Es ist eine winzige, mit freiem Auge fast nicht erkennbare Veränderung des Stadtbildes der Wiener City, die sich seit ein paar Wochen ganz langsam vollzieht.
Mir persönlich ist sie erst gar nicht und dann, nach einiger Zeit, auch nur aufgefallen, weil ich seit mehr als 20 Jahren im Stadtzentrum wohne, die meisten meiner beruflichen und auch viele private Termine dort wahrnehme und daher wirklich viel dort unterwegs bin. Fast nicht wahrnehmbar ist sie auch deshalb, weil nicht etwas Neues ins Bild getreten ist, sondern weil etwas - nicht ganz, aber doch ziemlich - verschwunden ist.
Noch bis vor kurzem, sagen wir Ende vorigen Jahres, hat man in der Innenstadt, vor allem am Freitagnachmittag oder am Samstag, eine gewisse Anzahl an Männern mit Kippa gesehen. Seit ein paar Wochen ist das anders, man sieht kaum noch einen Juden mit der Kippa auf dem Kopf, ab und an einen vielleicht, aber das ist es auch schon. Die Kippa ist, wenigstens im Zentrum der Stadt, weitgehend aus dem Stadtbild verschwunden. Es ist nicht gerade so wie in Hugo Bettauers legendärem Roman “Stadt ohne Juden”, aber ein Hauch davon ist in der Wiener Innenstadt zu spüren, wenn man nicht ganz blind ist.
Nachdem aber, soweit wir das wissen, in diesen paar Wochen kein größerer jüdischer Exodus aus Wien nach Israel stadtgefunden hat - was angesichts der teils unverschämt hohen Preise in Tel Aviv oder Jerusalem sowie der unleidlichen Nachbarn im Norden und Süden des Landes auch nicht wirklich empfehlenswert wäre -, gibt es eigentlich nur eine einzige logische Erklärung für dieses Phänomen: nämlich, dass die große Mehrheit jener jüdischen Männer, die früher mit Kippa unterwegs waren, es vorzieht, nun sozusagen oben ohne auf die Straße zu gehen.
Das wiederum scheint eher nicht einer Änderung der Herrenmode im Milieu der Wiener Jewish Community zuzuschreiben zu sein, sondern eher einem nüchternen und rationalen Kalkül. Diese lautet seit den Morden an Juden in Brüssel, Paris und Kopenhagen: Im öffentlichen Raum als Jude sichtbar und erkennbar zu sein, kann sich auf die Lebenserwartung ungünstig auswirken. Also wird der eine oder andere Jude in Wien eben auf das Tragen der Kippa verzichten und damit seiner Gesundheit einen Dienst erweisen wollen.
Man könnte nun einwenden, dass dies kein Weltuntergang sei; nicht nur in Wien, sogar in New York tragen vorsichtige jüdische Männer die Kippa schon lange manchmal unter einer Baseballkappe verborgen, was sie mittlerweile zwar fast genauso gut als Juden sichtbar macht, aber wenigstens etwas schnittiger aussieht (außer natürlich in jenen Fällen, in denen die Baseballkappe albern verkehrt herum getragen wird).
Man sollte das aber nicht einwenden, denn was wir hier beobachten, ist nicht nur eine geringfügige Verarmung des Stadtbildes, sondern ein kleiner Sieg jenes neuen islamistischen Terrors, der bei uns in Wien eigentlich noch gar nicht stattgefunden hat. Seine Proponenten wollen, dass die Juden verschwinden, bevorzugt ins Jenseits, notfalls sonst wohin, und jedenfalls aus dem Stadtbild.
Sie haben bei uns gewonnen, ein kleines Stück weit zumindest.
Zuerst erschienen auf der Seite: http://www.wienerzeitung.at/