Gastautor / 21.04.2024 / 16:00 / Foto: Jan Arkesteijn / 11 / Seite ausdrucken

John Cage und der Neid der Kulturkämpfer

Von Dr. Tom Sora.

Der Komponist John Cage wollte die Kompetenz und die Exzellenz abschaffen und sogar die Wörter, die sie benennen, verbieten. Hinter solchen Bestrebungen steckt nicht Sorge um die Benachteiligten, sondern ein tiefliegender Neid.

Eine Kultur gibt den Individuen eine gemeinsame Basis, auf der sie interagieren. Eine gemeinsame Kultur ist mehr als nützlich, sie ist lebenswichtig. Aber die Aneignung der Kultur, in der man geboren ist, impliziert auch den Vergleich der eigenen Leistungen mit den Spitzenleistungen dieser Kultur und die daraus folgende sachliche Einschätzung der eigenen Möglichkeiten. Dieser Vergleich kann zur „Kränkung“ derjenigen führen, die zwar in der kulturellen Arena ganz vorne mitspielen möchten, die aber spüren, dass sie von ihrer Substanz her nicht zur Spitze gehören. Diese Kränkung kann den Wunsch entstehen lassen, die Bewertung aller kulturellen Leistungen allgemein abzuschaffen, um sich dem Vergleich zu entziehen.

Ressentiment, das sich als zerstörerischer Impuls gegen beneidete Personen oder Gruppen ausdrückt, hat es immer schon gegeben. Ressentiment entsteht laut Max Scheler – dem Philosophen, der im Anschluss an Nietzsche, aber aus einer konstruktiven Position heraus das Thema Ressentiment behandelt hat –, wenn die Kluft zwischen dem eigenen Wollen und dem eigenen Können ein bestimmtes tolerables Maß übersteigt.

Dann „stellt sich“ laut Scheler „eine Tendenz […] ein, den unbefriedigenden Zustand der Spannung zwischen Streben und Nichtkönnen dadurch zu überwinden, daß der positive Wert des […] [erwünschten] Gutes herabgesetzt, geleugnet wird.“ Mehr noch: „Unter Umständen [wird] ein zu diesem Gut irgendwie Gegenteiliges als positiv wertvoll angesehen. Es ist die Geschichte vom Fuchs und den zu sauren Trauben.“ (1)

Erfolg ist theoretisch jedem gleichermaßen zugänglich

Eine potenzierte Neidform ist seit der Entstehung der modernen individualistischen westlichen Gesellschaft zu einem wesentlichen Zug der Massenpsychologie geworden. Denn je mehr sich ab dem 19. Jahrhundert die Moral der individuellen Selbstverantwortung und das Ideal der sogenannten Selbstverwirklichung in der liberal-kapitalistischen Gesellschaft verbreitet hat, desto mehr ist bei denjenigen, die es nicht schaffen, das Niveau der Besten zu erreichen, die Voraussetzung entstanden, Ressentiment zu entwickeln. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat Scheler den Zusammenhang, den es zwischen der Demokratie und dem Ressentiment gibt, so erklärt:

Die äußerste Ladung von Ressentiment muß […] eine solche Gesellschaft besitzen, in der, wie in der unsrigen, ungefähr gleiche […] Rechte resp. öffentlich anerkannte, formale soziale Gleichberechtigung mit sehr großen Differenzen der faktischen Macht, des faktischen Besitzes und der faktischen Bildung Hand in Hand gehen. [Eine Gesellschaft], in der jeder das „Recht“ hat, sich mit jedem zu vergleichen und sich doch „faktisch nicht vergleichen kann“. (2)

Was Scheler vor 100 Jahren schrieb, gilt noch viel stärker in der westlichen Gesellschaft nach 1950. Dies ist so, weil alle Menschen in den liberal-demokratischen Leistungsgesellschaften der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einerseits vor dem Gesetz wirklich gleichgestellt waren und die Wettbewerbschancen eines jeden so groß und gerecht waren wie noch nie. Der Erfolg war somit theoretisch jedem gleichermaßen zugänglich, und jeder hatte im Prinzip die Möglichkeit, sich in der Öffentlichkeit durchzusetzen.

Formen des Ressentiments

Andererseits aber ist das persönliche Versagen derjenigen, die diese Chancen, aus welchen Gründen auch immer, nicht genutzt haben, desto offensichtlicher, je gerechter die Chancen verteilt sind. Dieser Spannungszustand zwischen der legal garantierten Chancengleichheit und der effektiven „Selbstverwirklichung“ ist ein sehr günstiger Nährboden für die Entstehung von Ressentiment. Diese Situation kann zum Wunsch führen, das Haus des Nachbarn brennen zu sehen.

Aber Ressentiment kann auch eine subtilere Form annehmen, als nur den Wunsch zu haben, das Haus des reicheren Nachbarn brennen zu sehen. Diese viel grundsätzlichere Form des Ressentiments richtet sich nicht mehr gegen erfolgreiche Personen oder Gruppen, die sich durchgesetzt haben, sondern gegen die Werte, die von diesen Personen oder Gruppen verkörpert/repräsentiert werden. Die Angriffsziele dieser Form von Ressentiment sind nicht mehr beneidete Individuen oder Gruppen, sondern fundamentale philosophische und moralische Kategorien.

Der Angriff auf diese Kategorien oder Prinzipien erfolgt durch Entwertung. Dies geschieht zum Teil dadurch, dass ihre Bedeutung in das genaue Gegenteil umdefiniert wird. Aus gut wird böse und umgekehrt, aus wertvoll wird wertlos und umgekehrt. Diese Umkehrung nannte Nietzsche (auf dessen Interpretation des Ressentiments hier nicht eingegangen werden kann) eine „Umwertung der Werte“.

Ein bescheidener Erfolg

Cages Wunsch, die Kompetenz und die Exzellenz abzuschaffen und sogar die Wörter, die sie benennen, zu verbieten, ist (auch) ressentimentbedingt. Ein tiefliegender Neid ist einer der Gründe für seinen Hass auf die Kultur. Seine ausposaunte Solidarität mit den Underdogs, ist gar nicht so altruistisch, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Cage hat sicher nicht allzu viel an das Wohl der Benachteiligten gedacht – seien es Komponisten, Studenten oder andere angeblich diskriminierte Kategorien. Er hat primär aus eigener Perspektive argumentiert, als Komponist, weil er sich selber als „Underdog“, als „Diskriminierter“ im Rahmen der „alten Musik“ betrachtete.

Cage wusste, dass das große Publikum seine Kunst definitiv und komplett ablehnt. Er wusste auch mit Sicherheit, dass er keinesfalls zu den „großen“ Komponisten und auch nicht einmal zu den weniger „großen“ gehörte, und hat das, wie wir sahen, auch selber zugegeben. Sein im vorigen Kapitel zitierter trotziger Satz, er sei „kein Musiker“ – ist im Grunde eine bittere Einsicht. Seine Ablehnung der „old music“ war zum Teil eine Folge dieser Einsicht. Deswegen hat Cage auf vielfache Weise eine „Umwertung der Werte“ versucht.

Seine ganze neomarxistische soziale Theorie der angeblichen systematischen Ausbeutung und seine Forderung, den Vergleich der Leistungen der Individuen abzuschaffen, war zum Teil ein Mittel, um die Dürftigkeit seiner eigenen künstlerischen Möglichkeiten zu verbergen. Es stimmt zwar, dass Cage ein umfangreiches Gesamtwerk hinterlassen hat und dass er Erfolg hatte, aber dieser Erfolg war nur auf das sehr kleine Universum der „Neuen Musik“ und der elitären, avantgardistisch-„progressiven“ Kunst- und Intellektuellenwelt beschränkt. So gesehen war Cages Erfolg sehr bescheiden im Vergleich zum Erfolg von Bach und Beethoven – zwei Komponisten, die auch ca. 200 respektive 270 Jahre nach ihrem Tod einen phänomenalen weltweiten Erfolg feiern.

Dies ist ein Auszug aus Tom Soras neuestem Buch „Linke Intellektuelle im Dienst des Totalitarismus. Wie die Kunstavantgarde den Weg für die Woke-Bewegung bereitete ‒ das Beispiel John Cage“, 424 Seiten, Solibro Verlag, hier bestellbar.

Anmerkungen:

(1) Scheler, Max: Das Ressentiment im Aufbau der Moralen, in: Abhandlungen und Aufsätze von Max Scheler, Erster Band, Leipzig, 1915, S. 101-102

(2) vgl. ebd., S. 58

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Detlef Rogge / 21.04.2024

Reminiszenzen an längst vergangene Zeiten. So um 1972, als seinerzeit achtzehnjähriger Schüler, hatte ich Gelegenheit in Berlin auf Vermittlung meines Flötenlehrers, Eberhard Blum, inzwischen auch verstorben, an einem seiner Auftritte teilzunehmen. In etwa: “Konzert für 10 Radios”, eines durfte ich bedienen, während Blum Tonleitern intonierte. Das von John Cage handsignierte Konzertplakat ist mir leider abhanden gekommen. Schöne Zeiten damals.

sybille eden / 21.04.2024

Auch der Fourier - Komplex.

Thomas Szabó / 21.04.2024

In einer egalitären Gesellschaft (wo alle als gleich, aber paradoxerweise jeder als der beste gilt) entwickeln die Minderleister Ressentiments gegen die Leistungsträger.

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