Henryk M. Broder / 17.12.2018 / 13:00 / 27 / Seite ausdrucken

Fake News direkt vom Präsidenten

Es ist noch nicht lange her, da hat Barbara John, ehemalige Ausländerbeauftragte des Berliner Senats und Ombudsfrau für die Hinterbliebenen der Opfer des Nationalsozialistischen Untergrundes, in einem Beitrag für den Tagesspiegel versucht, die Ängste ihrer Leser zu zerstreuen. Es sei überhaupt nicht schlimm, "wenn die Einheimischen auf einmal in der Minderheit sind", schrieb sie, "der Trend zum rasant wachsenden Migrantenanteil ist nicht umkehrbar", es sei "auch in Deutschland nur noch eine Frage der Zeit, bis in größeren Städten Menschen mit Migrationshintergrund die Bevölkerungsmehrheit stellen", in Frankfurt sei das bereits der Fall, demnächst würden Stuttgart und Augsburg folgen. 

Dennoch müssten sich "die Einheimischen", also diejenigen, die schon länger hier leben, keine Sorgen machen. Erstens bestünde "die neue Bevölkerungsmehrheit ja aus vielen Einwanderergruppen, die sich bildungsmäßig, ethnisch, religiös, kulturell und wirtschaftlich enorm unterscheiden", zweitens seien diese Gruppen "untereinander oft zerstritten, wie das auch bei Einheimischen der Fall ist". 

Eben, man hört ja immer wieder von Rheinländern, die mit Knüppeln und Messern auf Westfalen losziehen und von Franken, die den Schwaben mit abgebrochenen Flaschen einen auf den Weg mitgeben. 

Inzwischen allerdings scheint Frau John etwas dazugelernt haben. Im Tagesspiegel vom Sonntag nimmt sie Ingo Kramer, den Arbeitgeberpräsidenten, auseinander, der vor kurzem behauptet hatte, dass von mehr als einer Million Menschen, die seit 2015 als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, knapp 400.000 einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz gefunden haben. Unsinn, schreibt Frau John, erstens waren es 1,6 Millionen Flüchtlinge, und zweitens handelt es sich bei den 400.000 um eine Zahl, die "phantasievoll aus dem Daten-Dschungel hochgerechnet wurde". (Der Beitrag steht nicht online.)

So weit, so gut. Jeder lernt irgendwann dazu. Was allerdings auffällt, ist, dass Barbara John ein Wort vermeidet, das in diesem Kontext das einzig richtige wäre: Fake News. Arbeitgeberpräsident Kramer, der auch im Vorstand der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger sitzt, hat sich die Geschichte von der spektakulär geglückten Integration der Geflüchteten aus dem Daumen gesaugt. Was er da zusammenspinnt, ist echtes Seemansgarn, aus dem man ein Dutzend Matrosenanzüge nähen könnte, in die sogar Peter Altmaier passen würde.

Fast alle Redaktionen haben über seine radikaleuphemistische Lagebetrachtung berichtet, keine hat auch nur angedeutet, dass die Bilanz in das Reich der Fake News gehört. So sieht sie aus, die solidarische Liebe der Matrosen, vom kleinsten und gemeinsten bis hinauf zum Kapitän.

Siehe zum gleichen Thema auch BILD von gestern abend: Zwei von drei Flüchtlingen leben von Hartz IV

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Leserpost

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Christoph Kaiser / 17.12.2018

@ Dr. Günter Crecelius “.....nicht einmal im bundesdeutschen Rechtsstaat.” ; Der war gut!!!

Susanne v. Belino / 17.12.2018

Übrigens eine ziemlich gefährliche Angelegenheit, Ihr Artikel, Herr Broder. Als ich an der Passage mit dem Seemannsgarn, den Matrosenanzügen und Peter Altmaier angelangt war, erlitt ich einen so unkontrollierbaren Lachanfall, dass ich fast an ein paar Hasennüssen, die ich mir Sekunden zuvor in den Mund geschoben hatte, jämmerlich erstickt wäre. Mir Herrn Altmaier in einem deutlich zu knapp geschneiderten Matrosenoutfit vorzustellen, hatte wirklich was. Toll!

Wiebke Lenz / 17.12.2018

Ich bin immer wieder begeistert, dass ich absolut beruhigt sein kann. Als Angehörige einer eigenen Ethnie (mit eigener Kultur etc.) in meinem eigenen Land ist es nicht schlimm, wenn ich in absehbarer einer Minderheit angehören soll (oder es für andere schon Realität ist). Ist halt so. Und die absolut fleißigen und angepassten Flüchtlinge (müssen ja solche sein - Migranten stimmt ja nicht) erarbeiten wie jeder deutsche Staatsbürger die Steuern für notwendige(!) Staatsausgaben. Es gibt auch keine vermehrten Gewalttaten, die bis zum Tod führen ...

Hans Meier / 17.12.2018

Ich weiß nicht, wie anderen das geht, aber angesichts dessen, was aufgrund “unserer Geschichte” von uns verlangt wird, ist es schon eine Bürde, Deutscher zu sein. Deutscher ist man, weil man es sein muß, kannst es ja nicht einfach abstreifen. Jedenfalls die anderen sagen dir genau, was du bist. Gegenüber Menschen, die nur hierher gezogen sind, um ihre persönliche wirtschaftliche Situation zu verbessern, empfinde ich so gar nichts ... und wenn sie dann noch schwierig werden, sollen sie bitte wieder gehen. Deutscher kann man im Grunde nur sein, wenn einen die Geschichte spätestens seit 1914 persönlich betrifft - was hat deine Familie im Krieg gemacht? Waren sie Täter, Opfer, beides? Wie geht ihr damit um? Wart ihr vertrieben oder ausgebombt? Wieviele sind umgekommen? Die ganzen schönen Ideen mit Einwanderung und Integration kommen für uns hundert Jahre zu früh. Ich kann mir auch nicht vorstellen, als Paria in einer Gesellschaft von “Deutschen” zu leben, von denen die Mehrheit erst seit 1954 zugezogen ist, und die den ganzen historischen Dreck auf die autochthone Minderheit schieben. Das kann ja bis zu einer Pogromstimmung gehen. Von daher ist die Frage, wieviele “Flüchtlinge” jetzt in Lohn und Brot stehen, völlig wurscht. Ich bestellte im Gasthaus zum Goldenen “M” auch nicht mehr an der Theke, sondern am “Gerät”.

Werner Lehmann / 17.12.2018

Wenn man zu der ca. 1 Million Harz lV Empfänger unter den Flüchtlingen noch die hinzurechnet, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen, sehen die Fakten so aus: lt. Bundesamt für Statistik am 31.12.2017 468 000 Empfänger nach Asylbewerberleistungsgesetz plus 1000000 Hartzer, dann sind wir nach Adam Riese bei ca. 1,5 Millionen Gäste, die Transferbenutzer sind. Herr Kramer leidet offenbar unter erheblicher Dyskalkulie. Macht in der Position wohl aber nichts!

Constanze Rüttger / 17.12.2018

@Joachim Lucas: das Phänomen nennt sich Peter - Prinzip, kann man bei Wiki nachlesen. Ich arbeite (weit unten) bei einer Behörde, da wird das auch angewandt und deshalb bin ich so weit unten :-)

Karen M. Jahns / 17.12.2018

Lieber Herr Broder, vielen Dank – auch für den Hans Albers-Ohrwurm aus “Bomben auf Monte Carlo” (1931), Sie retten mir den Rest des Tages! Und jetzt alle: Das ist die Liebe der Matrosen, von dem kleinsten und gemeinsten Mann bis rauf zum Kapitän! Viele Grüße aus München, Karen M. Jahns.

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