Peter Grimm / 07.06.2017 / 17:00 / Foto: Cool Valley/ Pour le Merite / 9 / Seite ausdrucken

Kolonial-Debatte: Ehrt die aufrechten SPD-Ahnen!

Im Afrikanischen Viertel im Berliner Stadtteil Wedding sollen Straßen umbenannt werden. Alle Straßen in dem Viertel haben einen Afrika-Bezug und als sie benannt wurden, war Afrika ein Kontinent der Kolonien. Deshalb sollen jetzt nach einem Beschluss des Bezirksparlaments alle Straßen umbenannt werden, die einen Bezug zum deutschen Kolonialismus haben.

Nun haben auch Forscher, die in den Kolonien arbeiteten, zwangsläufig auch irgendeinen Bezug zum Kolonialismus. Wie beispielsweise Gustav Nachtigal, der Stammvater der ethnografischen Feldforschung, ein weltweit bis heute respektierter Afrika-Forscher, dessen Straße zu denen gehört, die die Kommunalpolitiker umbenannt wissen wollen. Er war von den afrikanischen Kulturen fasziniert, lernte afrikanische Sprachen und kämpfte gegen den Sklavenhandel. Er war aber auch - und das wird seiner Straße nun zum Verhängnis - zeitweise in der Kolonialverwaltung tätig.

Was die Straßenumbenennungskommissarinnen und Straßenumbenennungskommissare sicher nicht wissen, weil es die einfachen Urteile stören könnte: Es ließe sich aus der Geschichte der deutschen Kolonialpolitik auch viel über aufrechte Demokraten im Kaiserreich erzählen, die beispielsweise im Deutschen Reichstag erfolgreich für die Abschaffung der Sklaverei und das Verbot des Sklavenhandels gekämpft haben.

Engagierte Kritiker der Kolonialpolitik

Beispielsweise als 1901 die Kolonialverwaltung von Deutsch-Ostafrika dem Reichstag über den Stand der Abschaffung der Sklaverei berichten musste. Dabei ging es darum, dass zwar die Sklaven auf den Plantagen in die Freiheit entlassen wurden, nicht jedoch alle Haussklaven, denn die, so die Verwaltung, hätten ja auch Versorgungsansprüche gegenüber ihren Herren, die sie sonst verlieren könnten. Mit dem langsamen Auslaufenlassen der Haussklaverei in Deutsch-Ostafrika waren auch Kritiker der Kolonialpolitik durchaus einverstanden. Doch dann wurde der Skandal publik, es gebe neue Haussklaven. Die Sozialdemokraten zogen zum wiederholten Mal – letztendlich zumeist auch erfolgreich – gegen die Sklavenhaltung in den Kolonien in die parlamentarische Debatte. Georg von Vollmar, SPD-Reichstagsabgeordneter aus Oberbayern, erklärte beispielsweise im Reichstag zum ostafrikanischen Haussklaven-Skandal:

Nun kann man zwar unter den Parteien dieses Hauses verschiedener Meinung sein über die Art bezw. über das Tempo, in welchem die Haussklaverei abzuschaffen ist. Der Reichstag hat in der That nicht daran gedacht, dieselbe auf einen Schlag zu beseitigen, an einem Tage die alten und jungen Haussklaven aus dem Hause ihrer bisherigen Herren zu entfernen und sie nun suchen zu lassen, wie sie weiter kommen können; sondern man war der Meinung, daß Verfügungen dahin zu treffen seien, daß eine der schlimmsten Eigenschaften der Sklaverei nach der anderen beseitigt werde, und damit allmählich, aber so schnell als möglich die Sklaverei selbst verschwinde. Aber die Voraussetzung bei alledem müßte doch sein, daß zum allermindesten auf deutschem Gebiet kein Sklave mehr geboren werden könne! Wenn dies aber nicht so wäre, wenn in den Schutzgebieten eines Landes, dessen Kolonialpolitik wesentlich unter dem Aushängeschild der Bekämpfung der Sklaverei unternommen worden ist, jeden Tag neue Sklaven geboren werden können, sodaß der Sklaverei thatsächlich keine Grenze gesetzt ist, dann sollte man doch vor allen Dingen jenen schönen Aushängeschild frischweg aufgeben. […] Wir haben in früheren Jahren wiederholt darüber gesprochen, daß Anzeichen vorhanden sind, daß in Ostafrika und anderwärts, wenn auch wohl in kleinerem Maßstabe, der Sklavenhandel noch fortgesetzt wird. Unter anderem habe ich vor ein paar Jahren auf die aus englischen Missionsquellen entnommenen Angaben hingewiesen, daß die auf den zanzibarischen Inseln in großem Maßstabe vorhandene Sklaverei durch die Zufuhr von Sklaven, die auf dem Weg des Schleichhandels auch von Ostafrika her stattfinde, stete Erneuerung finde. Sklavenhaltung und Sklavenhandel sind eben nicht von einander zu trennen. Des weiteren dürfen diejenigen, die sich als Gegner der Sklaverei erklären, deren thatsächlichen Fortbestand auch nicht derartig beschönigen, wie es in der Kommission geschehen ist. Verschiedene von Mitgliedern derselben haben nämlich die Sache so dargestellt, wie wenn die Aufhebung der Sklaverei für niemand unangenehmer und schädlicher wäre als für die Sklaven selbst. Wenn sich die Herren aber die Geschichte der Sklaverei in Nordamerika oder auch die der Sklaverei, der Leibeigenschaft und der Hörigkeit in unserem eigenen Lande ansehen, so werden sie finden, daß man zu allen Zeiten und überall ungefähr dieselben Argumente gebraucht hat. Man kann zugeben, daß in dieser Frage allmählich und wohl.überlegt werden muß; aber Art und Tempo müssen wesentlich anders werden; alle Neugeborenen müssen unbedingt frei werden, und alle Beschönigungen möge man bei Seite lassen.

Wie gesagt, insbesondere die sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten haben in diesen Jahren für die Abschaffung der Sklaverei und das Verbot des Sklavenhandels eine äußerst wichtige und positive Rolle gespielt, an die wird nur kaum erinnert.

Verzicht auf Ehrenwerteres

Der zu diesem Zeitpunkt schon verstorbene Gustav Nachtigal war ebenfalls als Gegner der Sklaverei bekannt, müsste also seine Straße gar nicht verlieren. Aber wenn nun die Bezirksverordneten das nicht so genau wussten, dann haben sie eben vorsichtshalber einen Mann der Kolonialverwaltung vom Straßenschild entfernen wollen, um ihn durch einen ausgewiesenen Sklaverei-Gegner zu ersetzen, oder? Ein Mann wie Georg von Vollmar böte sich ja geradezu an und an die Sozialdemokraten, die gegen die Sklaverei kämpften, mit einen Straßennamen zu erinnern, wäre ja auch eine gute Sache.

Nur leider, so lesen wir, folgt die Umbenennung anderen Prämissen. Gegen die Sklaverei muss man gar nicht gewesen sein, um die bisherige Nachtigalstraße zu bekommen. Harald Martenstein schreibt im Tagesspiegel:

Stattdessen soll eine Weddinger Straße nach Nzinga von Matamba benannt werden. Königin Nzinga kam sehr wahrscheinlich durch die Ermordung ihres Bruders an die Macht. Sie trat zum Katholizismus über, um mit den Portugiesen politisch ins Geschäft zu kommen, die Holländer belieferte sie mit etwa 12.000 Sklaven pro Jahr. Es wird also, wenn alles planmäßig läuft, in Berlin einem Gegner des Sklavenhandels der Straßenname entzogen, um eine Straße nach einer Sklavenhändlerin zu benennen. Dies geschieht im Namen der politischen Korrektheit, denn die Sklavenhändlerin ist ja schwarz und eine Frau, eine starke Frau, genauer gesagt. Moment – wie nennt man das noch gleich, wenn man Personen vor allem nach ihrer Hautfarbe und ihrem Geschlecht beurteilt? Ich glaube, die Fachbegriffe heißen „Rassismus“ und „Sexismus“.

Schade. Hätten sich doch wenigstens die SPD-Genossen im Bezirk mal ein wenig für die Kolonialpolitik ihrer eigenen Partei interessiert. Sie wären auf Ehrenwerteres gestoßen als das, was sie jetzt aufs Straßenschild setzen wollen.

Man hätte es sich übrigens noch leichter machen können und die Nachtigalstraße einfach umwidmen können. In Hannover ist der gleichnamige Verkehrsweg ja auch nach Johann Karl Christoph Nachtigal benannt, einem Theologen, Philologen, Schriftsteller und Erzählforscher des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts.

Dieser Beitrag erschien auch auf Peter Grimms Blog sichtplatz.

Foto: Cool Valley/ Pour le Merite CC BY-SA 2.0 via Wikimedia Commons

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Gerrit Schwedler / 08.06.2017

Mir geht das alles nicht weit genug. Straßennamen schön und gut. Aber was ist mit überall frei erhältlichen Produkten? Mozartkugeln, Napoleon-Sekt, Bismarck-Mineralwasser etc.etc. Das können doch nicht alles lupenreine Demokraten gewesen sein. Das gehört verboten. Schlage “Supermarkt-Durchdringungs-Gesetz” vor.

Lothar Hannappel / 08.06.2017

Geht es um löschen der Geschichte? Wohl eher nur oberflächlich. Die SChilder werden Heute und jetzt umbenannt. Also ist es Löschung der Gegenwart. Was folgt dem Löschen der Schilder? Deutsche Namen, deutsche Personen, deutsche Städte? Es scheint nur nioch ein Frgae der Zeit, bis wir neue Schilder bekommen “Don´t buy german”

Martin Landvoigt / 08.06.2017

Mir fallen dazu nur krasse Worte ein: ekelhaft und widerlich! Wie kann man heutzutage Rassismus, Sexismus und Sklavenhandel ehren und salonfähig machen?

Christine Maack / 08.06.2017

Bekanntlich ist der Sitz der frz Reifenfirma Michelin in der Kleinstadt Clermont-Ferrand. Und immer, wenn ein großes Unternehmen eine kleine Stadt dominiert, kommt es zu paternalistischen Ansprüchen. So wurden einst die Straßen der Arbeiterviertel auf Wunsch von Michelin nach guten Eigenschaften benannt: Straße des Fleißes, Straße des Ehrgeizes, Straße der Sorgfalt, Straße der Treue, Straße der Solidarität. Während man darüber heute nur noch den Kopf schüttelt, werden die Namen dennoch beibehalten, übrigens ebenso wie die in frz Städten noch immer zahlreich vorhandenen Stalingrad-Boulevards oder -Alleen, weil die Geschäftsleute irgendwann die Nase voll hatten, dauernd ihre Adressen ändern zu müssen. Aber vermutlich gibt es im Wedding keine Selbstständigen mehr, denn die Umstellung von Nachtigal oder Peter in Nzinga von Matamba ist nicht nur ideologisch voll beknackt, sondern auch geschäftsschädigend. Wer kann sich denn diesen Straßennamen merken? Im Navi richtig eingeben? Jemanden danach fragen, der den Namen selbst nicht aussprechen kann? Doch das alles juckt ja unsere Ideologen nicht, Hauptsache ein Zeichen setzen, mit dem sich andere dann herumschlagen müssen.

Dirk Lohmann / 08.06.2017

Die Umbennung kommt keineswegs überall. In Hamburg z.B. nicht, obwohl dort halbe Stadtviertel nach Kolonialherren benannt sind. Sloman, Caprivi, Morewood, Goßler, Windhukkai usw.  Vor dem Afrika-Haus stehen sogar noch bronzene Kolonialfiguren.  Erwischt hat es bisher nur den Reichspräsidenten Hindenburg. Allerdings nur zur Hälfte, denn eine Hälfte der Hindenburgstrasse blieb erhalten (wg Anwohnerklagen), die andere Hälfte wurde zur Otto-Wels-Strasse.  Dort gab es keine Proteste, sie führt nur durch den Stadtpark, Anwohner gibt es da nicht.  Seitdem ist Ruhe, denn die meisten dieser Strassen liegen dummerweise in Blankenese, Eppendorf usw.  Da ist das Risiko zu gross, das man auf teure Rechtsanwälte trifft.  Merke: Linke Geschichtsklitterung muss man sich auch leisten können.

Franck Royale / 07.06.2017

Das Auslöschen nicht erwünschter Geschichte gehörte schon immer zu den Wesensmerkmalen eines sozialistischen Furor, welcher sich für unfehlbar und endgültig hält - egal ob in Bamiyan, in Palmyra, in der historischen Mitte Berlins oder eben im Wedding. Schämt euch, Genossen!

Dirk Jäckel / 07.06.2017

Beim derzeitigen intellektuellen Zustand der Grün/SED-affinen Berliner SPD könnte man glatt vermuten, dass das Engagement der Sozialdemokraten im Kaiserreich gegen Sklavenjagd- und Handel deshalb irrelevant ist, da dieser nun einmal in Ostafrika weitestgehend in muslimischer Hand war (besonders bekannt natürlich das fromme Sanisbar als Hauptumschlagplatz der Beute). Selbst wenn diese kleinen, kleinen Leute die Bildung besäßen, das zu wissen, gehört der muslimische Sklavenhandel nicht zu deren geschichtspolitischen Prioritäten, um es höflich zu formulieren.

JF Lupus / 07.06.2017

Die SPD 2017 ist nur noch erbärmlich. Es wird Zeit, dass diese Partei in der Versenkung der Geschichte verschwindet und optimalerweise dabei die Grünen und Linken gleich mitnimmt.

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