribisch planen und sich auch ein komplexes Alibi zurechtlegen. Taucht aber Columbo oft genug bei ihnen auf und stellt Fragen, verfallen sie plötzlich in Panik und reden sich um Kopf und Kragen – etwa, indem sie sich gegen einen Vorwurf verteidigen, der gar nicht erhoben wurde.

Was ich eigentlich von NewsGuard hatte wissen wollen, hat nichts mit Mord zu tun oder gar mit „unangemessener Begünstigung“ von Pharmaunternehmen. Mich hat lediglich interessiert, ob der NewsGuard-Konzern irgendwelche Probleme damit hat, Geld anzunehmen, an dem Blut klebt, und ob er nicht fürchtet, mit einem Investor und Geschäftspartner wie Publicis ziemlich unglaubwürdig zu erscheinen, wenn er etwa Mediziner darüber belehren will, was Wahrheit ist. Aber auch diese Frage ist wohl beantwortet. Mit Publicis und NewsGuard haben sich die Richtigen gefunden, das perfekte Tinder-Match. Beiden Firmen ist es offenbar egal, aus welchen Quellen ihr Geld kommt, solange die Quelle nur immer schön sprudelt.

Lesen Sie in der nächsten Folge: Das neue Geschäftsmodell im Zensur-Business.

Teil 1 dieser Serie finden Sie hier

Teil 2 dieser Serie finden Sie hier

Teil 4 dieser Serie finden Sie hier

Teil 5 dieser Serie finden Sie hier

 

Foto: Pixabay

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Dieter Kief / 19.11.2021

Die professionell-freundliche Marie Richter wird für diese Art der Dienste bezahlt, und das ist ihr klar - und macht ihr vermutlich auch Spaß. - Es macht Spaß, amoralisch zu sein, wenn man dafür mit regelmäßigen ordentlichen Lohnzahlungen und einem entsprechenden Status (wichtig-wichtig!) rechnen kann, vermute ich.  - Es macht Spaß, aber es ist nicht richtig und es ist nicht lustig, was Marie Richter tut - und was die Firmen tun, für die sie arbeitet.

Markus Kranz / 19.11.2021

Herr Frank, sie hat ihre Fragen (indirekt) beantwortet: (1) Ihr war bekannt, dass Publicis Desinformation betrieben hat (2) “News Guard” wird gar nichts tun, weil sie kein Problem mit Desinformation haben.

Henry Werder / 19.11.2021

In dem Artikel wird suggeriert,das Opioide prinzipiell schlecht sind und gefährlich. Ich gebe zu bedenken,das es viele Menschen gibt, für die Opioide das beste ist was ihnen medizinisch helfen kann. Nicht nur in Bezug auf körperliche Schmerzen zu behandeln, sondern auch als psychische Hilfe, als eine Art Krücke, um erträglicher durchs Leben gehen zu können. Meiner Meinung nach sind Opioide eines der wichtigsten und besten Medizinprodukte. Und nebenbei: eine Überdosierung kann natürlich niemand ausschließen, wer sich umbringen will,tut das egal wie. Andere saufen sich tot, sterben an Lungenkrebs. Auf die Idee zu kommen bittburger Pils zu verklagen kommt auch keiner. Aber bei einer Firma die ein wichtiges und auf vielen Gebieten notwendiges Opioid vertreibt, wird so getan als sei es verwerflich das eine Firma damit Geld verdient.

Bernd Sauer / 19.11.2021

Eine “Bloodguard” App für Browserinhalte, wäre die richtige Antwort für die moralisch Verkommenen. Der Internet-User muss vor der Gruppierung, die ihren Umsatz aus dem Elend der Menschen ziehen, mit einer Browserapp geschützt werden. “Vorsicht, Sie haben in ihrer Toolsammlung eine moralverachtende Application Software! Fahren Sie fort mit der Deinstallation”. Allerdings lassen sich vermutlich dann etliche Webinhalte nicht mehr öffnen.

Karl Kurz / 19.11.2021

Worüber Sie sich wundern können! Schauen Sie sonst nur Kinderfernsehen?

U. Unger / 19.11.2021

Das ist geil, ein Pharmakritiker, der mit seiner Firma loszieht gegen jeden, der sich mit Bedenken gegen eiligst zusammengerührte ” Impfstoffe ” äußert. Normalerweise eine Story für Film oder Theater. Früher nannte man dies Thriller, sofern es nicht persönliche Wirrungen einer Einzelperson waren, die in einer Komödie mit Heidi Kabel oder/ und Willy Millowitsch für einen unverhofften Geldsegen fürs happy End zum dramturgischen Inventar guter Komödien gehörte. Die einzige, klassische Moralbotschaft vom Saulus zum Paulus. Heute reicht vom Saulus zur Sau. Wäre mal interessant, welche Kritik dieser Steven Brill so verfasst hat und ob er in der Firma überhaupt noch etwas sagen darf?

Walter Weimar / 19.11.2021

Es gibt eben Leute auf dieser Welt, die wollen sich nicht ans Bein pinkeln lassen, obwohl sie selber ständig mit Dreck schmeißen und mehr als knietief in der Scheiße stehen.

Christian Gude / 19.11.2021

Da wäre ja jetzt die Frage an Frau Richter sinnvoll und konsequent, was aus ihrer Sicht die Motivation von Publicis sein könnte, in eine Plattform wie NewsGuard zu investieren. Menschenliebe, Humanismus und der Schutz von Lesern vor gefährlichen Falschinformationen, die ihre Gesundheit gefährden?

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