Marei Bestek, Gastautorin / 28.08.2023 / 12:00 / Foto: Achgut.com / 26 / Seite ausdrucken

Heilst Du noch oder lebst Du schon? (2)

Woher wissen Sie, dass sich jemand vegan ernährt? Richtig, er sagt es Ihnen! Und woran erkennen Sie, dass jemand zum Psychologen geht? Richtig, er sagt es Ihnen! Wer zum Psychotherapeuten geht, der liegt heute voll im Trend!

Therapie ist hip geworden! Noch angesagter als der Gang zum Psychotherapeuten ist allerdings, im Nachhinein Anderen davon zu erzählen. Bis ins kleinste Detail werden dann die Verästelungen der eigenen Seele entknotet und voller Erleichterung die Gründe dargelegt, warum man eben nicht so funktionieren kann, wie man eigentlich möchte (oder sollte).

Auch außerhalb der Therapiepraxen boomt der Markt mit den mentalen Erkrankungen. In Buchhandlungen wird die Ecke mit den psychologischen Ratgebern immer größer. Hier erfahren wir, wie wir unser „inneres Kind“ heilen, mit Stress fertig werden oder unser Nervensystem regulieren. Online schnellt seit einigen Jahren besonders die Zahl der Gesundheits-Podcasts in die Höhe. In den meist stundenlangen Gesprächen – oft in Kooperation mit Psychologen, Doktoren, Buchautoren oder Prominenten – können wir lernen, wie wir richtig lieben (Und überhaupt: wen? Oder wen auf keinen Fall!), wo wir den Schlüssel zum Glück finden, wie wir toxische Überzeugungen loswerden und unser Kindheitstrauma besser verstehen. 

Die mentale Gesundheits-Revolution hat allerdings nicht nur haufenweise Bücher und Podcasts hervorgebracht. Sie hat gleich einer ganz neuen Berufsgruppe zur Geburtsstunde verholfen. Die sogenannten „Mental Coaches“ sind meist auf Social Media unterwegs und liefern dort ein leicht verdauliches Potpourri aus psychologischen Fakten, Erlebnisberichten und Ratschlägen. Die geteilten Informationen sind dabei durchaus informativ. Beim genaueren Betrachten fällt allerdings etwas anderes auf: Auch wenn sich die Mental-Klempner mit Sicherheit für besonders fortschrittlich, wachsam und individuell halten, so leben sie doch mehr oder weniger alle das gleiche Leben.

Wenn das „innere Kind“ einem den Vogel zeigt 

Morgens nach dem Aufstehen wird erst einmal „gejournalt“. Das heißt so viel wie: Tagebuch führen. Vorzugsweise über sich selbst. Es folgt ein überaus vollwertiges Frühstück (vorzugsweise bio und pflanzlich) und die Einnahme verschiedenster „Supplements“, die wahlweise den Darm oder den Kopf in Balance bringen (vorzugsweise beides). Weil ein wichtiger Aspekt der mentalen Heilung das Leben im Einklang mit der Natur ist, geht es als Nächstes vor die Tür. Viele der Seelen-Influencer reisen gleich um die ganze Welt, vorzugsweise von einem Tropen-Strand zum nächsten.

Auch die Seelen-Routine ist jeden Tag dieselbe: Du bist gut, so wie du bist. Tief ein- und ausatmen! Übe dich in Selbstakzeptanz und grenze dich von allem ab, was dem im Wege steht. Tief ein- und ausatmen! Werde dir deiner selbst und deiner Umwelt bewusst. Schaffe Achtsamkeit für Ängste und Verletzungen. Tief ein- und ausatmen! Lerne Emotionen zuzulassen und Kontrolle abzugeben. Und tief ein- und ausatmen! Dieser Tagesablauf wäre allerdings noch nicht perfekt, würde man nicht irgendwo noch eine Stunde Yoga unterbringen, um Körper und Geist in Balance zu bringen. Oder aber man tanzt seine Gefühle und angestauten Anspannungen gleich aus sich heraus. 

Eventuell muss ich mich weiter in Selbstakzeptanz üben (und mich mal kräftig in den Arm nehmen), denn bei mir endet die Selbstfürsorge schon bei dem Gedanken daran, jeden Tag so viel Zeit mir mir selbst verbringen zu müssen. Ich würde mir wahrscheinlich schon sehr bald mächtig auf die Nerven gehen. Der Gedanke daran, wie ich mich selbst abklopfe (Oder fängt man da mit dem Kopf an?) oder meine Anspannungen aus mir heraustanze, zeigt bei mir keinerlei Wirkung, außer, dass mir mein „inneres Kind“ hämisch grinsend, in der Ecke stehend den Vogel zeigt. (Muss ich jetzt zum Psychologen?) „Schau, was aus uns geworden ist“, flüstert es mir mitleidig zu, bevor wir beide in ein versöhnliches Lachen ausbrechen.

Die eigene Seele als selbst produziertes Optimierungsprojekt

Vielleicht gibt es neben den bereits genannten Ursachen ja noch einen weiteren Grund für den rasanten Anstieg der psychischen Erkrankungen. So ist die Obsession mit der mentalen Gesundheit eventuell nur das logische Resultat einer Gesellschaft, der man jegliche Form der äußeren Zugehörigkeit kontinuierlich abgesprochen hat. Man identifiziert sich nicht mehr mit dem Vaterland oder mit der eigenen Kultur und Sprache. Weder mit dem christlichen Glauben noch über Familien- und Geschlechterrollen (oder mit dem Geschlecht an sich). Man interessiert sich nicht mehr für den Erhalt von Traditionen und Tugenden oder dafür, wie man für eine Gemeinschaft nützlich sein kann. Ein Ziel zu benennen, das nicht auch das eigene Ich beinhaltet, fällt genauso schwer wie die Vorstellung, sich in den Dienst von jemand anderem und etwas Höherem zu stellen. 

Und wenn man schließlich nichts mehr hat, an das man glauben kann, etwas, das das eigene Dasein übersteigt und das höher (heilig!) ist als man selbst, etwas, für das es sich zu leben oder zu sterben lohnt, dann wendet man sich eben zwangsläufig sich selbst zu, und die eigene Identität wird zu einem nicht enden wollenden Optimierungsprojekt. Auf diese Weise halten wir uns krank, therapieren uns zu Tode und züchten unsere Neurosen. Denn die heute romantisierte „Reise zu sich selbst“ ist im Grunde nur ein endloses Kreisen um das eigene Ich, ein als Selbstliebe getarnter Narzissmus. 

Teil 1 dieser Serie finden Sie hier

In Teil 3 lesen Sie morgen: Wie man sich gegen die aufkeimende Therapie-Gesellschaft zur Wehr setzen kann und warum dabei ein Blick nach Köln nicht schadet.

 

Marei Bestek, Jahrgang 1990, wohnt in Köln und hat Medienkommunikation & Journalismus studiert.

Foto: Achgut.com

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A. Ostrovsky / 28.08.2023

>>Woher wissen Sie, dass sich jemand vegan ernährt? Richtig, er sagt es Ihnen! Und woran erkennen Sie, dass jemand zum Psychologen geht? Richtig, er sagt es Ihnen!<< Das ist natürlich lächerlich. Jemand sagt mir sowas nicht. Im Gegenteil. Er hat mir schon einmal ins Gesicht gesagt, dass er das gerade MIR niemals sagen wird. Jemand, da könnte ja jeder kommen. Selbstverständlich muss ich Jemand deshalb rund um die Uhr beobachten. Ich habe da so ein kleines Büchlein. Von außen sieht das aus, wie die Mao-Bibel, aber innen ist pures Gold. Da steht genau drin, was Jemand wann und wo gegessen hat. Natürlich habe ich vor der Tür zu jedem Psychologen Fußangeln ausgelegt, wo mir über das Internet gemeldet wird, wenn Jemand wieder darüber gestolpert ist. Ich verdichte das dann in einer Datenbank, weil da die gezielte Suche viel einfacher wird, weil ich Jemand natürlich schon sehr lange beobachte. Seit damals, als er den Regierungspräsidenten einen Hundsfott genannt hat und seine Frau eine Tussi. Und dann später auf die freundliche Frage des Verfassungsschutzmitarbeiters, ob der mal in seine Einkaufstasche schauen darf, einfach mit NEIN geantwortet hat. Jemand ist ein staatsgefährdendes Element, irgendwas mit negativ ..., achja negativ-feindlich, und deshalb ist er Teil, haha der war gut, also er ist Ziel eines operativen Vorganges. Schlimmer könnte es für ihn nur werden, wenn er auch noch positiv-feindlich wird. Allerdinsg darf man sich eine Operation nicht so vorstellen, wie in der Schwarzwaldklinik. Das ist viel diskreter. Wir schlitzen dem den A… (hüstel) auf, ohne dass der das überhaupt merkt, der Schuft! Sich einfach weigern, Durchsuchungsleugner! Staatslegitmierer! Jemand, dass ich nicht lache. Der ist JEDER! Und den Sychologen, der arbeitet ab jetzt für uns. Was denkt sich dieser Jemand eigentlich. Wir haben ein dichtes Netz, wo keiner durchschlüpft! Es steht alles in meinem kleinen roten Buch!

Rainer Niersberger / 28.08.2023

Zustimmung mit der kleinen Korrektur, dass es nicht um die Optimierung der Identität geht. Genau an der mangelt es, unter anderem weil es an den Grundbedungungen fuer deren Entwicklung fehlt, z. B. auch an der Abgrenzung bzw dem, was man Diskrimierung nennt. Optimierung passt, wobei die Herrschaften nicht immer wissen, was sie wie optimieren wollen. Im Zweifel natuerlich alles, vor allem natuerlich die Attraktivität, die Wahrnehmung und Bedeutung, die “likes”, heute eine Voraussetzung fuer das Sein. Dass diese Gesellschaft, genauer das, was in dieser Gesellschaft wie und warum bzw von wem entwickelt und konditioniert wurde, selbst zuhauf tatsaechlich therapiebeduerftige Probleme erst hervorgebracht hat, ist klar.  Auch gehoeren nicht alle Therapeuten der rotgruenen Zunft an, allerdings diejenigen, die medial in Erscheinung treten und ihre besonderer Lebensweisheiten kund zu tun. Mit diesen Weisheiten und Ratschlägen haben sie selbst zumindest zum Problem, auch dem der Psychologisierung, beigetragen.  Die Autorin hat einige dieser “Empfehlungen”, es gibt noch ein paar sehr kritische andere, zutreffend zitiert. Ein Ziel duerfte neben dem Geschaeftsmodell der gelungene Versuch sein,  gewisse Tugenden, Beherrschung, Disziplin und Verantwortung einer gelungenen Infantilisierung zu opfern. Das Marshmallow - Experiment umgekehrt. Warum warten, sparen oder aufschieben, wenn der Trieb nach sofortiger Abfuhr verlangt. Und Frustrationen jedweder Art sind definitiv zu vermeiden.  Die Zunft der Psychologen und Pädagogen kann man ebensowenig freisprechen wie die hauptverantwortlichen, allerdings selbst infantilen, narzisstisch gestoerten Erziehungsberechtigten.

Dr. Johann Meyer / 28.08.2023

@Werner Liebisch: Wenn Sie Interesse an einer wirklichen Auseinandersetzung mit mir haben, dann lesen Sie bitte noch einmal meinen Text und versuchen, ihn in seiner Grundaussage wirklich zu verstehen. Guten Abend.

Ilona Grimm / 28.08.2023

Danke für diese Einblicke in die Seelen meiner Mitmenschen, werte Frau Bestek. Vor etlichen Jahren hatte ich mal eine sehr wohlhabende Bekannte, die es sich leisten konnte, mich mit Ratgeber-Büchern zu überschütten. Zu jedem noch so kleinen quersitzenden Seelen-Furz hatte sie einen Ratgeber. Was fehlt, war folgender Ratgeber: der, worin zu lesen gewesen wäre, dass der Autor vom Verkauf seiner Ratgeberbücher lebt, und dass es weder eine Erfolgsgarantie noch eine Erfolgskontrolle gibt. Ich bin aber selber drauf gekommen und habe die Bücher alle der Papiertonne übergeben. Wolf Schneiders Ratgeber für ordentliches Deutsch habe ich mir– ohne Anstoß von außen – gekauft und genutzt. Mein Lieblings-Ratgeberbuch ist allerdings die BIBEL! Brauchbar in jeder Lebenslage und losgelöst von Moden und Zeitgeist. - - - Es ist die Entwurzelung von allem, was trägt (Vaterland, Heimat, Kultur, Sprache, Familie, Freunde, Liebe, Freude, Treue, der Glaube an den Gott der Christen und Juden . . .), die die Menschen krank macht. Ich denke nicht, dass die alle eingebildet krank sind, auch wenn es hip zu sein scheint, sich „behandeln“ zu lassen. Auch Walter van Rossum hat in einem Gespräch mit Kayvan Soufi Siavash (ehemals Ken Jebsen) gestanden, an Panikattacken zu leiden, die auch er auf aktive und passive Entwurzelung zurückführt. Andererseits kannte ich einst eine Psychotherapeutin (Dr. med.), die mir mal anvertraute, die meisten ihrer Patienten wollten überhaupt nicht „geheilt“ werden, sondern nur um „bestätigt“ zu werden (!!). PS: Ich mache mich nicht lustig über Menschen, die ernsthaft seelisch erkrankt sind. Den Sinn vieler Therapien bezweifle ich jedoch. Gelegentlich empfehle ich „Jesus unser Schicksal“ von Wilhelm Buch (nein, das ist nicht der von Max & Moritz) als Hörbuch bei YT. Kostet nur ein bisschen Strom.

Werner Liebisch / 28.08.2023

@Dr. Johann Mayer Da bevorzuge ich die Methode wie bei vielen Naturvölkern, im Zelt, der Natur, mit gewissen Substanzen… Sie sind befangen, oder machen sie alles kostenlos?

Rudi Hoffmann / 28.08.2023

Der Zeitgeist…  oder   die Arbeit tun ...die Anderen ! Nachdem moderne Medizin Pest, Cholera und Pocken überwunden, da suchen Gurus nach dem neuen Leid. Und wo gesucht wird, da wird auch gefunden; Narzißmus, Weltangst propagiert man heut . Dort, wo man glaubt ein Kümmerchen allein zu haben, verdichtet man`s als Gruppenmasochist und lässt die ganze Welt sich daran laben; “Medienerfolg ” dem Exibitionist. Ja es macht Lust vor vielem Angst zu zeugen, vor was im einzelnen ? das sagt man nicht genau um sich dem Gruppenfimmel so bequem zu beugen und zu verkaufen “Psycho-Nabelschau “ Wird Kopfschmerz, Alter, Impotenz, schon immer etwas ganz normales, vom Unglücksucherteam in`s Rampenlicht gebracht. Nur wer da vorbehaltlos mitmacht, den bestrahlt es, die Tagesarbeit….wird von den Anderen gemacht ! Alles wiederholt sich; Du mußt nur alt genug werden,  es zu erleben !

Richard Reit / 28.08.2023

Früher gab es etwas, das nannte man “Würde”.

Werner Liebisch / 28.08.2023

Darauf einen Rotwein (Outing) zum Frühstück,  Sie sind die Beste(k)..;-)

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