Christian Ortner / 14.03.2015 / 13:34 / 2 / Seite ausdrucken

Juden raus!

Es ist eine winzige, mit freiem Auge fast nicht erkennbare Veränderung des Stadtbildes der Wiener City, die sich seit ein paar Wochen ganz langsam vollzieht.

Mir persönlich ist sie erst gar nicht und dann, nach einiger Zeit, auch nur aufgefallen, weil ich seit mehr als 20 Jahren im Stadtzentrum wohne, die meisten meiner beruflichen und auch viele private Termine dort wahrnehme und daher wirklich viel dort unterwegs bin. Fast nicht wahrnehmbar ist sie auch deshalb, weil nicht etwas Neues ins Bild getreten ist, sondern weil etwas - nicht ganz, aber doch ziemlich - verschwunden ist.

Noch bis vor kurzem, sagen wir Ende vorigen Jahres, hat man in der Innenstadt, vor allem am Freitagnachmittag oder am Samstag, eine gewisse Anzahl an Männern mit Kippa gesehen. Seit ein paar Wochen ist das anders, man sieht kaum noch einen Juden mit der Kippa auf dem Kopf, ab und an einen vielleicht, aber das ist es auch schon. Die Kippa ist, wenigstens im Zentrum der Stadt, weitgehend aus dem Stadtbild verschwunden. Es ist nicht gerade so wie in Hugo Bettauers legendärem Roman “Stadt ohne Juden”, aber ein Hauch davon ist in der Wiener Innenstadt zu spüren, wenn man nicht ganz blind ist.

Nachdem aber, soweit wir das wissen, in diesen paar Wochen kein größerer jüdischer Exodus aus Wien nach Israel stadtgefunden hat - was angesichts der teils unverschämt hohen Preise in Tel Aviv oder Jerusalem sowie der unleidlichen Nachbarn im Norden und Süden des Landes auch nicht wirklich empfehlenswert wäre -, gibt es eigentlich nur eine einzige logische Erklärung für dieses Phänomen: nämlich, dass die große Mehrheit jener jüdischen Männer, die früher mit Kippa unterwegs waren, es vorzieht, nun sozusagen oben ohne auf die Straße zu gehen.

Das wiederum scheint eher nicht einer Änderung der Herrenmode im Milieu der Wiener Jewish Community zuzuschreiben zu sein, sondern eher einem nüchternen und rationalen Kalkül. Diese lautet seit den Morden an Juden in Brüssel, Paris und Kopenhagen: Im öffentlichen Raum als Jude sichtbar und erkennbar zu sein, kann sich auf die Lebenserwartung ungünstig auswirken. Also wird der eine oder andere Jude in Wien eben auf das Tragen der Kippa verzichten und damit seiner Gesundheit einen Dienst erweisen wollen.

Man könnte nun einwenden, dass dies kein Weltuntergang sei; nicht nur in Wien, sogar in New York tragen vorsichtige jüdische Männer die Kippa schon lange manchmal unter einer Baseballkappe verborgen, was sie mittlerweile zwar fast genauso gut als Juden sichtbar macht, aber wenigstens etwas schnittiger aussieht (außer natürlich in jenen Fällen, in denen die Baseballkappe albern verkehrt herum getragen wird).

Man sollte das aber nicht einwenden, denn was wir hier beobachten, ist nicht nur eine geringfügige Verarmung des Stadtbildes, sondern ein kleiner Sieg jenes neuen islamistischen Terrors, der bei uns in Wien eigentlich noch gar nicht stattgefunden hat. Seine Proponenten wollen, dass die Juden verschwinden, bevorzugt ins Jenseits, notfalls sonst wohin, und jedenfalls aus dem Stadtbild.

Sie haben bei uns gewonnen, ein kleines Stück weit zumindest.

Zuerst erschienen auf der Seite: http://www.wienerzeitung.at/

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Helga Stitz / 15.03.2015

Als Abonnent der Wiener Tageszeitung Die Presse, ist mir Herr Ortner ein Begriff.  Ich freue mich immer freitags, wo seine Kolumne erscheint.

Stephan Happ / 14.03.2015

So so, als Nachkomme von deutschen, aufgeklärten Juden mit jüdischer Familie in USA kann ich hierzu nur eines sagen: Meine Cousine in USA ist Reform-Rabbinerin, meine Urgroßväter und Vorfahren waren deutsche aufgeklärte Juden, das war Anfang 20. Jht. Da ist keiner mit Kippa oder mit Rauschebart und Schläfenlocken durch Berlin/ Nürnberg und Frankfurt gelaufen, höchstens in die Synagoge. Und ich hänge mir auch nicht ein Jesuskreuz um den Hals, nachdem ich protestantisch getauft und seit 20 Jahren Agnostiker bin. Und was den Islam betrifft: Das geht mir auch auf den Sack, wenn ich vollverschleierte Frauen durch die Münchner Innenstadt laufen sehe und muslimische Männer mit ihrem Nachthemd, Turban und “Jesuslatschen”. Religiöse Symbole in der Öffentlichkeit die deutlich sichtbar sind, haben in einem säkularen Staat, in Europa, nichts verloren. Das gilt für ALLE Religionen. Allen voran den Islam, denn der fällt besonders auf, mit staatlicher Duldung… Freundliche Grüße S.H.

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Christian Ortner / 24.05.2017 / 09:25 / 5

Die Europaten: Ein Angebot der EU, das man nicht ablehnen kann

Der ORF berichtet  auf seiner Website ORF.at: „Die Europäische Kommission plädiert dafür, dass bis 2025 alle EU-Länder den Euro einführen. Zwar könne und werde man…/ mehr

Christian Ortner / 04.12.2016 / 18:35 / 9

Österreich: Ein Triumph des Ancien Regime

Wenn Österreich tatsächlich „eine Versuchsstation für den Weltuntergang“ ist, wie Karl Kraus gemeint hat, dann kann die Welt seit Sonntagabend erleichtert aufatmen. Nicht der rechtsstehende FPÖ-Kandidat Norbert…/ mehr

Christian Ortner / 25.11.2016 / 10:57 / 2

Die Lustangst vor der Revolution der hässlichen Menschen

Von Christian Ortner. Es ist jetzt etwas über ein Jahr her, dass sich eine „Profil“-Redakteurin todesmutig nach Wien-Favoriten begeben und berichtet hat, was sie dort…/ mehr

Christian Ortner / 30.07.2016 / 09:50 / 10

Willkommenskultur - eine Leistung von herausragenden Dimensionen.

Wer es noch vor einem halben Jahr gewagt hat auszusprechen, dass die Anwesenheit Hunderttausender junger Männer aus extrem gewaltbereiten, frauenfeindlichen und antisemitischen Kulturen in Westeuropa…/ mehr

Christian Ortner / 17.06.2016 / 11:27 / 4

Der Westen ist nicht in Gefahr zu scheitern - er ist bereits gescheitert

Weit haben wir es gebracht in der westlichen Welt des beginnenden 21. Jahrhunderts: Frauen wird von der Polizei empfohlen, nachts nicht mehr ohne männliche Begleitung…/ mehr

Christian Ortner / 15.05.2016 / 12:04 / 0

Judenhasser mit reinem Gewissen

Während europäische Sozialdemokraten vom EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz abwärts sittlich erregt vor einer faschistischen Machtergreifung in Österreich im Fall eines Wahlsieges des FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer schwurbeln,…/ mehr

Christian Ortner / 25.03.2016 / 18:55 / 2

Frankreich müsste Molenbeek bombardieren, nicht Rakka

Der Rauch hatte sich nach den Anschlägen von Brüssel noch nicht einmal verzogen, als ausgerechnet der ranghöchste Polizist des Landes, Konrad Kogler, im ORF den…/ mehr

Christian Ortner / 02.12.2015 / 11:14 / 4

Hurra, jetzt werden wir zu Verbündeten des Terrors!

Neues von der moralischen Supermacht: Die deutsche Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hält neuerdings eine militärische Zusammenarbeit des Westens mit der syrischen Regierungsarmee des…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com