Von Helmuth Frauendorfer
Schaut man nach Georgien, wird man den Eindruck nicht los: Rußland scheint in Teilen zurückhaben zu wollen, was der Sowjetunion früher gehörte. Ein Rückfall. Aber ein Rückfall ganz, ganz weit zurück, in eine politische Unkultur, noch älter als die Zeit, da der Ostblock zu bröckeln begann – und mit ihm das Sowjetimperium. Damals waren es einzelne Menschen, die feine Netzwerke von Menschenrechtsbewegungen gesponnen haben, für Freiheit und Menschenrechte, und die dazu beigetragen haben, daß totalitäre Systeme meistens ohne Gewalt zu Bruch gehen. An einer solchen Aktion beteiligte ich mich vor 20 Jahren im noch nicht gewendeten Polen…
Vom Stahlwerk Nova Huta hörte ich zwar nicht zum ersten Mal, aber der Name des Ortes prägte sich besonders ein, denn es gab da Streiks, organisiert von Lech Walesa. Ich war nicht weit davon entfernt, in Krakau. Auch eine für damalige Umstände absurde Situation: In Krakau fand Ende August 1988 die erste Internationale Menschenrechtskonferenz eines osteuropäischen Landes statt. Und Lech Walesa, der Streikführer, wurde irgendwann auf dieser Konferenz erwartet. Ich, der ich erst neun Monate vorher von Rumänien hinausgedrängt wurde und nach West-Berlin gegangen bin, sollte hier einen Vortrag halten. Als Menschenrechtler. In Berlin hatten wir davor die „Initiative Aktionstag Rumänien“ gegründet. Dazu gehörten unter anderem die Schriftsteller Herta Müller, William Totok und Richard Wagner. Wir bereiteten eine großangelegte Aktion für den 15. November vor. International sollte an dem Tag auf Ceausescus Diktatur aufmerksam gemacht werden. Das hatten wir bisher in diversen Berliner Wohnzimmern und Küchen besprochen. Zusammen mit einer Westberliner Menschenrechtlerin, Marie-Luise Lindemann, fuhr ich nach Krakau, um in einem Vortrag auf die Mißstände in Rumänien aufmerksam machen – auf die drakonische, totalitäre und Gewalt nicht scheuende Diktatur von Ceausescu, der gerade anfing, ganze Dörfer einzuebnen, nachdem er große Teile der Hauptstadt Bukarest abgerissen hatte, um sich seinen Palast bauen zu lassen.
Wir, die Teilnehmer dieser Internationalen Konferenz, waren bei Privatpersonen untergebracht, ich nächtigte bei einer freundlichen Familie mit einem Kleinkind in einem Plattenbau, im Kinderzimmer, klein, eng, grau, der Wind pfiff durch die Räume, eine Bauweise, die mir sehr bekannt vorkam, aus Rumänien – mit einem Unterschied, in Krakau gab es warmes Wasser in den Leitungen.
In Krakau wurde dann der Aufruf zum Internationalen Aktionstag Rumänien öffentlich lanciert, für den 15. November, an diesem Tag sollte weltweit auf den Terror in Rumänien hingewiesen und zur Ächtung des Ceausescu-Regimes aufgerufen werden. Eine Aktion, die dazu führte, daß der rumänische Geheimdienst meinen Freunden und mir Morddrohungen schickte. Dank einer gut vernetzten Arbeit sorgte dieser Aktionstag für viel Unruhe.
Doch nicht nur wir waren gut vernetzt. Hätte ich irgendetwas von damals vergessen, eine Besprechung, ein wichtiges Treffen – es wäre nicht verloren, ich kann es ja immer wieder nachlesen, in den Karteien, die der Staatssicherheitsdienst der DDR damals über mich angelegt hatte. Absurd: Aus Rumänien stammend, doch als Deutscher schon mit einem frischen bundesdeutschen Paß ausgestattet, bin ich in Polen und der Geheimdienst der DDR ist hinter mir her. Wer so Arbeitskräfte verschwendet, kann nur implodieren. In den Unterlagen der Stasi sind sämtliche Organisationen aufgelistet, in denen ich damals tätig war, auch solche die ich längst vergessen hatte, geplante Aktivitäten sind aufgeschrieben, wie „F. will einen „Rumänien-Tag“ in der BRD durchführen … sowie in Abstimmung mit Lew Kopelew mit oppositionellen Kräften in der Sowjetunion Konsultationen zu eventuellen antisozialistischen Aktionen durchführen.“
Eine Sache aber haben sie nicht auf die Reihe bekommen: Die Kollegin, mit der ich in Krakau war, wird im Berichts-Text als meine Lebensgefährtin eingestuft, und dann, in der Rubrik Lebensgefährtin, wird eine weitere Person, meine damalige Frau, genannt - für das MfS damals ein Selbstverständlichkeit?
Wiewohl der DDR-Geheimdienst auch später auf für mich bestürzende Weise genauestens über jeden meiner Schritte in der Vorbereitung des Aktionstages gegen die Ceausescu-Diktatur informiert war. Und nicht nur das MfS.
In den Unterlagen tauchen dann plötzlich auch Kommentare des sowjetischen Geheimdienstes KGB auf. Was wollte der KGB mit solch einer für uns wichtigen aber doch kleinen Aktion? Er wollte die Kontrolle, der KGB. Jedenfalls: Deren Netz funktionierte. Unseres auch.
Wir sind, friedlich, noch da. Der KGB nicht mehr so flächendeckend, und offiziell überhaupt nicht. Das scheint er oder sein Nachfolger nicht zu verkraften, zwanzig Jahre danach. Nach Polen oder bis Berlin allerdings wird er sich nicht mehr trauen. Wollen wir doch hoffen.