Peter Grimm / 13.02.2023 / 06:25 / Foto: Pixabay / 123 / Seite ausdrucken

Gibt es eine Berliner Bürgermeister-Überraschung?

Gerade mal um 105 Stimmen unterscheidet sich das Ergebnis von SPD und Grünen bei der Berliner Wahl. Rechnerisch hätte die Koalition der rot-grün-roten Wahlverlierer immer noch eine Mehrheit, was einem Genossen ganz besonders nützen könnte.

Nun hat es die deutsche Hauptstadt immerhin geschafft, eine Wahl so zu organisieren, wie es jahrzehntelang in der Bundesrepublik üblich war. Jeder, der wollte, konnte wählen, die Wahllokale konnten pünktlich schließen, es gab keine Berichte über fehlende oder falsche Stimmzettel und die Ergebnisse sind nach allem, was man weiß, wirklich gezählt und nicht, wie in manchem Stimmbezirk im September 2021, geschätzt worden. Die Pannen – zumindest die, über die am Wahlabend berichtet wurde – bewegten sich eher im Bereich unterhaltsamer Anekdoten. Eine halbe Stunde nach Mitternacht konnte der Landeswahlleiter ein vorläufiges amtliches Endergebnis verkünden. Das allerdings beantwortet die Frage nach der künftigen Berliner Landesregierung nicht. Immerhin ist eines gewiss: Keine der infrage kommenden Regierungskoalitionen ist von einer Mehrheit der Wahlberechtigten gewählt worden, und auch die Mehrheit der Wählerstimmen haben die drei denkbaren Koalitionen knapp verfehlt.

Die CDU feiert sich mit 28,2 Prozent als Wahlsieger. Die jetzige Koalition erreicht mit 49 Prozent der Wählerstimmen (SPD und Grüne je 18,4 Prozent, Linke 12,2 Prozent) eine stabile parlamentarische Mehrheit, weil die Stimmen von 13,6 Prozent der Wähler dank der Fünf-Prozent-Hürde quasi unter den Tisch fallen. Dazu gehören auch die 4,7 Prozent der FDP-Wähler. Die AfD hat mit 9,1 Prozent leicht hinzugewonnen. Und was macht die Berliner Politik nun aus diesem Ergebnis?

Der Wahlgewinner CDU möchte nun regieren und dazu entweder SPD oder Grüne zum Koalieren überreden. Alle Wahlkampfablehnung grüner Politik, die der CDU zum Stimmenzuwachs verhalf, weil sie eine Stimmung unter vielen Berlinern bediente, scheint vergessen. Ob CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner die Chance auf eine Amtsübernahme hat, darüber entscheidet aber zuallererst die SPD.

Beinahe Patt im Duell der Spitzenfrauen

Genossin Franziska Giffey ist die größte Verliererin dieser Wahl. In einigen Auftritten nach den ersten Hochrechnungen zeigte sie sich getroffen und schien zu spüren, dass es eigentlich nach einer solchen Niederlage angeraten wäre, sich aus ihren Ämtern zurückzuziehen. Aber sie ließ am Ende keinen Zweifel daran, dass sie weiter im Roten Rathaus bleiben wolle, wenn die SPD wieder zur wählerstärksten Partei unter den Koalitionären würde. Einen Koalitionswechsel hätte sich die SPD wohl nur vorstellen können, wenn die grüne Spitzenfrau Bettina Jarasch mit dem Recht der stärksten Koalitionspartei Anspruch auf das Amt der Regierenden Bürgermeisterin hätte anmelden können. Von beiden Parteien wurde Gleichstand gemeldet und erst das vorläufige Endergebnis zeigte einen SPD-Vorsprung von nur 105 Wählerstimmen.

Reicht das für Genossin Giffey, um im Amt zu bleiben? Können sich die in tiefer Ablehnung verbundenen rot-grünen Spitzenfrauen bei diesem Fast-Gleichstand auf Giffeys Amtsübernahme verständigen? Oder zieht die Unterlegene dann lieber die Juniorpartnerinnen-Rolle in einer Koalition mit der CDU vor, auch weil in einer Zweierkoalition mehr Ämter für jeden im Angebot sind als in einer Dreierkoalition? Das klingt nicht ganz unwahrscheinlich. Die SPD allerdings hatte schon 2021 ihre Spitzenfrau gegen deren Willen in das rot-rot-grüne Bündnis gedrängt. Vielleicht drängen die Genossen sie jetzt, den Spitzenposten zu räumen, um die Koalition ohne den Dauerkonflikt der Spitzenfrauen fortsetzen zu können.

Es gäbe ja einen aus Genossen-Sicht sicher geeigneten Nachfolger: den SPD-Ko-Vorsitzenden Raed Saleh. Der erste Landesregierungschef mit Migrationshintergrund, das würde doch zu einer rot-grün-roten Koalition so gut passen, dass sich die Grünen trotz des Beinahe-Gleichstands mit der SPD in die Junior-Rolle fügen könnten. Es sähe ja nicht mehr wie eine Niederlage von Frau Jarasch gegen ihr Rivalin Giffey aus und wäre zudem so fortschrittlich, dass es in den Medien sicher jede Menge Vorschuss-Lorbeeren zu ernten gäbe, obwohl die Regierungsparteien gerade vom Wähler abgestraft wurden.

Ja, das ist nur eine wilde Spekulation. Die Hauptwahlverliererin wird vielleicht wirklich weiter selbst die Hauptstadt regieren, und die Koalitionäre machen mit, weil die grüne Ko-Wahlverliererin weiterhin ungestört ihre Steckenpferde reiten darf. Zu Berlin würde auch das prima passen. Am Überraschendsten wäre eigentlich das, was man anderswo vielleicht zuerst erwarten würde, nämlich dass es eine Regierung gibt, die mit dem deutlichen Wahlgewinner gebildet wurde.

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Manfred Werner / 13.02.2023

Rot – Rot – Grün, gleich SED aber mit Bananen !

S. Andersson / 13.02.2023

War leider zu befürchten das es so aus geht. Für die Stadt ist es übel .... hier wird weiter abgewrackt was das Zeug hält. Zudem wäre es gut gewesen für die Menschen in D wenn die Polit Genossen mal so richtig abgstraft worden wären .... für CDU, SPD,grüne, FDP & Linke so um die 5 % ... hilft öfters mal beim Denken .... also was es bedeutet FÜR DAS VOLK zu arbeiten.

Stefan Zorn / 13.02.2023

Das Überraschendste wäre politischer Anstand. Der ist von Linken und Grünen jedoch nicht zu erwarten. Und es wird hier wieder deutlich, welch ein kapitaler Fehler es gewesen ist, die SED nach der Wende nicht zu verbieten…

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