Im Afrikanischen Viertel im Berliner Stadtteil Wedding sollen Straßen umbenannt werden. Alle Straßen in dem Viertel haben einen Afrika-Bezug und als sie benannt wurden, war Afrika ein Kontinent der Kolonien. Deshalb sollen jetzt nach einem Beschluss des Bezirksparlaments alle Straßen umbenannt werden, die einen Bezug zum deutschen Kolonialismus haben.
Nun haben auch Forscher, die in den Kolonien arbeiteten, zwangsläufig auch irgendeinen Bezug zum Kolonialismus. Wie beispielsweise Gustav Nachtigal, der Stammvater der ethnografischen Feldforschung, ein weltweit bis heute respektierter Afrika-Forscher, dessen Straße zu denen gehört, die die Kommunalpolitiker umbenannt wissen wollen. Er war von den afrikanischen Kulturen fasziniert, lernte afrikanische Sprachen und kämpfte gegen den Sklavenhandel. Er war aber auch - und das wird seiner Straße nun zum Verhängnis - zeitweise in der Kolonialverwaltung tätig.
Was die Straßenumbenennungskommissarinnen und Straßenumbenennungskommissare sicher nicht wissen, weil es die einfachen Urteile stören könnte: Es ließe sich aus der Geschichte der deutschen Kolonialpolitik auch viel über aufrechte Demokraten im Kaiserreich erzählen, die beispielsweise im Deutschen Reichstag erfolgreich für die Abschaffung der Sklaverei und das Verbot des Sklavenhandels gekämpft haben.
Engagierte Kritiker der Kolonialpolitik
Beispielsweise als 1901 die Kolonialverwaltung von Deutsch-Ostafrika dem Reichstag über den Stand der Abschaffung der Sklaverei berichten musste. Dabei ging es darum, dass zwar die Sklaven auf den Plantagen in die Freiheit entlassen wurden, nicht jedoch alle Haussklaven, denn die, so die Verwaltung, hätten ja auch Versorgungsansprüche gegenüber ihren Herren, die sie sonst verlieren könnten. Mit dem langsamen Auslaufenlassen der Haussklaverei in Deutsch-Ostafrika waren auch Kritiker der Kolonialpolitik durchaus einverstanden. Doch dann wurde der Skandal publik, es gebe neue Haussklaven. Die Sozialdemokraten zogen zum wiederholten Mal – letztendlich zumeist auch erfolgreich – gegen die Sklavenhaltung in den Kolonien in die parlamentarische Debatte. Georg von Vollmar, SPD-Reichstagsabgeordneter aus Oberbayern, erklärte beispielsweise im Reichstag zum ostafrikanischen Haussklaven-Skandal:
Nun kann man zwar unter den Parteien dieses Hauses verschiedener Meinung sein über die Art bezw. über das Tempo, in welchem die Haussklaverei abzuschaffen ist. Der Reichstag hat in der That nicht daran gedacht, dieselbe auf einen Schlag zu beseitigen, an einem Tage die alten und jungen Haussklaven aus dem Hause ihrer bisherigen Herren zu entfernen und sie nun suchen zu lassen, wie sie weiter kommen können; sondern man war der Meinung, daß Verfügungen dahin zu treffen seien, daß eine der schlimmsten Eigenschaften der Sklaverei nach der anderen beseitigt werde, und damit allmählich, aber so schnell als möglich die Sklaverei selbst verschwinde. Aber die Voraussetzung bei alledem müßte doch sein, daß zum allermindesten auf deutschem Gebiet kein Sklave mehr geboren werden könne! Wenn dies aber nicht so wäre, wenn in den Schutzgebieten eines Landes, dessen Kolonialpolitik wesentlich unter dem Aushängeschild der Bekämpfung der Sklaverei unternommen worden ist, jeden Tag neue Sklaven geboren werden können, sodaß der Sklaverei thatsächlich keine Grenze gesetzt ist, dann sollte man doch vor allen Dingen jenen schönen Aushängeschild frischweg aufgeben. […] Wir haben in früheren Jahren wiederholt darüber gesprochen, daß Anzeichen vorhanden sind, daß in Ostafrika und anderwärts, wenn auch wohl in kleinerem Maßstabe, der Sklavenhandel noch fortgesetzt wird. Unter anderem habe ich vor ein paar Jahren auf die aus englischen Missionsquellen entnommenen Angaben hingewiesen, daß die auf den zanzibarischen Inseln in großem Maßstabe vorhandene Sklaverei durch die Zufuhr von Sklaven, die auf dem Weg des Schleichhandels auch von Ostafrika her stattfinde, stete Erneuerung finde. Sklavenhaltung und Sklavenhandel sind eben nicht von einander zu trennen. Des weiteren dürfen diejenigen, die sich als Gegner der Sklaverei erklären, deren thatsächlichen Fortbestand auch nicht derartig beschönigen, wie es in der Kommission geschehen ist. Verschiedene von Mitgliedern derselben haben nämlich die Sache so dargestellt, wie wenn die Aufhebung der Sklaverei für niemand unangenehmer und schädlicher wäre als für die Sklaven selbst. Wenn sich die Herren aber die Geschichte der Sklaverei in Nordamerika oder auch die der Sklaverei, der Leibeigenschaft und der Hörigkeit in unserem eigenen Lande ansehen, so werden sie finden, daß man zu allen Zeiten und überall ungefähr dieselben Argumente gebraucht hat. Man kann zugeben, daß in dieser Frage allmählich und wohl.überlegt werden muß; aber Art und Tempo müssen wesentlich anders werden; alle Neugeborenen müssen unbedingt frei werden, und alle Beschönigungen möge man bei Seite lassen.
Wie gesagt, insbesondere die sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten haben in diesen Jahren für die Abschaffung der Sklaverei und das Verbot des Sklavenhandels eine äußerst wichtige und positive Rolle gespielt, an die wird nur kaum erinnert.
Verzicht auf Ehrenwerteres
Der zu diesem Zeitpunkt schon verstorbene Gustav Nachtigal war ebenfalls als Gegner der Sklaverei bekannt, müsste also seine Straße gar nicht verlieren. Aber wenn nun die Bezirksverordneten das nicht so genau wussten, dann haben sie eben vorsichtshalber einen Mann der Kolonialverwaltung vom Straßenschild entfernen wollen, um ihn durch einen ausgewiesenen Sklaverei-Gegner zu ersetzen, oder? Ein Mann wie Georg von Vollmar böte sich ja geradezu an und an die Sozialdemokraten, die gegen die Sklaverei kämpften, mit einen Straßennamen zu erinnern, wäre ja auch eine gute Sache.
Nur leider, so lesen wir, folgt die Umbenennung anderen Prämissen. Gegen die Sklaverei muss man gar nicht gewesen sein, um die bisherige Nachtigalstraße zu bekommen. Harald Martenstein schreibt im Tagesspiegel:
Stattdessen soll eine Weddinger Straße nach Nzinga von Matamba benannt werden. Königin Nzinga kam sehr wahrscheinlich durch die Ermordung ihres Bruders an die Macht. Sie trat zum Katholizismus über, um mit den Portugiesen politisch ins Geschäft zu kommen, die Holländer belieferte sie mit etwa 12.000 Sklaven pro Jahr. Es wird also, wenn alles planmäßig läuft, in Berlin einem Gegner des Sklavenhandels der Straßenname entzogen, um eine Straße nach einer Sklavenhändlerin zu benennen. Dies geschieht im Namen der politischen Korrektheit, denn die Sklavenhändlerin ist ja schwarz und eine Frau, eine starke Frau, genauer gesagt. Moment – wie nennt man das noch gleich, wenn man Personen vor allem nach ihrer Hautfarbe und ihrem Geschlecht beurteilt? Ich glaube, die Fachbegriffe heißen „Rassismus“ und „Sexismus“.
Schade. Hätten sich doch wenigstens die SPD-Genossen im Bezirk mal ein wenig für die Kolonialpolitik ihrer eigenen Partei interessiert. Sie wären auf Ehrenwerteres gestoßen als das, was sie jetzt aufs Straßenschild setzen wollen.
Man hätte es sich übrigens noch leichter machen können und die Nachtigalstraße einfach umwidmen können. In Hannover ist der gleichnamige Verkehrsweg ja auch nach Johann Karl Christoph Nachtigal benannt, einem Theologen, Philologen, Schriftsteller und Erzählforscher des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts.
Dieser Beitrag erschien auch auf Peter Grimms Blog sichtplatz.