1978 besuchte Deng Xiaoping Japan. Es war das erste Mal, dass ein politischer Führer der Volksrepublik China ins Land der einstigen Besatzer und Kriegsgegner reiste. In den Nissan-Werken schaute Deng Montagerobotern bei der Arbeit zu. Bei Matsushita (heute Panasonic Corporation) staunte er über Elektroöfen, die warme Klöße zubereiten konnten. Besonders beeindruckt war der einstige Guerillakämpfer und Mao-Vertraute jedoch von den japanischen Hochgeschwindigkeitszügen, den Shinkansen.
In den folgenden Jahren konnte Deng konservative Parteikader entmachten und ein Programm der ökonomischen Öffnung und Modernisierung umsetzen. Unter seiner Führung entwickelte sich China zu einer der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt. Der neue Wohlstand ging mit einem äußerst ambitionierten Ausbau des Schienenverkehrs einher. Bis in die frühen 1990er Jahre wurden Personenzüge in China vorwiegend von Diesellokomotiven gezogen, die eine Höchstgeschwindigkeit von 120 Kilometer pro Stunde erreichten. Fünf staatliche Modernisierungskampagnen in den Jahren 1997 bis 2004 konnten die Spitzengeschwindigkeit auf vielen Streckenteilen auf 160 Kilometer pro Stunde steigern.
Echte Hochgeschwindigkeitszüge müssen laut einer weithin anerkannten EU-Definition eine Höchstgeschwindigkeit von mindestens 190 Kilometer pro Stunde erreichen. Eine solche Schnellverbindung bekam China erstmals 1998 (ein Jahr nach Dengs Tod), als die Strecke Guangzhou-Shenzhen elektrifiziert und mit schwedischen X2000-Neigezügen betrieben wurde.
In den späten 1990ern und frühen 2000ern wurde die chinesische Verkehrspolitik von einem Richtungsstreit zwischen Anhängern der konventionellen Rad-Schiene-Technologie und Befürwortern von Magnetschwebebahnen geprägt. Letztere konnten einen Sieg verbuchen, als die deutsche Transrapid-Technologie den Zuschlag für einen Flughafenzubringer in Shanghai erhielt. Die 30 Kilometer lange Strecke wurde 2004 eingeweiht. Die Bahnen erreichen eine Höchstgeschwindigkeit von 430 Kilometer pro Stunde, was sie zu den schnellsten Zügen der Welt im kommerziellen Regelbetrieb macht.
Vom Bau weiterer Hochgeschwindigkeits-Magnetschwebebahnen wurde jedoch aus Kostengründen abgesehen. Stattdessen entstanden im großen Stil neue konventionelle Hochgeschwindigkeitstrassen, die oft parallel zu bestehenden Hauptstrecken verlaufen und dem Personenverkehr vorbehalten sind. Die Trennung vom langsameren Güterverkehr und die Nutzung von Viadukten über unebenem Gelände ermöglichen sehr hohe Spitzengeschwindigkeiten. So ist die 2008 eröffnete Peking-Tianjin-Linie für Geschwindigkeiten von bis zu 350 Kilometer pro Stunde ausgelegt, die 2011 eingeweihte Strecke Peking-Schanghai gar für 380 Kilometer pro Stunde.
So lang wie alle anderen Hochgeschwindigkeitsnetze der Welt
Um die Jahrtausendwende entwickelte China eigene Hochgeschwindigkeitszüge wie den China Star. Diese erwiesen sich jedoch als unzuverlässig und gingen deshalb nie in Serie. Stattdessen setzte man auf Gemeinschaftsprojekte mit ausländischen Herstellern wie Bombardier, Kawasaki, Siemens oder Alstom. Seit 2016 werden sie durch Züge der Marke Fuxing (Erneuerung) ergänzt, die komplett auf einheimischen Technologien beruhen.
Die Entwicklung des Netzes orientierte sich zunächst am 2004 verabschiedeten „4+4“-Masterplan, der acht Hochgeschwindigkeitskorridore vorsah (vier mit nord-südlicher und vier mit ost-westlicher Ausrichtung). Beim Ausbau scheute der chinesische Staat keine Kosten. Im Jahr 2006 flossen 22,7 Milliarden US-Dollar in den Bau neuer Eisenbahnstrecken. 2008 waren es bereits 49,4 Milliarden und 2009 sogar 88 Milliarden Dollar.
2011 war das chinesische Hochgeschwindigkeitsnetz mit circa 8.400 Kilometern das längste der Welt. Im selben Jahr brachte jedoch eine unglückliche Verkettung von Umständen den weiteren Ausbau fast zum Erliegen. Ein Korruptionsskandal im Eisenbahnministerium und eine Zugkollision nahe Wenzhou mit 40 Todesopfern zogen Baustopps und langwierige Sicherheitsüberprüfungen nach sich. In der zweiten Jahreshälfte führte eine Kreditklemme zu weiteren Verzögerungen.
Seit 2012 wächst das Netz jedoch wieder rasant. Ende 2013 umfasste es circa 11.000 Kilometer und war damit so lang wie alle anderen Hochgeschwindigkeitsnetze der Welt zusammen. 2016 wurden die Ziele des „4+4“-Plans erreicht und ein neuer „8+8“ Plan verabschiedet (acht „Nord-Süd-“ und acht „Ost-West-“Korridore). Bis zum Jahr 2025 sollen die chinesischen Schnellzuglinien eine Gesamtlänge von 38.000 Kilometer erreichen – ein Ziel, für das man bereit ist, mehr als 100 Milliarden US-Dollar im Jahr auszugeben.
Aktuell ist man bei etwas über 25.000 Kilometern, was gut zwei Dritteln des globalen Gesamtnetzwerks entspricht. Doch das chinesische Hochgeschwindigkeitsnetz beeindruckt nicht nur durch seine schiere Länge, es befördert auch die meisten Passagiere – 2017 über 1,7 Milliarden. China betreibt nicht nur den Zug mit der höchsten Spitzengeschwindigkeit (den bereits erwähnten Transrapid Shanghai), sondern auch die schnellste Punkt-zu-Punkt-Verbindung der Welt: Peking-Nanjing mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 316,7 Kilometer pro Stunde. Außerdem befindet sich in China die längste Hochgeschwindigkeitslinie der Welt, Peking-Shenzhen mit 2.203 Kilometern, die in circa acht Stunden bewältigt werden.
Im zweiten Teil lesen Sie : Deutsche Technik im Exil
im dritten Teil lesen Sie: Die Zukunft spielt in Asien
Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch In 80 Minuten um die Welt: Beiträge zur Zukunft der Mobilität, Novo Argumente Verlag, Frankfurt/Main, Oktober 2018.