John Kornblum, ehemaliger US-Botschafter in Berlin, brachte es im Spiegel auf den Punkt: „… außerdem sind Diplomaten, genau wie Politiker und Journalisten, auch nur Menschen. Sie lästern und klatschen gern, das wird auch in Zukunft nicht aufhören.“ Sie haben nur einen Fehler gemacht, den auch Nicht-Diplomaten gerne machen: Sie haben eine alte Internet-Regel nicht beherzigt. Was geheim und wichtig ist und man deshalb nicht groß auf einen Bus schreiben würde, sollte man auch nicht in Mails erwähnen. Man weiß schließlich nie, wer es irgendwann, irgendwo lesen wird. Die Klatschlust hat nun eben auch bei den Diplomaten gesiegt. Keine gute Nachricht für das US-Außenministerium.
Aber, mal ehrlich: Was haben wir bislang über deutsche Politiker erfahren, was wir nicht schon wussten? Guido Westerwelle (FDP) wird als inkompetent, eitel und amerikakritisch beschrieben. Die „überschäumende Persönlichkeit“ würde ich, wäre ich Herr Westerwelle, glatt schon als Kompliment einschätzen. In seinem Heimatland geht der Mann ja nicht gerade als “überschäumend” durchs Leben. Und dass der Politiker wenig außenpolitische Erfahrung hat, ist nun wahrlich keine Enthüllung. Auch die Einschätzung, den Amerikanern „ein Rätsel“ zu sein, kann man, wenn man guter Laune ist, als Äußerung des Respekts betrachten. Wird ein Mann als „Mr. Teflon“ bezeichnet, ist das meist eine bewundernde Würdigung. Bei der deutschen Bundeskanzlerin nicht. Sie heißt unter US-Diplomaten „Angela Teflon Merkel“. Nicht, weil sie in Liebesdingen nichts anbrennen lässt, sondern weil sie angeblich das Risiko meide und selten kreativ sei (Bericht vom 24. März 2009). Eigentlich auch keine große politische Überraschung.
Früher war nicht alles besser, aber einiges schon: Die Diplomaten saßen in Elfenbeintürmen, ihre Depeschen verschickten sie per berittenem Boten und im Idealfall las nur ein Mensch die Botschaft, nämlich der, an den sie adressiert war. Die Diplomatie im 21. Jahrhundert hat sich immens geändert. Botschafter avancieren immer mehr zu PR-Managern ihres Landes; es geht nicht mehr fast ausschließlich um Beobachtung und Einschätzung der politischen Szene, sondern um die bestmögliche Präsentation der Heimat im Ausland. Nach dem Regierungsumzug von Bonn nach Berlin ist in der Hauptstadt eine beeindruckende Landschaft diplomatischer Vertretungen entstanden - und parallel dazu ein ebenso beeindruckender Wettstreit um die tollsten Empfänge, schönsten Ausstellungen und herrlichsten und erstaunlichsten Bauten. Nur noch wenige Länder schotten sich ab, viele bitten einmal im Jahr zum „Tag der offenen Tür“- früher wäre so etwas undenkbar gewesen. Das Internet hat auch die Diplomatie revolutioniert – im Heimatland wartet kaum jemand auf Einschätzungen, die man sowieso mühelos online lesen kann.
Jetzt warten wir hübsch mal ab, bis alle 1719 Depeschen gelesen, analysiert und archiviert sind. Dann warten wir auf die Bearbeitung der übrigen 250.000. Danach sehen wir weiter. Umgekehrt würde man nun natürlich auch gerne die „geheimen“ und „internen“ Mails deutscher Diplomaten lesen. Das Ergebnis wird ähnlich sein. Eine große Aufgabe für Wikileaks. John Kornblum jedenfalls prophezeit eine Menge „Drama“. Er muss es wissen. Er war lange Diplomat.
Silvia Meixner ist Journalistin und Herausgeberin von http://www.good-stories.de