Hubertus Heil: Wie ein Ahnungsloser die Zeitarbeit ruiniert

Von Julian Marius Plutz.

Als ich das letzte mal einen Beitrag auf der Achgut.com verfasste, hätte ich mir nicht träumen lassen, mit welchen Widrigkeiten wir es bald zu tun haben werden. Ihnen wird es nicht anders gegangen sein. Nur kurze Zeit später gingen im Lande die Lichter aus. Ein Shutdown wurde beschlossen aufgrund eines Virus, Corona sein Name.

Mein Arbeitsalltag hatte sich seit dem dramatisch verändert. Um uns herum gingen die meisten Niederlassungen, ich arbeite für einen Personaldienstleister, in die Kurzarbeit. Ein Standort verlor über Nacht de facto all seine 300 Mitarbeiter. Ich hatte Glück. Denn unser Schwerpunkt liegt in der Lebensmittelherstellung. Plötzlich war mir bewusst: Wir sind in Zeiten der Pandemie Grundversorger. Und da die Saison für einen wichtigen Kunden in der Fleisch- und Wurstherstellung gerade begann, waren wir zum Rekrutieren und Einstellen verdammt. Ämter machten uns einen Strich durch die Rechnungen. Belehrungen nach dem Infektionsschutzgesetz konnten Mitarbeiter nicht mehr in den Gesundheitsämtern bekommen. Allgemein waren alle Ämter geschlossen und Ansprechpartner nicht erreichbar, was insofern problematisch war, wenn es um Arbeitserlaubnisse von Flüchtlingen ging.

Aber all das haben wir im Laufe des Märzes hinbekommen, was mich nicht ohne Stolz erfüllt. Es waren die härtesten, aber auch spannendsten Zeiten meines Arbeitslebens, die ich niemals missen möchte. Die meiste Zeit kämpften wir mehr gegen den Staat und Bürokratien als gegen ein vermeintlich tödliches Virus. In meinem Artikel vom Februar merkte ich bereits an, dass meine Branche von Teilen der Gesellschaft, aber vor allem von der nahezu gesamten Politik keine Anerkennung bekommt. Die vielen positiven Kommentare auf Achgut.com haben mir gezeigt, dass es auch anders geht. Nur einen Tag, denke ich mir, nur einen Tag sollte Arbeitsminister Hubertus Heil mit uns mitlaufen, um zu sehen, was hier vor Ort, „an der Front“, geleistet wird und welchen Wert unsere Arbeit hat.

Werkvertrag ist nicht gleich Zeitarbeit, Herr Heil!

Aber es ist ihm nicht nur egal, er spuckt geradezu auf uns und auf die vielen Mitarbeiter. Am 20. Mai beschloss das Kabinett das Verbot von Werkverträgen und Zeitarbeit in der Fleischindustrie, sehen Sie hier. Geradezu lachhaft euphemistisch klingt das Gesetzesvorhaben: „Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft“. Heil reagiert damit auf die Zustände in vielen Schlachtbetrieben, die schlicht unter aller Sau waren und sind. Kein Arbeitgeber mit dem Herz am rechten Fleck und dem Gedanken nachhaltiger Profitabsicht, die langfristig durch solche Praktiken zerstört wird, kann dies wollen. Aber deswegen Werkverträge und Zeitarbeit per se in Fleischunternehmen zu verbieten, ist der falsche Weg und zeigt den massiven Realitätsverlust des Arbeitsministers.

Zunächst handelt es sich um einen Logikfehler: Wenn einige Schlachtbetriebe Schindluder treiben, warum müssen dann die Handwerksunternehmen der Lebensmittelherstellung unter einer Gesetzesverschärfung leiden? Das sind völlig unterschiedliche Betriebsarten und Geschäftszweige! Das ist so, als würde die Politik die Pizzeria in München dicht machen, weil der Ausliefer-Fahrer in Würzburg besoffen vorfährt. Völlig absurd! Und überhaupt ist diese Art von Sippenhaft und Kollektivstrafe moralisch fragwürdig. Oder sollte man die Politik verbieten, weil es intrigante Politiker gibt? Das wäre ungünstig für Heils SPD.

Zum anderen ist es absurd, Werkverträge und Zeitarbeit in einen Topf zu werfen. Wir hier vor Ort arbeiten gar nicht mit Werkverträgen. Der Unterschied besteht in der Auslegung der Arbeitsart. Im Werkvertrag gibt es ein „Werk“, eine bestimmte Sache oder Dienstleistung, an denen die Arbeit geknüpft ist. Ein Unternehmen hat beispielsweise die IT-Abteilung in eine andere Firma ausgelagert. Deren Werk liegt darin, die Server zu warten oder einen neuen Arbeitsplatz einzurichten. Die Übernahme von eigenständigen und abgeschlossenen Aufgaben werden hier in toto übernommen

In der Arbeitnehmerüberlassung (= Zeitarbeit) ist der überlassene Mitarbeiter in die Organisation des Kundenunternehmens implementiert, das heißt, der Zeitarbeiter arbeitet neben dem Stammpersonal. Nicht selten war der eigene Mitarbeiter des Kundenunternehmens auch einmal bei uns beschäftigt. Der Personaldienstleister gibt in der Arbeitnehmerüberlassung das Weisungsrecht de facto, aber auch de jure an das Kundenunternehmen ab. Logisch, wir sind ja nicht vor Ort und sagen dem Mitarbeiter, an welcher Maschine er heute steht. In einem Werkvertrag behält der Dienstleister das Weisungsrecht im Rahmen des Projektmanagements bei sich.

Aber das sind für Hubertus Heil Spitzfindigkeiten. Ich bezweifle, dass er den Unterschied überhaupt kennt, geschweige denn ihn dieser interessiert. Er will ein Zeichen setzen gegen zwei Branchen, die ihm im Grunde ein Dorn im Auge sind. Zeitarbeit und Fleischindustrie. Er spricht vom System der „Sub-Sub-Sub-Sub-Unternehmen“, das zweifellos existiert, keine Frage, aber in der gesamte Branche einen Bruchteil ausmacht, weswegen er eine ganze Branche, genauer gesagt zwei Branchen, schreddern will. Zwei Branchen, die seinen Haushalt klein halten, weil viele Mitarbeiter ansonsten Arbeitslosengeld II erhalten würden, da sie aufgrund mangelnder Qualifikation und Sprachkenntnisse keiner einstellen würde.

Per Knopfdruck beschlossene Arbeitslosigkeit

Liberalismus heißt, nicht Gott spielen zu wollen. Und genau das tun der Arbeitsminister und das Kabinett. Wenn dieses Gesetz durch alle Instanzen geht, bedeutet das womöglich das Ende meiner Niederlassung. Ganz sicher aber heißt es, dass wir die Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit entlassen werden. Unqualifizierte Helfer, in der Regel Ausländer, nicht selten Flüchtlinge. Eben noch im Kalkül der Linksbesaiteten zum schützenswerten Kuschelmenschen degradiert, sind sie nun das Bauernopfer in einem in sich perversen Politikerspiel ohne Moral und Haltung. Während wir jeden einzelnen Mitarbeiter wertschätzen, ihnen das Gefühl geben, dass sie gebraucht werden (und nicht nur das Gefühl. Sie sind unschätzbar wichtig und werden gebraucht!), sind sie für Heil und Co Mittel zum Zweck in einem moralinverbitterten Wettbewerb.

Zum Beginn der größten Wirtschaftskrise seit 1945 kommt aus dem Arbeitsministerium ein ganz besonderes Geschenk: Per Knopfdruck beschlossene Arbeitslosigkeit. Hubertus Heil wird die Krise nicht treffen. Er ist finanziell wohl gepampert. Aber seine Wähler, falls noch welche übrig bleiben, werden die Rezession mit voller Wucht spüren. Sie werden sich an Hubertus Heil erinnern und eine im Kern entkernte Sozialdemokratie, die gern über ihre Erfolge spricht, vorausgesetzt, sie hängen nicht mit dem Namen Gerhard Schröder zusammen. Der Kanzler, der die Arbeitnehmerüberlassung möglich machte und damit Millionen Menschen, hoch zufriedene Beschäftigte und Ex-Mitarbeiter, die uns stetig weiterempfehlen, in Arbeit und Würde brachte.

 

Julian Marius Plutz ist Anfang 30, Blogger und arbeitet im Personalvertrieb. Er unterhält den Blog neomarius.blog. 

Foto: Sandro Halank CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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Klaus Biskaborn / 26.05.2020

Nun den Unterschied zwischen Werkvertrag und Zeitarbeit kennen auch viele Unternehmer oder Führungskräfte nicht. Ich weiß das aus meiner Berufstätigkeit. Das Heil hiervon nun überhaupt keine Ahnung hat verwundert mich nicht im Geringsten. Er gehört schließlich auch zu jenen Ministern die wie die Blinden von der Farbe reden. Ich kann aktuell allerdings bei keinem Minister wirklich Fachkompetenz erkennen. Es gab hierzulande Zeiten da war das durchaus anders, aber die sind längst vorbei.

Sebastian Weber / 26.05.2020

Uiuiuiui, Sie unterstellen, dass bei Politikern Sachverstand vorhanden ist. Das ist ein Fehler. Man kann als Politiker ruhig idiotische Gesetze auf den Weg bringen - die doofen Bürger merken es doch in der Regel nicht. Und leider ist die Presse auch nicht mehr das, was sie einmal war. Und der öff-rechtlich. TV ist ja eh nur noch „his masters voice“ ...

Petra Löffler / 26.05.2020

Mag sein, dass das mit der heißen Nadel gestrickte Verbot des Kabinetts die Zeitarbeit zu Unrecht trifft. Was die Werkverträge anbelangt, so hat die Politik jahrelang dem unsäglichen Ausbeuten von Schlachthofmitarbeitern zugeschaut und nichts getan. Hier in Pforzheim gab es vor Jahren schon Demonstrationen, als rumänische Arbeiter um ihren mageren Lohn geprellt wurden. Die Zustände in der Unterbringung sind schlimm und Ausbeuterisch, da können Nachbarn auch ein Lied davon singen, die den Lärm und den Schichtwechsel ertragen müssen. Nichts ist passiert. Und raten Sie mal, wer die Quarantäneunterbringung der infizierten Mitarbeiter in z. B. Hotels zahlen darf (genau: der Steuerzahler) und wer sich großkotzig um seine Verantwortung drückt (exakt: die Geschäftsleitung von ... Fleisch)? Glauben Sie nicht? Nachzulesen in der Pforzheimer Zeitung. Alles Appellieren hat nichts genutzt. Bedanken Sie sich bei den Geschäftsführern der Schlachthöfe.

Karla Kuhn / 26.05.2020

HUBERTUS HEIL, tatsächliche 48 Jahre alt, “gefühlte” jedenfalls für mich 60 Jahre ( ist eigentlich eine Beleidigung für alle vitalen 60 jährigen) Seit seinem 16.  Lebensjahr mischt er in der SED, Quatsch, SPD Politik mit. 1995 hat er an der UNI Potsdam ein Studium der Politikwissenschaften und Soziologie angefangen, daß er ELF !! (11)  Jahre später an der FERNUNI HAGEN ( da hat auch Spahn nach 14 Jahren seinen Abschluß gemacht, gibt es da automatisch einen Abschluß ??)  abgeschlossen hat. Der Mann hat noch NIE RICHTIG gearbeitet und darf sich jetzt als Bundesminister für Arbeit und Soziales austoben ??  Der hat doch überhaupt KEINE AHNUNG wie es auf einer RICHTIGEN Arbeitsstelle zugeht.  WARUM dürfen Personen OHNE KOMPETENZ für das jeweilige Amt und vor allem OHNE ARBEITSERFAHRUNG überhaupt in der POLITIK mitmischen ?? Es ist UNGEHEUERLICH, daß solche Typen über “Wohl und WEHE von 83 Millionen Bürgern entscheiden können !! Heils “RESPEKTRENTE” ist für mich ganz verheerend, weil sie erstens, suggeriert, egal wieviel Du verdienst, auch wenn du nur halbtagst arbeitest, nach 35 Jahren STOCKT DER STEUERZAHLER AUF !! Menschen, die vielleicht nur 30 Jahre VOLL geackert haben, vor allem Frauen mit Kindern, gehen leer aus. Abgesehen davon es gibt als AUFSTOCKUNG für ALLE Rentner mit zu wenig Rente die GRUNDSICHERUNG !! Heil treibt mit dieser unsäglichen “Respektrente” einen Keil zwischen die Rentner,  die an seiner “Segnung” NICHT teilnehmen dürfen. EINE RENTE MUß erarbeitet werden !! NUR Menschen mit einer ERWERBSUNFÄHIGKEIT, die meistens eine “Hungerrente” erhalten, weil sie meistens in jüngeren Jahren bereits diese Rente beziehen , sollten ENDLICH mehr Rente erhalten ! Aber diese Menschen werde TOTAL außer ACHT gelassen, für sie gibt es KEINE LOBBY, noch schlimmer, JEDE Rentenerhöhung wird ihnen SOFORT von der GRUNDSICHERUNG wieder abgezogen, so daß sie bis ins GRAB auf dem ARMUTSLEVEL bleiben müssen. Mir fällt nur noch Max Liebermann ein.

Andreas Rochow / 26.05.2020

Es gelten die heiligen (sic!) Vorurteile, wenn der Minister das will! Und bitte nicht so empört, die “Respektrente” ist schließlich in Arbeit und die Grundrente und und und ... LOL. Steht das wirklich alles im Koalitionsvertrag? Darf der Juniorpartner alles umkrempeln?

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