Peter Grimm / 17.07.2019 / 06:00 / Foto: U.S. Department of State / 81 / Seite ausdrucken

Neun Stimmen für Uschi

Gerade mal neun Stimmen mehr als nötig hat Ursula von der Leyen im EU-Parlament bekommen und ist damit nun die neue EU-Kommissionspräsidentin. Das bleibt jetzt übrig von der großen „Schicksalswahl“, in der es doch um die europäische Demokratie gegangen sein soll. Nach vielen langen Gesprächen hatte es die Kandidatin mit ihren Mitstreitern geschafft, die nötige Mehrheit zusammen zu bekommen.

Etliche Abgeordnete, die sich zuvor wochenlang laut empört hatten, dass statt der Spitzenkandidaten nun eine Frau zur Abstimmung stand, die von den EU-Regierungschefs ausgekungelt wurde, stimmten am Ende für von der Leyen. Sie begründeten das unisono mit der staatspolitischen Verantwortung, denn in diesen bewegten Zeiten dürfe es doch keine Führungskrise in der EU geben. Ein mehrheitlich so führungsfixiertes Parlament kämpft natürlich nicht um mehr parlamentarische Rechte, sondern freut sich, wenn die ihnen von der neuen Kommissionspräsidentin versprochen wird. Ein peinliches Bild für angeblich selbstbewusste Demokraten.

Doch auch jene, die konsequent blieben und Frau von der Leyen ihre Stimme versagten, sehen nicht besonders strahlend aus nach der frühabendlichen Straßburger Parlamentsaufführung. Insbesondere die deutschen Sozialdemokraten, die ihr extremes Schwächeln daheim mit starken Worten auf der europäischen Bühne auszugleichen suchten. Es gehe schließlich ums Prinzip.

Die Koalitionspartner aus CDU/ CSU sekundierten die peinliche Aufführung am Ende noch mit einem ganz besonderen Schmankerl. Ausgerechnet in diesen Zeiten, in denen doch alles Nationale nur noch verteufelt und mit den Unberührbaren von der AfD in Verbindung gebracht wird, kam es manch Christdemokraten wieder in den Sinn, die SPD wegen ihrer Ablehnung von Ursula wie ganz früher zu vaterlandslosen Gesellen zu erklären. Ganz so nannte man es natürlich nicht. Der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Söder sagte, es könne nicht sein, dass sämtliche EU-Regierungschefs eine deutsche Kandidatin vorschlügen und ausgerechnet Deutschland ausschere, weil die SPD sich verweigere. Dies sei ein Schaden für das Land. Im Klartext: Deutsche, wählt deutsche Kandidatinnen!

„Kein Nachkarten“

Doch jetzt, nachdem die SPD-Genossen im EU-Parlament ihren kleinen Auftritt in Sachen Prinzipien hatten, ist alles wieder gut. Von der Leyen ist gewählt – auch mit den Stimmen der nichtdeutschen Sozialdemokraten – und die SPD hatte einen Moment der Reinheit genießen dürfen. Jetzt ist alles vergessen und selbst Ralf Stegner, der sonst keinem verbalen Sticheln und Nachtreten aus dem Weg geht, twitterte friedlich:

„Das Parlament hat entschieden und es kann jetzt kein Nachkarten geben. Wir wünschen Frau von der Leyen im Interesse eines gemeinsam handelnden Europas allen Erfolg! Wir erwarten, dass sie die Zusagen einhält, die sie in ihrer Bewerbungsrede vor dem EU Parlament gemacht hat!“

Ja diese sagenhafte Rede in drei Sprachen, die in vielen deutschen Medien gefeiert wurde, enthielt in der Tat neben einem wohldosierten Pathos-Anteil auch ein Feuerwerk schön klingender Versprechen für alle, von denen sie sich einige Stimmen erhoffte. Doch die Mehrheit hat sie wohl nicht wegen ihres wundervollen Auftritts errungen – vielmehr dürfte eine Personalie wichtig gewesen sein, die in den Stunden zwischen Rede und Abstimmung bekannt wurde: Der umstrittene Generalsekretär der Kommission, Martin Selmayr, verlässt sein Amt.

Der Mann hat einen eher zweifelhaften Ruf als mächtigster Strippenzieher der EU hinter den Kulissen. Jahrelang war der Spitzenbeamte der Kanzleichef von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, bis dieser ihn handstreichartig und unter Missachtung einiger Regeln im März 2018 zum Generalsekretär der Kommission machte. Das sorgte für erheblichen Unmut, auch im Parlament. Zwar hätte er – nach ungeschriebenen Gesetzen – als Deutscher nicht Generalsekretär bleiben können, wenn schon die Kommissionspräsidentin eine Deutsche ist, doch es wurde spekuliert, er könne wieder auf den Posten des Kanzleichefs wechseln. Das aber wird er auch nicht, sondern verlässt die Kommission. Rechtzeitig vor der Abstimmung gab er seinen Rücktritt bekannt.

Tausch der Spitzenplätze zum Strippenziehen

Also wurde Selmayr geopfert, um eine Mehrheit zu bekommen? Das ist eine Lesart, die einige Berichterstatter und Kommentatoren offenbar teilten. Im Handelsblatt heißt es beispielsweise. „Zugleich beugt sie sich dem Druck etlicher Abgeordneter aus den eigenen Reihen: Diese hatten ihre Zustimmung zur Wahl von der Leyens an die Personalie geknüpft.“

Doch vielleicht war Selmayrs Abgang ohnehin eingeplant, weil es bei dem ganzen Personalpaket an der EU-Spitze auch von vornherein schon um die Schlüsselstellung des Strippenziehers im Hintergrund ging. Aufmerken lässt ein anderer Satz im bereits zitierten Handelsblatt-Bericht:

„Wer auf Selmayr nachfolgt, ist noch unklar. Als Kandidat gehandelt wird der Franzose Olivier Guersent, bislang Generaldirektor für Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion.“

Zuvor war Guersent von 2010 bis 2014 Kabinettschef des EU-Kommissars Michel Barnier und anschließend stellvertretender Generaldirektor für Binnenmarktfinanzdienstleistungen. Das klingt nach einem Spitzenbeamten, der für die Realisierung der Wünsche, die der französische Präsident Macron an die EU hat, durchaus hilfreich sein könnte. Das ist natürlich Spekulation, aber naheliegend sind solche Gedanken schon. Auch Selmayr wird nun nicht ins Bodenlose fallen. Das Handelsblatt schreibt von Gerüchten, nach denen er zur Europäischen Zentralbank wechseln könnte, womöglich als Generalsekretär.

Klingt plausibel, doch vielleicht gibt es ja noch einen anderen einflussreichen Spitzenposten zum Strippenziehen zu besetzen. Oft ist ja die prominente Personalie, über die alle reden, gar nicht die Interessanteste. Warten wir also gespannt, wer tatsächlich Selmayr-Nachfolger wird. Das könnte erhellender sein, als die vielen Versprechungen der neuen EU-Kommissionspräsidentin. Schön klingende Versprechen hatte sie auch als Bundesverteidigungsministerin formulieren können. Nur war’s das dann eben auch. Wer also wirklich auf Rettung der EU durch Reformen des Apparats gehofft hat, für den war der Dienstag kein guter Tag.

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Leserpost

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Hans Huber / 17.07.2019

Um die Vereinigten Staaten von Europa zu schaffen, muss Deutschland vorher klein gemacht werden. Noch mehr in die Zange genommen werden. Das ist, was übergeordnet als Agenda läuft. Ein zu starkes Deutschland ist dem Projekt “Vereinigte Staaten von Europa” im Wege. Deutschland würde immer wieder versuchen den Ton anzugeben. Also schraubt man Deutschland wirtschaftlich und innenpolitisch nach unten. Es gibt noch andere Gründe, warum man das tut, aber das würde hier zu weit führen. Um die Vereinigten Staaten von Europa zu schaffen, muss Europa vorher quasi zertrümmert werden. Aus den Trümmern baut man dann das “neue Europa”. Leider ist kein weißer Ritter am Horizont zu sehen, der uns rettet. Im Gegenteil. Wir werden mit immer höherer Geschwindigkeit “nach unten verwaltet”. Sobald es zur wirtschaftlichen Kernschmelze kommt, wird es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Europa, aber vor allem in Deutschland kommen. Die guten Zeiten sind auf jeden Fall vorbei. Sie kommen auch nicht wieder. Zumindest so wie wir sie kennen. Da wir von so hohem Niveau abstürzen, werden uns die Schmerzen besonders brutal vorkommen. Ich würde gerne positiver denken, aber ich kann ja kaum die mich umgebende Realität zur Seite schieben.

Günter Schaumburg / 17.07.2019

“Nach vielen, langen Gesprächen…(2. Absatz)”. Darf vermutet werden, daß, mit Verlaub, aber wie die ganze Wahl und Nachwahlchause abgelaufen ist, kommt unsereins auf den Gedanken, daß aus der Handtasche das prall gefüllte Portomonnaie hervorlugte? Rom verschwand auch einst in der Versenkung, da der Sittenverfall nicht mehr aufzuhalten war. Und Karl Marx, nicht daß ich ihn verehre, aber er sagte auch Zutreffendes, schrieb:“Der Kapitalis- mus verfault von innen.” Wird Kompost der Geschichte.

Dr. Freund / 17.07.2019

Nicht der alte , weisse Mann gibt die EU zur Plünderung von innen und aussen frei, es sind alte, weisse Frauen. Das Signal für junge,nichtweisse Männer, das Ruder zu übernehmen.

Donald Adolf Murmelstein von der Böse / 17.07.2019

Solange es meines Wissens nach im deutschsprachigen Raum keinen TV-Sender (Privat oder staatlich Subventioniert) gibt, der überparteilich und neutral allmorgendlich alle überregional bedeutenden Tageszeitungen gegenüberstellt und bespricht (siehe Italien), kann in Deutschland weder von Demokratie noch von Meinungsfreiheit die Rede sein. Auch eine Sendung wie L‘ ONDA im Kanal La7, in der nahezu allabendlich gnadenlos und investigativ über das politische Geschehen in Italien und Europa debattiert wird und bei dem keine politische Vertreter ausgeschlossen werden, kann man zumindest in Deutschland lange suchen. Wenn Sie meine Meinung wissen wollen: Deutschlands „Politik“ ist zu einem Schmierentheater verkommen. Ich muß es wissen, weil ich auf der „muttersprachlich-kulturellen Ebene“ vergleichen kann.

Helmut Driesel / 17.07.2019

  Na ja, ich erkannte irgendwie das strahlende Lächeln einer Frau, die voller Zuversicht den Kinderwagen schiebt. Und so fern der Realität ist das ja auch nicht. Alle Häme und Unfähigkeitsbezeugungen sind nicht gerechtfertigt. Auch wenn ein paar alte preußische Offiziersgene im Verteidigungsministerium nicht zum Tragen gekommen sind, so heißt das ja noch lange nicht, dass den Europaparlamentariern nicht die Flötentöne beizubringen sind. Was der Juncker gekonnt hat, sollte Frau v. d. Leyen nicht schwer fallen. Es geht nicht um Qualifikation sondern um Atmosphärisches, um Klimaangelegenheiten sozusagen. Da wollen Briten, Italiener, Polen und Griechen bezirzt werden. Für den fünfzigsten kleinen Kompromiss gehen große Geister nicht durchs Feuer, erfahrene Hausfrauen schon.

Armin Reichert / 17.07.2019

Ich würde mir mal eine gründliche journalistische Recherche wünschen, die aufzeigt, wer genau die Puppenspieler hinter der Demokratiefassade EU und auch der BRD sind. Es gibt definitiv einen “tiefen Staat”, der immer dann in Aktion tritt, wenn die hinter den Kulissen festgelegte Machtverteilung ernsthaft in Gefahr gerät. Einen aktuellen Eingriff des “deep state” haben wir ja bei der Verstümmelung der AfD-Liste für die Sachsenwahl gesehen, da in Sachsen ein AfD-Ministerpräsident plötzlich in den Bereich des Möglichen geriet.

Erich Ganspöck / 17.07.2019

Wenn ich lese, dass UvdL deutlich sagte, sie sei froh, nicht von den Abgeordneten der AfD gewählt worden zu sein (ich glaube, sie erwähnte direkt Herrn Meuthen), dann wird der deutsche Antitoleranz-weg mit den Andersdenkenden-Virus jetzt von der Spitze her der EU eingeimpft. Deswegen habe ich vor Jahrzehnten sicher nicht für den EU-Beitritt Österreichs gestimmt!

H. Schmidt / 17.07.2019

“Gerade mal neun Stimmen mehr als nötig hat Ursula von der Leyen im EU-Parlament bekommen “ Genau. 0-Punkte hätten vollkommen ausgereicht da mehr wirklich nicht nötig ist. Wie lange darf die da jetzt agieren? 5 Jahre?! Da freuen sich die Beraterfirmen. Endlich nicht mehr nur die deutsche Bundeswehr beraten sondern jetzt endlich ganz Europa. Da lassen sich schnell mal Milliarden verdienen.

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