Deborah Ryszka, Gastautorin / 22.01.2023 / 14:00 / Foto: Achgut.com / 15 / Seite ausdrucken

Kultur-Kompass: „Mehr Demokratie wagen”

Das Buch hätte zu keinem besseren Zeitpunkt erscheinen können. „Jetzt“ ist genau richtig. Der Wirtschaftswissenschaftler Bruno S. Frey und der Historiker Oliver Zimmer präsentieren erfrischend vernünftige Ansichten. 

Was für ein Chaos! Mancher Grünen-Abgeordnete, der mal für den Abriss Lützeraths stimmte, inszeniert sich nun an der Seite von Klima-Aktivisten als couragierter Kämpfer mit progressivem Vorzeichen. Auf der einen Seite. Auf der anderen Seite verspricht das Oberhaupt Deutschlands zunächst Panzer, macht dann einen Rückzieher, sagt daraufhin „America first“, woraufhin die USA Panzer liefern wollen und Scholz macht wieder, was er am besten kann: wenden (ist das womöglich die Zeitenwende, von der er sprach?). Wenn schon Volksvertreter anfangen, das Recht mit Füßen zu treten oder ausländisch verbündete Nationen und die eigenen Bürger für doof zu halten, weil sie entweder notorisch labil sind oder vergessen haben, wofür sie gestern abgestimmt haben, oder ihr Mandat nicht ernst nehmen, dann heißt es: es ist fünf vor zwölf. Nicht für das Klima, sondern für unsere Demokratie.

„Mehr Demokratie wagen. Für eine Teilhabe“ hätte daher zu keinem besseren Zeitpunkt erscheinen können. „Jetzt“ ist genau richtig. „Jetzt“ ist perfekt. Dabei vertreten der Wirtschaftswissenschaftler Bruno S. Frey, und der Historiker Oliver Zimmer, erfrischend liberale und vernünftige Ansichten. Für Angehörige des Universitätsbetriebes eher ungewöhnlich, denn sie sind zu wenig links-grün ideologisch und aktivistisch unterwegs. Andererseits sind beide Autoren Schweizer, Zimmer unterrichtete Jahre an der Universität von Oxford. Schweizerischer Unabhängigkeitstrieb gepaart mit angelsächsischem Individualismus, das erklärt so manches. Jedenfalls: In dem knapp 160 Seiten umfassenden Werk kritisieren beide Autoren, jeweils aus historischer und pragmatischer Sicht, unsere gegenwärtige Ausformung von Demokratie. Hierbei erschließen sich ihnen drei Problemfelder, die sie als 1. Modus der politischen Entscheidungsfindung, 2. Ort der Demokratie und 3. Ortsbezug der Demokratie bezeichnen.

Beim ersten, thematisieren sie die repräsentative Demokratie. Diese sei weniger eine Demokratie, mehr ein repräsentatives Regieren, wie man es aus dem angelsächsischen Raum kenne. Denn einerseits sehe man eine „Aristokratisierung der Politik“, Politiker rekrutierten sich aus bestimmten Milieus, andererseits meine diese politische Elite, im Gegensatz zur breiten Bevölkerung, im Besitz der Wahrheit zu sein. Beides, was auch eine Verachtung und Verächtlichung der breiten Bevölkerung beinhalte, schade der Demokratie immens. Was nicht den Ansichten der politischen Elite entspreche, werde geradewegs als „populistisch“ abgetan. Die Zufallswahl, wie es etwa schon die alten Griechen praktizierten, würde hier Abhilfe schaffen. Einerseits sorge sie dafür, dass alle Gruppen im Laufe der Jahre repräsentiert würden, andererseits verhindere sie so Vetternwirtschaft und Korruption.

"Kein Vorbild einer funktionierenden Demokratie"

Zweitens, die gegenwärtigen Rahmenbedingungen seien für unsere Demokratie gefährlich. Der politische Hang und die Verve gesellschaftlicher Eliten für zentralistische Strukturen seien fatal. Nicht mehr Zentralismus, sondern weniger Zentralismus laute das Schlagwort. Die Europäische Union verdeutliche das. „Die Europäische Union ist unserer Ansicht nach in ihre jetzigen Ausprägung kein Vorbild einer funktionierenden Demokratie. Zum einen verunmöglicht die technokratische und zentralistische Architektur der EU die direkte Partizipation der Bürger weitgehend. Zum anderen fehlen dem Parlament in Straßburg die Möglichkeit und der Wille, mehr zu sein als ein Lobby-Verein für die europäische Integration. Noch weniger ermutigend ist der Umgang der EU-Kommission mit demokratisch legitimierter Kritik an den europäischen Verträgen: Entscheidet sich ein EU-Mitglied in einem Referendum gegen einen europäischen Vertrag (was mit der Ausnahme von Deutschland überall möglich ist), wird der Entscheid entweder ignoriert (siehe den von Frankreich und den Niederlanden 2005 abgelehnten Vertrag über eine Verfassung von Europa) oder es wird so lange abgestimmt, bis das Ergebnis der Kommission genehm ist (siehe die 2008 erfolgte Ablehnung der Ratifizierung des Lissaboner Vertrags durch die irischen Stimmbürger).“ Mehr Bestimmungsbefugnisse für regionale Organisationen sowie für territorial unabhängige Organisationen („virtuelle Organisationen“), seien der richtige Weg zu mehr Demokratie. Nicht nur für die EU, sondern auch für Nationalstaaten und andere Organisationen.

Drittens, Demokratie lebe von ihren Bürgern. Die Gefühlszugehörigkeit zur Nation spiele hier eine entscheidende Rolle. Nur wer sich einer Nation verbunden und zugehörig fühle, kurzum: sich mit ihr identifiziere, respektiere ihre Gesetz und ihre Werte, engagiere und entscheide sich in ihrem Namen. Vor diesem Hintergrund sei das fehlende Wahlrecht von Nicht-Staatsangehörigen für eine funktionierende Demokratie unabdingbar. Diese besäßen kein Zugehörigkeitsgefühl und stimmten nicht unbedingt im Interesse des Landes, in dem sie sich aufhielten.

Diese drei genannten Problemfelder umreißen Zimmer und Frey versiert aus historischer und pragmatischer Sicht. Während Zimmer fast so etwas wie eine kleine Geschichte der Demokratie darbietet, legt Frey konkrete Vorschläge zur Umsetzung einer „besseren“ Demokratie dar. Grundsätzlich ist es eine fruchtbare Verbindung. Dass die Spannungen nicht allzu groß ausfallen, liegt am gemeinsamen Fundament. Beiden Autoren geht es nicht darum Recht zu behalten, oder ihre eigene Ansicht dem jeweils anderen aufzudrücken. Nein, beide brennen leidenschaftlich für die Demokratie. Wer, wie die beiden, für die Demokratie brennt, muss zu „Mehr Demokratie wagen“ greifen. Ein besseres Werk findet sich selten.

Frey, Bruno S./ Zimmer, Oliver (2023). „Mehr Demokratie wagen. Für eine Teilhabe aller“. Berlin: aufbau.

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Paul Ehrlich / 22.01.2023

Grundübel in diesem System ist, die Gewaltenteilung funktioniert nicht mehr. Alles, egal ob Rechtsprechung, Medien, POLIZEI, alles ist dem Parteistaat hörig und zu Diensten. Alles kann missbraucht werden und wird missbraucht. Hat man sehr schön bei der inszenierten Pandemie beobachten können. Die genannten Institutionen dienen nicht mehr dem Schutz des Bürgers vor dem übergriffigen Staat, sondern seiner Umerziehung, Gängelung, Bestrafung durch Zwangsgelder und weiteren Maßnahmen. Demokratie war einmal. Der Souverän ist nur noch Verfügungsmasse.

giesemann gerhard / 22.01.2023

@A. Schröder: Der “falsche Freund”: Die stärksten Gruppen innerhalb der Weißen sind US-Amerikaner mit deutschem Hintergrund. Das ist vielen hierzulande unbekannt und die Deutschen haben sich in den USA auch immer recht schnell angepasst. Die deutschsprachigen Einwanderer kamen nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus anderen Ländern wie Österreich, der Schweiz, Luxemburg, dem Elsaß und Südtirol. Es kamen ferner auch deutschsprachige Volksgruppen aus Böhmen, dem Balkan und Russland in die USA. Aus allen Provinzen und Regionen Deutschlands wanderten Menschen in das neue Land ein. Sie strömten aus viele Regionen wie etwa aus Bayern, Schwaben, Baden, Hessen, Pommern oder der Eifel in der preußischen Rheinprovinz in die USA. “usa-info/usa-wiki/einwohner-usa/” Der “verlässliche Freund” sitzt in Kaliningrad, vormals Ost-Preußen,  und er hat dort Raketen stehen, die in 10 Minuten in Berlin einschlagen können. Derzeit vergewaltigt er sein Nachbarland, nach der Melodie: Willst du nicht mein Bruder sein, dann schlag’ ich dir den Schädel ein.

Wilfried Cremer / 22.01.2023

Liebe Frau Ryszka, ein Staat, der die natürlichen Identitäten von Geschlecht, Familie und eben Volk dekonstruieren lässt, hat nur noch eine demokratische Fassade. Ein auf jene Tour zerpflückter und gerupfter und verwirrter Souverän ist eine weiche, leicht zu handhabende Masse in den Händen der feudalen Herrschaften in den Parteien und im Pressfunk.

Rainer Niersberger / 22.01.2023

Nun frisch an’s Werk….  Da scheint ja nicht weniges zutreffend erkannt und beschrieben worden zu sein. Einige Ergänzungen zum Thema” Demokratie “, zum System, den Strukturen und den Regeln zur Machtbegrenzung und zur Vermeidung von Kartellen, sind natuerlich moeglich. Die Bestimmung der Ueberwachenden durch die zu Ueberwachenden selbst duerfte eher kontraproduktiv sein. Da koennte man vieles relativ leicht aendern, aber warum sollten die Machthaber das tun?  Warum sollten die Froesche ihren Sumpf selbst trockenlegen? Und die Opposition wollen"wir” ja nicht. Die waere konzeptionell dafuer vorgesehen, personelle und inhaltliche Aenderungen zu erzwingen. Das waere uebrigens immer ein Problem, egal wie das System ausgestaltet wird. Wenn der (deutsche) Wähler deutlich macht, dass er immer die Gleichen (oder Selben) wählt, egal was die anstellen, braucht man sich ueber andere Aspekte nicht zu unterhalten. Die Konkurrenz oder der Wechsel ist es, was bereits Popper wusste.

A.Schröder / 22.01.2023

Es ist nicht die Demokratie, welche fehlt. Außer in Berlin ist doch alles recht demokratisch, mit Wahl zugegangen. Mehr von was also, damit es keine Mär bleibt? Hirn, Verstand, Denken. Aber woher nehmen und nicht stehlen? Der Zug ist leider in Deutschland abgefahren. Wer zieht sich am eigenem Schopf aus dem Elend? Niemand. Die Strippenzieher, soll ich besser sagen Oligarchen, die es hierbei gibt, haben eine ausgezeichnete Logistik und Strategie, wollen für lange Zeit ihre Investitionen in fetten Profiten bezahlt sehen. Lösung, Krieg oder Revolution. Zweimal Totalausfall für Deutschland. Deutschland hat den falschen Freund in der Welt und einem verläßlichen Partner gerade ans Schienbein getreten.

T. Weidner / 22.01.2023

Also Frau Ryszka - ich hatte in Erinnerung, dass die USA partout eben keine Panzer liefern wollen. Denn wenn die USA Panzer liefern würden - müsste Deutschland eben den kläglichen Rest seiner Verteidigungsfähigkeit nicht auch noch aufgeben. Schade für diesen Ihren Glaubwürdigkeitsverlust. Aber bestimmt springen die Polen ein. Haben die sich nicht aktuell gerade zur stärksten Landarmee in der EU hochgerüstet?

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