Hansjörg Müller / 19.07.2013 / 18:50 / 5 / Seite ausdrucken

Hannes Jaenicke: Der Stéphane Hessel der Supermarktregale

Die Deutschen sind ein Volk, das sich gerne empört. Den Volkszorn in die richtigen Bahnen zu lenken, haben sich Deutschlands Journalisten zur Aufgabe gemacht. Kein Wunder also, ist der Schauspieler Hannes Jaenicke gerngesehener Gast in allen Talkshows des Staatsfernsehens: Einer, der offene Türen eintritt wie Bruce Lee geschlossene. Ob Klimawandel, Mülltrennung, Kernkraft oder Tierschutz, stets redet der 53-Jährige seinen Landsleuten ins Gewissen, und immer liegt er voll auf der Linie dessen, was von Medien und Politikern gewünscht wird. Bequem unbequem eben.

Nun hat der ergraute Adonis sein Betätigungsfeld erweitert, vom Umweltschützer zum Aufklärer der Konsumenten. „Die grosse Volksverarsche. Wie Industrie und Medien uns zum Narren halten“, lautet der Titel von Jaenickes Buch, das die Bestsellerlisten seit mehreren Wochen anführt. Darin rechnet der Stéphane Hessel der Supermarktregale ab – mit den Banken, der Pharmaindustrie, dem Privatfernsehen, den Energieriesen und der Automobilbranche. „Konsumenten-Navi“ nennt sich das Ganze, und wer bereit ist, 17 Euro und 99 Cent zu investieren, darf teilhaben am Insiderwissen, das sich der durchtrainierte Durchblicker da zusammengegoogelt hat.

Jaenickes Zielgruppe ist der geistige Mittelstand, Bürger, die auf die Zuschauer von RTL und Sat.1 herunterblicken, sich selbst aber mit ARD und ZDF zufriedengeben. „Dr. Lieschen Müller“ hat der Humorist Max Goldt solche Leute einmal genannt. Ihnen erklärt Jaenicke das Geschäftsmodell der Banken „Je höher das Renditeversprechen, desto höher das Verlustrisiko.“ Gut, dass wenigstens einer das Spiel der Mächtigen durchschaut, denn auch den Machenschaften der Pharmamultis, die ihre Gewinne anstatt in die Forschung lieber „ins Marketing, sprich Werbung und Ärztebestechung“ investierten, wäre der Normalbürger ohne die grosszügige Nachhilfe Jaenickes kaum jemals auf die Spur gekommen.

Wie kommt es, dass sich die schlichten Weisheiten eines Schauspielers so gut verkaufen? Vermutlich ist es die Einheit von Leben und Werk, die Jaenicke für das Publikum so glaubwürdig macht. Den souveränen Vertreter des Guten verkörpert er nämlich auch im TV: 2012 spielte er im ARD-Film „Verloren auf Borneo“ den Affenschützer Alex Kuhl, der den Machenschaften des skrupellosen Tropenholzhändlers Graf Felix Schmidt von Hohenberg auf die Schliche kommt und diesen – unter tatkräftiger Mithilfe von Hohenbergs Gattin Julia – ein Ende bereitet. Worauf „die distinguierte Gräfin“ (ARD) in den muskulösen Armen des Naturburschen Alex landet. „Fernsehen macht Kluge klüger und Dumme dümmer“, heisst es auf Jaenickes Homepage.

Erschienen in der „Basler Zeitung“ vom 20. Juli 2013

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Leserpost

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Joachim Stieler / 20.07.2013

Hallo Herr Müller, danke für Ihren Beitrag auf achgut. Es kommt ja noch schlimmer, dieser Herr Jaenicke ist jetzt auch noch Markenbotschafter vom Grünen Punkt. Da stellt sich schon die Frage wer hier wen verarscht, um die Worte von Herrn Jaenicke zu verwenden. Mit freundlichen Grüßen Joachim Stieler

Thorsten Retzlaff / 20.07.2013

“Jaenickes Zielgruppe ist der geistige Mittelstand, Bürger, die auf die Zuschauer von RTL und Sat.1 herunterblicken, sich selbst aber mit ARD und ZDF zufriedengeben.” Ich blicke auf die Zuschauer von ARD und ZDF herab. Als Bildungsauftrag läuft beim Schutzgelderpressungsfernsehen gerade “Verstehen Sie Spaß?” Dort wurde über die Gebühren ein virtuelles Fernsehstudio gebaut, indem Guido Cantz ganz vergnügt die Hintergründe wechselt. Und Cindy aus Marzahn hat “Kleidergröße Hartz IV”.

Fritz Müller / 20.07.2013

Die Verschwörung der Sprudelwasser-Industrie, ist ja ein Thema dieses Spinners, wie können nur so viele Leute sein Schundbuch kaufen? Man fasst es nicht.

Klaus Holbers / 20.07.2013

Ich bin sowieso schon immer erstaunt darüber, welche ‘Kompetenzen’ ständig allen möglichen Schauspielern zugestanden werden. Andauernd sitzen in diesen Krawall-Talkshows auch Schauspieler, die sich dann zu allen möglichen Themen äußern dürfen. Wieso gibt man dieser Berufsgruppe so viele öffentliche Möglichkeiten zur Meinungsäußerung? Besonders gebildet oder intelligent sind sie nicht; was lernt man denn schon, wenn man diesen Beruf ergreift? Daß eine nichtrepräsentative Berufsgruppe mit unterduchschnittlichem Ausbildungsniveau so überproportional öffentlich präsent ist, ist doch eine Respektlosigkeit gegenüber den Durchschnittsbürgern.

Raimund Moenig / 20.07.2013

Manchmal frage ich mich, ob solche Flitzpiepen überhaupt noch einen Zeitungsartikel wert sind, andererseits muss man diese Päpste von eigenen Gnaden bloßstellen, wo man nur kann – da kommt ein mittelmäßiger Mime daher und will die Welt erklären und den Leuten vorschreiben, wie sie zu leben haben; er soll sich in den Urwald zu seinen Affen zurückziehen und den Rest der Menschheit bis an sein Lebensende mit seinen Ergüssen in Film und Buch verschonen.

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