Michael Miersch / 20.01.2015 / 19:03 / 132 / Seite ausdrucken

Na dann ohne mich

Auf der Achse hat sich eine Stimmung breit gemacht, der kaum noch etwas gemein hat mit der ursprünglich liberalen, weltoffenen und aufgeklärten Haltung dieses Autorenblogs. Als wir vor fast elf Jahren die Achse gründeten, waren die heute vorherrschenden Sichtweisen ziemlich genau das Gegenteil von dem, was wir wollten. Der kulturpessimistische, anti-westliche, national-konservative Gegenpol zur Achse wurden damals von Publizisten wie Konrad Adam und Alexander Gauland repräsentiert, die heute zur Führungsriege der AfD zählen. Beide Herren sind ihrer Weltanschauung treu geblieben und haben damit in jüngster Zeit viel Zulauf gewonnen. Ihr Erfolg geht leider so weit, dass sogar Achse-Autoren diese Partei und ähnlich gestrickte Protestbewegungen wie Pegida verteidigen. Einige sympathisieren ganz offen mit deren Zielen und erklären die Dresdener Demonstranten zum unterdrückten „Volk“, welches sich gegen das „System“ wehren müsse.

Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass massenweise Leser aus dem AfD-Pegida-Umfeld angezogen wurden, die sich auf den Leser-Kommentarseiten der Achse entfalten. Viele dieser Leser-Kommentare können wegen ihrer Wortwahl und ihrem offenen zu Schau getragenen Hass gar nicht erst veröffentlicht werden. Sie verhöhnen Autoren wegen ihrer nicht deutsch klingenden Namen und wüten gegen alles, was nicht in ihr geschlossenes Weltbild passt.

Im Laufe meines Journalistenlebens habe ich viele Hass-Mails bekommen (vornehmlich von Islamisten, Tierrechtlern und Öko-Fanatikern). Die Mails der vergangenen Monate haben deren aggressive Geistesarmut noch unterboten. Das ist eine schmerzliche Entwicklung. Zumal gerade die Achse sich zuvor durch viele differenzierte und kenntnisreiche Leser-Kommentare auszeichnete.

Ich bekam auch einige (aber im Verhältnis zu Welle der Hass-Mails wenige) E-Mails von Lesern, die sich um den Kurs der Achse Sorgen machen. Allerdings meist mit dem Vermerk, sie nicht als Leser-Kommentare zu veröffentlichen, weil man sich nicht beschimpfen und anpöbeln lassen möchte. Darunter auch welche von Lesern aus Dresden, die die Sympathie einiger Autoren für die dortigen Abendland-Demonstranten nicht fassen konnten.

Ich verstehe durchaus, dass man in diesen Zeiten zornig werden kann. Die Politik des Kleinredens, Wegguckens und Wegduckens gegenüber islamisch motivierter Gewalt, wie sie idealtypisch ein Heiko Maas repräsentiert, ist ärgerlich. Zensur und Selbstzensur zur Schonung religiöser Gefühle sind absolut inakzeptabel.

Doch ich bezweifle, dass man deshalb Leute verteidigen oder gar unterstützen muss, die „Islamkritik“ sagen und „Ich hasse alle, die anders sind als ich“ meinen. Es gibt viele Belege dafür, dass ein Großteil der Anhänger von AfD, Pegida und verwandten Organisationen ausländerfeindlich und antisemitisch sind, und anti-westliche Verschwörungsgerüchte verbreiten. Die Annahme, dass der Feind meines Feindes, mein Freund sei, ist einer der dümmsten politischen Trugschlüsse. Mit diesem Ungeist hat Israel einst die Hamas gefördert und Amerika die Taliban.

Es ist besser, wenn ich mich als Autor, Redakteur und Herausgeber der Achse zurückziehe. Denn ich merke, der Versuch gegenzusteuern, kostet zu viel Kraft und Nerven. Auch möchte ich nicht, dass meine Gedanken unentwegt um den Mikrokosmos Achse kreisen. Die Welt ist weiter und bunter. Ein Autorenblog deutscher Journalisten ist nicht ihr Nabel. Mögen die Anstifter der gewendeten Achse mit ihrer neuen Fan-Gemeinde glücklich werden. Der Erfolg gibt ihnen Recht. Die rapide steigenden Besucherzahlen der vergangenen Wochen zeigen: Wutjournalismus hat eine weitaus größere Leserschaft als Nachdenklichkeit.

Ich möchte mich nicht mehr täglich ärgern, wenn Menschen verbal ausgegrenzt und herabgesetzt werden, weil sie als Moslems geboren wurden. Menschen nach Herkunft zu beurteilen finde ich boshaft. Sippenhaft ist absolut inakzeptabel. Es geht aber nicht nur um den immer wieder verwischten Unterschied zwischen Islam-Kritik und monokulturellem Dünkel. Ich finde es auch nicht lustig, wenn auf der Achse behauptet wird, die EU ähnele immer mehr der UdSSR und der Euro sei die schlimmste Destruktion seit dem Zweiten Weltkrieg. Mir missfällt das reflexhafte Eindreschen auf alles, was unter dem Verdacht steht, „links“ zu sein. Ich finde nicht, dass das heutige Deutschland dekadent ist. Und ich finde auch nicht, dass sexuelle oder andere Abweichungen von der Norm Verfallserscheinungen sind. Mir geht die verlogene Idealisierung der christlichen Familie als Keimzelle der Nation gegen den Strich, genauso wie Häme und die Gehässigkeit gegenüber Minderheiten. Es ist etwas völlig Anderes, ob man sich über eine political correctness lustig macht, die jede noch so schräge Minderheit in Watte packen will, oder über Menschen, die solchen Minderheiten angehören. Besonders stört mich dabei der hohe apokalyptischer Ton, den ich an Öko-Predigern immer kritisierte, der sich inzwischen jedoch auf der Achse ausgebreitet hat. Die aufgeregten Warnrufe vor der EU, dem Euro, der Migration, dem Untergang des Abendlandes klingen ganz genauso wie die Klimakassandras. Gelassenheit und Distanz – zwei wichtige journalistische Tugenden – sind verloren gegangen.

Ich wurde - das möchte ich festhalten - auf der Achse nicht unterdrückt und nicht zensiert. Wenn ich anderer Meinung war, konnte ich dies stets äußern. Doch die Mischung des Meinungsspektrums stimmt aus meiner Sicht schon lange nicht mehr. Es war in den vergangenen Wochen ziemlich anstrengend, ständig dafür zu sorgen, dass überhaupt noch liberale Gegenstimmen auf der Achse erscheinen. Außer mir schien es niemand mehr für nötig zu halten, Texte zu besorgen und auf die Achse zu stellen, die sich kritisch mit den Abendländlern auseinandersetzten. Ich kam mir vor, wie einer, der mit einem Zahnputzbecher gegen das Volllaufen eines lecken Bootes ankämpft. Die Autoren mit dem großen Verständnis für AfD, Peginda und Co. sind eindeutig in der Überzahl, verfassen mit großem Eifer Artikel, posten fleißig geistesverwandte Gastbeiträge und Fundstücke, und werden durch zahlreiche Leser-Kommentare dabei angefeuert.

Es ist zu mühselig geworden, zumindest etwas Meinungsvielfalt aufrecht zu erhalten. Manche, denen diese Entwicklung missfällt, haben sich bereits zurückgezogen. Ich möchte nicht der letzte Andersdenkende sein, der geht. Und ich möchte mich nicht in einen Topf geworfen werden mit jenen übel gelaunten Ex-Linken, für die liberales Denken nur eine Durchgangsstation war auf ihrem Weg zum Deutschtümler, Frömmler oder Abendländler. Die differenzierte Betrachtung ist einem kruden Freund-Feind-Denken gewichen. Oftmals verpackt als Verteidigung der Meinungsfreiheit im Sinne von „man wird ja wohl noch sagen dürfen.“ Ja, darf man, aber ohne mich.

Das politische Spektrum in Deutschland verengt sich auf zwei Pole: Die, die ein Problem mit dem Islam abstreiten und am „Elefanten im Zimmer“ vorbei gucken. Und die, deren Antwort auf die islamische Herausforderung lautet: Scharen wir uns um Kreuz und Fahne und verteidigen wir unsere deutsche Identität. Liberale und differenzierte Positionen werden davon überrollt. Kürzlich schrieb eine Leser: „Das Traurige ist für mich, dass es weder eine linke Gesellschaftsströmung von irgendeiner Relevanz gibt, die mit einem aufklärerischen Impuls Massen begeistert, noch eine konservative Strömung, die die westlichen Werte populär verteidigen kann. Links hat sich als esoterisch-evangelisches Beamtentum etabliert, rechts als besserverdienendes Ignorantentum.“ Diese Kurz-Analyse bringt es auf den Punkt.

André Gorz hatte recht: „Der Gedanke der Freiheit besitz keine wirkliche Heimstatt in Deutschland.“ Vielleicht gelingt es ja anderen, den ursprünglichen Geist der Achse neu zu beleben.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Kurt Schrader / 20.01.2015

Sehr geehrter Herr Miersch, diese Mitteilung macht mich sehr betrübt! Sie sind (waren?) einer meiner Lieblingsautoren der “Achse”. Wegen Ihres so starken „Hingezogenseins“ zu „Wahrheit“ und Wirklichkeit, wegen ihrer scharfen Analysen, die (natürlich) zu Standpunkten jenseits des Mainstreams führten und nicht zuletzt auch wegen ihrer unprätentiösen Art und Ihrer immer wieder erkennbar aufblitzenden Liebe zum Leben; wenn alle so denken würden, wären wir gerettet?! Sind die Menschen zu retten? Niemand weiß es. Die (wir) meisten nehmen sich zu wichtig, und dabei kommt dann meist allerlei Blödsinn raus! Meinungsströme kommen und gehen! Ob und wie wir sie beeinflussen können, wissen wir auch nicht. Aber geben wir die Hoffnung nicht auf! Und die „Achse des Guten“ ist ein kleines Leuchtfeuer dafür, dass eben diese Hoffnung nicht aufgegeben wird. Sie, lieber Herr Miersch passen da so gut hin - und auch wenn Meinungsfluten um Sie herum hin und her wogen, ziehen Sie Ölzeug und Südwester an und binden sich am Steuerruder fest; Stürme müssen ausgehalten werden, wenn man zu fernen und besseren (?!) Horizonten unterwegs sein will. Sorry, anders konnte ich es nicht ausdrücken! Kurz: Bitte bleiben Sie uns, Ihren treuen Lesern der „Achse“, erhalten! Ich grüße Sie sehr herzlich, in Respekt vor jeder Entscheidung, die Sie treffen werden Kurt Schrader

stefan Reichenbach / 20.01.2015

Herr Miersch, Leider muss ich Ihren Pessimismus, wie er in der abschließenden Feststellung zum Ausdruck kommt, bestätigen:Als Liberaler, westlich orientierter Freidenker wird man zerrieben zwischen “Nie wieder Deutschland” auf der einen Seite mit Prantl als Stellvertreter Augsteins auf Erden und jenen, die ihr Heil bei Putin suchen. Und allen ist ein in Deutschland von links bis rechts nicht ausrottbarer Antiamerikanismus zu eigen! Und dabei bestan einmal die Hoffnung, dass Deutschland in der Geschichte erstmalig auf der Seite der Freiheit seinen Platz gefunden hätte. Statt dessen stehen sich wieder einmal zwei Blöcke (derzeit noch selbsternannte “Anständige und Weltoffene”  gegen “Krude und Latenz -Nazis) gleichermaßen unversöhnlich wie ignorant, also: antiliberal, gegenüber. Ihr Fehlen bei der Achse ist zu bedauern, Ihre Entscheidung verständlich. Stefan Reichenbach

Stefan O. W. Weiß / 20.01.2015

Lieber Herr Mirsch, mit Bestürzung lese ich ihren Beitrag. Sie gehören doch zu den Begründern der Achse, und gerade ihre Beiträge fand ich immer vorbildlich dafür, wie man schwierige Themen klar und differenziert darstellen kann. Ich kann ihre Argumente durchaus nachvollziehen, aber andererseits gefällt mir an der Achse eben gerade auch, daß verschiedene Strömungen zu Wort kommen, die man sonst in den Mainstreammedien gerade nicht findet. Sie werden sich zweifellos gut überlegt haben, was Sie tun, aber denken sie mal daran, was mir ein bedeutender Erforscher des deutschen Liberalismus mal gesagt hat: “Die deutschen Liberalen hatten immer das Problem, daß drei Liberale drei liberale Parteien ergeben”. So wird das nie was mit dem Liberalismus in Deutschland. Traurige Grüße von Stefan O. W. Weiß

Bernd Naumann / 20.01.2015

Nun, lieber Herr Miersch, auch wenn ich Ihre Auffassungen zu den von Ihnen genannten Themen nicht teilte, las ich sie doch trotzdem mit großem Interesse. Schade, dass sie gehen. Es war interessant, auf der Achse auch Diskurs wahrzunehmen ohne gegenseitige Diffamierung und Herabwürdigung. Ich bedaure sehr, dass Sie gehen. Vielleicht überlegen Sie es sich ja noch mal. Ach ja, Trolle und Boshaftigkeiten gibt mittlerweile überall, es lässt sich anonym gut mutig oder auch nur boshaft sein. Es wäre schön, wenn Sie blieben.

Jochen Englert / 20.01.2015

Sehr geehrter Herr Miersch, Ich hoffe Sie überdenken Ihre Entscheidung; ich habe eine Patenschaft für die Achse übernommen, weil ich die Achse als liberale Stimme in der Presselandschaft schätzen gelernt habe. Diese Stimme hoffe ich auch weiterhin lesen zu können und nicht nur herbkonservativen rückwärtsgewandten Unsinn. Bitte bleiben Sie an Bord und geben Sie “Ihr” liberales Projekt nicht auf. Mit freundlichen Grüßen Jochen Englert

Armin Buisson / 20.01.2015

So Antisemit und Ausländerfeidlich sollen wir AFD Anhänger sein? Ich finde PEGIDA und die AFD gut und notwendig, letztere unterstütze ich sogar aktiv. Ich war lange Mitglied in der SPD, dort war ich im Kreisvorstand und Stadtteil Vorsitzender. Was da so ab ging politisch und ideologisch kann ich beim besten Willen nicht als demokratisch bezeichnen. Ich bin verheiratet mit einer Georgierin, eine meiner besten Feunde kommt aus dem Iran, ein anderer aus Bosnien, beides sind Muslime. Die mögen Islamisten übrigens auch nicht, sagen aber auch, dass vielen “normalen”  Muslimen unsere westlichen Werte absolut verachten….....

Dieter Dohmen / 20.01.2015

Ach Gottchen, soll man jetzt Mitleid mit Ihnen haben, weil nicht alle Ihre Ansichten mehrheitsfähig sind? So what? Es ist doch egal! Ich appelliere an Sie: Machen Sie weiter, lieber Herr Miersch! Seien Sie nicht narzistisch. Die aufgehetzte Stimmung wird sich legen, weil momentan alles hervorbricht. Ich wiederhole: Laufen Sie nicht weg! Ich komme täglich zur Achse, weil ich Ihre Artikel suche!!

Markus Sommer / 20.01.2015

Aber alles was sie hier einfordern, Herr Miersch, kann ich doch in den Mainstreammedien lesen. Die Achse soll ein intelligenter Gegenpol sein, natürlich ohne einen sturen Automatismus zu entfalten. Die Achse ist gut, bitte weiter so.

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen

Es wurden keine verwandten Themen gefunden.

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com