Chaim Noll / 10.12.2018 / 13:00 / 32 / Seite ausdrucken

Letzter Akt: Personenkult

Irgendwann habe ich mir angewöhnt, meinen Augen zu trauen. Das ist zwar politisch unkorrekt, denn meine Augen gehen verbotene Wege, sie sehen, was sie nicht sehen sollen. Früh lernen wir, das gefährliche Sinnesorgan durch psychische Mechanismen einzuschränken, ihm nicht zu trauen, weil es „subjektiv“ ist, nicht durch politisch korrekte Korrektive gebremst. Irgendwie ist das bei mir nicht gelungen.

Ganz verloren für das politisch Korrekte ist man, wenn die Augen außerdem noch mit dem Gedächtnis kooperieren. Wenn Bilder des Tages verglichen werden mit dem, was eingespeichert ist an früheren Szenen. Der Parteitag der – noch immer – größten deutschen „Volkspartei“ war für erinnernde Augen ein Fest des Wiedererkennens. Déjà-vu – wo habe ich das bloß schon mal gesehen? Dieses falsch-bescheidene Lächeln, wenn der stehende Beifall der Parteitags-Delegierten in die zehnte Minute geht?

Erinnerungsträchtig auch das Abschiedgeschenk (obwohl der Abschied in diesem Fall nur fake ist), ein goldener Dirigentenstab. Der japanische Musiker, von dem er stammte, hatte in Handschrift darunter gesetzt: „Mit meiner größten Verehrung für Angela Merkel, die wichtigste Dirigentin der Weltpolitik“. Das Motiv der amerikanischen Zeitschrift Forbes wurde nochmals aufgegriffen, die sie zum achten Mal zur „mächtigsten Frau der Welt“ erklärt hatte. Auch dafür gab es stehende Ovationen.

Eine berauschende Kulisse der Zustimmung

An dieser Stelle überkam mich eine Erinnerung meiner Jugend: Wie Parteichef Walter Ulbricht eine goldene Patronenhülse überreicht bekam, mit den „Verpflichtungen der Jugend“. Dazu wurden wir, Ost-Berliner Oberschüler, zu Zehntausenden ins Walter-Ulbricht-Stadion geschafft, eine berauschende Kulisse der Zustimmung. War die spätere Kanzlerin (mein Jahrgang) live mit dabei? Oder sah sie die erhebenden Bilder abends in der „Aktuellen Kamera“? Solche Bilder prägen: entweder rufen sie Abscheu hervor oder heimliche Sehnsucht. Das Stadion ist inzwischen verschwunden, auf seinem Areal wurde – durchaus mit Sinn fürs Symbolische – die neue Zentrale des Bundesnachrichtendienstes errichtet.

Bedeutet Globalismus auch globalen Größenwahn? Globalen Personenkult? Haben wir in diesem angestrebten Modell, mit dem wir noch keine Erfahrung machen konnten, dessen Folgen sich nicht absehen lassen, auch die globale Verehrung globaler Führerpersönlichkeiten zu erwarten? Stalin blieb – immer noch einschränkend – der „Vater aller Werktätigen“. Bei Ulbricht und Honecker fielen die Ehrentitel noch bescheidener aus. Sie blieben auf ein Land beschränkt (mehr hätten die sowjetischen Genossen nicht erlaubt). Aber nun ist es „die Welt“ und „die Weltpolitik“. Das globale Attribut wurde auch dem Walter-Ulbricht-Stadion verliehen, seit 1973 hieß es „Stadion der Weltjugend“. Das war bald nach Ulbrichts Sturz.   

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Leserpost

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Frank Mora / 10.12.2018

Hamburg? G20? Da war doch was? Das Dirigat fand im Inneren des Denkmals für sorgsamen Umgang mit Steuergeldern statt. Drumherum wohl eher failed State.

C. Harnisch / 10.12.2018

Das erinnert alles stark an damals, als der Russe schon vor Berlin stand…Groeßenwahn bis in den Untergang…Nun soll ja schließlich auch ‘unser Wertesystem’ (dank M. Gnaden) als ‘weltweiten Standard’ fungieren…Ich warte nur noch darauf, daß der linke Papst M. endlich heilig spricht…—- Wer sagt diesen politischen Geisterfahrern, daß M. nur weg unserem Geld ‘maechtig’ war? Und das, was sie mit dieser ‘Macht’ angerichtet hat, uns und Europa noch mehrere Generation (die armen) beschaeftigen wird…

Wolfgang Lakommy / 10.12.2018

Der 10.12.2018 - Tag des Hirntodes der Bundesrepublik Deutschland

E.W.U. Putzer / 10.12.2018

Der Wagnerianer A.H. hat ja die Wagner-Partituren zum Geburtstag bekommen, leider bis heute verschollen (die Partituren).  Die Wagnerianerin M. bekommt einen vergoldeten Taktstockt, hoffentlich geht es dem Taktstock nicht mal ähnlich, wenn die letzten Tage anbrechen und das große Ausmisten beginnt. Bei zukünftigen Stiftungen (z.B. Topographie des Irrsinns oder so) werden diese Reliquien sehr begehrt sein.

W.Schneider / 10.12.2018

Über das Motiv des Dauerklatschens kann man doch auch noch philosophieren, z.B. Erleichterung o.ä. Übrigens wählt Forbes meiner Kenntnis nach die Frau des öffentlichen Lebens mit der größten Medienpräsenz,  the biggest Newsmaker.

Günter Springer / 10.12.2018

Bitte, ich muß noch eine Frage stelle: Wann wir der liebe Gott gegen Frau Merkel ausgetauscht?

E. Albert / 10.12.2018

Nach Rinderwahn jetzt halt Größenwahn…- Im Ernst: diese Frau hat über ein Jahrzehnt keine Gegenwehr erfahren (- und jetzt auch nur ansatzweise-), um sie herum kriechen ihr alle in den - Sie wissen schon -, um die eigenen Pfründe zu sichern - da ist klar, dass sie irgendwann die Bodenhaftung verliert und die Lobeshymnen auf sie wahrscheinlich auch noch selber glaubt. Daher ist eine Begrenzung der Amtszeit DRINGEND nötig, damit ein solches Abdriften und die Entstehung eines irrsinnigen Personenkults verhindert wird!

Günter Springer / 10.12.2018

“Mit meiner größten Verehrung für Angela Merkel, die wichtigste Dirigentin der Weltpolitik…......???!!!” Waren die alle besoffen oder sind sie es noch? Da kann man nicht mal mehr drüber lachen, so traurig ist es , was ein Gehirn fabriziert. Sind wir hier unten schon alle verrückt geworden oder sind die es da oben?

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