Kolja Zydatiss / 04.11.2018 / 11:00 / Foto: B_Cool / 8 / Seite ausdrucken

Die Eisenbahn-Supermacht (2): Deutsche Technik im Exil

Ähnlich wie China stieg auch Deutschland recht spät ins Zeitalter der Hochgeschwindigkeitszüge ein. Ein deutsches Pendant zum japanischen Shinkansen und französischen TGV entstand erst 1983 mit dem InterCityExperimental. 1988 stellte dieser Versuchszug bei einer Testfahrt zwischen Fulda und Würzburg mit 406,9 Kilometer pro Stunde einen Geschwindigkeits-Weltrekord für Rad-Schiene-Fahrzeuge auf.

Der Rekord war bald geknackt, was dem Erfolg des auf dem InterCityExperimental basierenden ICE 1 jedoch keinen Abbruch tat. Die seit 1991 im Fahrgastbetrieb mit bis zu 280 Kilometer pro Stunde eingesetzten Triebzüge gelten als äußerst zuverlässig und sorgten über Jahre hinweg für einen guten Ruf der Deutschen Bahn, der erst durch das schwere ICE-Unglück bei Eschede im Jahr 1998 getrübt wurde.

Auch die ebenfalls für 280 Kilometer pro Stunde zugelassenen Nachfolgemodelle der Serie ICE 2 gelten als wenig störanfällig. Für ein durchwachsenes Gesamtbild sorgen indes die neueren Zugserien. Das Flaggschiff der Deutschen Bahn ist der ICE 3. Diese Züge sind seit 2000 im Einsatz und erreichen in Deutschland planmäßig bis zu 300 und in Frankreich bis zu 320 Kilometer pro Stunde. Das klingt auf den ersten Blick beeindruckend. In der Praxis bremsen jedoch eine Vielzahl technischer Mängel die Superzüge aus.

Ähnlich störanfällig sind die mit Neigetechnik ausgestatteten Züge der Serie ICE T, die aber ohnehin nur für eine Spitzengeschwindigkeit von 230 Kilometer pro Stunde ausgelegt sind. Auch die neuesten Züge der ICE-Familie beeindrucken nicht gerade durch hohes Tempo. Bei der Entwicklung des ICE 4, der seit Dezember 2017 im kommerziellen Betrieb ist, standen Aspekte wie geringer Energieverbrauch und zuverlässige Klimaanlagen im Fokus. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt bescheidene 250 Kilometer pro Stunde.

Deutschland entschleunigt

Der Hauptgrund, weshalb das deutsche ICE-System nicht mit den Hochgeschwindigkeitssystemen in Japan, Frankreich oder China mithalten kann, liegt jedoch nicht bei den Fahrzeugen, sondern bei der Netzinfrastruktur. Jüngste Erfolge wie die Eröffnung der Schnellfahrstrecke Berlin–München im Dezember 2017 können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Geschwindigkeiten über 280 Kilometer pro Stunde in Deutschland nur selten möglich sind. Von einem Hochgeschwindigkeitsnetz kann kaum die Rede sein, da die Schnellfahrstrecken schlecht miteinander verbunden sind.

Anders als in Japan, China oder Frankreich müssen sich die ICEs ihr Netz oft mit langsameren Zügen teilen. Ein weiteres Problem ist der mit etwa 70 Kilometern vergleichsweise geringe durchschnittliche Abstand zwischen den Haltepunkten. Die Halte-Logik der Deutschen Bahn ist kompliziert und wohl auch nicht frei von politischem Einfluss. So kommt es, dass ICE-Züge regelmäßig Gemeinden wie Züssow (1.300 Einwohner) und Oberau (3.300 Einwohner) bedienen, aber Großstädte wie Chemnitz (244.000 Einwohner) links liegenlassen.

Die in Deutschland bestehende Möglichkeit, als Einzelperson Einspruch gegen Bauvorhaben zu erheben, verlangsamt und verteuert den Ausbau des Netzes. Beim Bau der Schnellfahrstrecke Frankfurt–Köln fürchtete etwa der Eigentümer eines Gestüts um seine Zuchterfolge. Nach langem juristischen Hin und Her wurde der ursprünglich auf 517 Meter ausgelegte Röttgen-Tunnel auf nunmehr 1.047 Meter verlängert. Der Baubeginn des Tunnels verzögerte sich um zwei Jahre. Mehrkosten: 7,7 Millionen Euro.

Dass es auch anders geht, beweist nicht nur das autoritär geführte China, sondern auch unser demokratischer Nachbar Frankreich. Dort kann die Regierung per Dekret erklären, dass ein Bauvorhaben von „öffentlichem Interesse“ ist, woraufhin sofort gebaut werden kann. Eventuelle rechtliche Auseinandersetzungen drehen sich danach nur noch um die Höhe des Schadenersatzes für enteignetes Land.

Transrapid ohne Referenzstrecken

Eine echte Revolution im Schienenverkehr verhieß in den 1980er und 90er Jahren der bis zu 500 Kilometer pro Stunde schnelle und hoch beschleunigende Transrapid. Doch die Chance wurde vertan. Obwohl Deutschland im Bereich der Magnetschwebetechnik weltweit führend und das System ab 1991 einsatzreif war, kamen die Transrapidstrecke Berlin-Hamburg und zwei kleinere Projekte (der „Metrorapid“ Düsseldorf–Dortmund und der Transrapid München) nicht über die Planungsphase hinaus.

Neben den vermeintlich zu hohen Kosten fürchteten deutsche Entscheidungsträger vor allem eine Konkurrenzsituation zwischen der Magnetschwebetechnik und konventionellen Hochgeschwindigkeitszügen. Dass der Transrapid ohne Referenzstrecken kein Exportschlager werden konnte, kümmerte die Verantwortlichen offenbar nicht.

In Schanghai eröffnete schließlich doch noch eine kurze Strecke, in Deutschland war das Thema vom Tisch. Vor kurzem meldete sich zwar die Firma Max Bögl aus der Oberpfalz, die auch am Schanghaier Projekt beteiligt war, zurück. Das Bauunternehmen setzt weiter auf die Technik, will aber nun Bahnen mit Geschwindigkeiten zwischen 100 und 200 Kilometer pro Stunde für den Nah- und Regionalverkehr bauen. Doch auch diesmal scheint das Interesse in China größer als in der Heimat. Die Firma Chengdu Xinzhu Road & Bridge Machinery hat sich im März 2018 die exklusiven Nutzungsrechte für die Technologie in China gesichert.

Im ersten Teil lesen Sie:Von 0 auf 25 000

im dritten Teil lesen SieDie Zukunft spielt in Asien 

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch In 80 Minuten um die Welt: Beiträge zur Zukunft der MobilitätNovo Argumente Verlag, Frankfurt/Main, Oktober 2018.

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Werner Lischka / 04.11.2018

natürlich ist die struktur des eisenbahnnetzes ein politische entscheidung. schließlich muß man investieren. frankreich hat bewußt in hochleistungsstrecken zwischen den großstädten investiert und präsentiert den tgv als flagschiff. leider fährt dieses schiff allein - denn das um vieles wesentlichere nahverkehrsnetz für pendler und lokale fahrten wurde dafür aufgegeben. diese strecken verrotten. da auch der güterverkehr nicht über hochgeschwindigkeitsnetze abgewickelt wird, fällt immer mehr transportleistung auf die strasse. österreich und die schweiz sind diesen weg bewußt nicht gegangen - und auch deutschland hat sich (in einer der wenigen klugen entscheidungen der db) dagegen entschieden. damit sind weiterhin auch kleinere städte mit eisenbahnanbindungen versorgt. der hype der hochgeschwindigkeitsnetze ist nichts als show - die bahn hat noch andere aufgaben als rekorde zu brechen, nämlich pünktlich pendler an die arbeitsplätze und güter von a nach b zu bringen. das ist zwar weniger glamourös aber im eng besiedelten europa sinnvoller.

Mike Loewe / 04.11.2018

Der Transrapid-Unfall von 2006 mit 23 Toten hat dem Projekt Magnetschwebetechnik in Deutschland den letzten Todesstoß versetzt. Vielleicht ist es sogar besser, hier keine zu haben, denn die Verletzlichkeit durch Terroranschläge könnte wegen der hohen Geschwindigkeiten und der Form der Fahrbahn höher sein als bei konventionellen Bahnen, und die Wahrscheinlichkeit für Terroranschläge ist in Europa bekanntlich hoch. Die derzeit sieben Magnetschwebebahnen der Welt sind in Japan, Südkorea und China im Einsatz. Neben dem Transrapid sind dies sechs U- und S-Bahn-ähnliche städtische Magnetschwebebahnen mit Geschwindigkeiten zwischen 100 und 120 km/h. In China befinden sich solche in Changsha und Beijing, eine weitere ist in Qingyuan im Bau. In Japan ist derzeit eine Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Tokio und Nagoya im Bau.

Sabine Heinrich / 04.11.2018

Ich brauche gar keinen superschnellen Züge - ich brauche nur Züge, die pünktlich sind, damit ich den Anschlusszug erreiche, bei denen die Wagenreihung stimmt (ich mag nicht mehr so gern auf Bahnhöfen mit Gepäck sprinten); ich möchte, dass bei defekten Toiletten nicht nur einfach die Tür abgesperrt wird ohne den Hinweis “Defekt”, so dass mir erst nach drängenden 10 Minuten klar wird, was los ist (wiederholt erlebt);  ich möchte, dass es in derartigen Fällen Durchsagen in den Zügen gibt und Hinweise darauf, wo man ein funktionierendes WC findet. Ich möchte, dass die Bahn ihren regelmäßig steigenden Preisen den Komfort anpasst und sich nicht nur überwiegend um Internetuser kümmert (W-Lan). Ich möchte wieder Bahnhöfe haben, auf denen Reisende mit verständlichen Durchsagen über Änderungen informiert werden und auf denen Personal für Auskünfte und Hilfen zur Verfügung steht. Das ist nach meiner Erfahrung nur noch in Großstädten der Fall. Unterm Strich: Ich möchte, dass die DB sich ein Beispiel an der ÖBB (Österreich) nimmt, die in JEDER Hinsicht der DB um Längen voraus und auch nicht teurer ist. Gut, dass sie viele der Nachtzugstrecken der DB übernommen hat - seitdem ist der Service VIEL besser, und die Preise für Schlafwagenbetten sind erschwinglich. Deutlich günstiger sind Speisen und Getränke in den Zügen der ÖBB. Wieso hinkt die DB so weit hinterher? Wieso wird sie - so mein Eindruck als Vielreisende - immer schlechter?

Karla Kuhn / 04.11.2018

Ich schließe mich Herrn Bäcker an !!  Herr Menzen,  ich fahre heute noch gerne Dampflok, stinkt zwar aber es ist sooooo gemütlich und man kann die Fenster öffnen und rausschauen, bis man eine schwarz-gesprenkelte Nase hat.

Robert Kargis / 04.11.2018

“@Dass der Transrapid ohne Referenzstrecken kein Exportschlager werden konnte, kümmerte die Verantwortlichen offenbar nicht.” Das ist unbewiesen. “Referenzstrecke” ist ja bloß ein Synonym für Steuergeld. Es gibt unter Umständen gute Gründe, Milliarden Euro Steuergelder in aufzubauende Industrien zu stecken (u. a. Airbus in den 70er und 80er Jahren usw.), aber nach Serienreife muss dann Schluß sein. Wenn das Produkt dann nicht gekauft wird gibt es einfach keinen Markt dafür oder jedenfalls keinen ausreichenden Markt und genau das ist beim Transrapid der Fall. Daran hätten auch 10 Referenzstrecken nichts geändert. Im Übrigen gibt es diese Referenzstrecke ja längst, sie befindet in Shanghai und ist immerhin 30 Kilometer lang. Trotzdem gibt es weltweit kein Interesse und damit keinen Markt für den Hochgeschwindigkeits-Transrapid. Hier und da mag es Interesse geben an einem relativ langsamen Magnetschwebebahnsystem, aber auch das muss sich dann am Markt durchsetzen und davon kann momentan nicht die Rede sein. Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass im 19. Jahrhundert auch die Einführung und Verbreitung der Eisenbahn eine rein privatwirtschaftliche Sache war, die sich am Markt durchsetzen musste und das tat sie auch. Der Transrapid kann das nicht, weil er einfach zu teuer ist, demgegenüber sein Nutzwert zu niedrig. Und daran wird sich so schnell nichts ändern. Und selbst wenn in China oder sonst wo weitere 20 Hochgeschwindigkeits-Magnetschwebebahnen gebaut würden, wäre dies im Verhältnis zu den ursprünglichen Hoffnungen, die man in diese Technologie steckte, sowie im Verhältnis zu den bestehenden Transportleistungen der schienengebundenen Eisenbahn lächerlich wenig, ein Promillebeitrag zum Problem der weltweiten Beförderung. Das sind die Relationen.

Rolf Menzen / 04.11.2018

Ich finde die alten D-Züge mit Dampflok aus meiner Kindheit sowieso viel schöner. Die waren vom Wetter unabhängig und pünktlich. Und machten so’n schönes Geräusch beim anfahren.

Ralf Orth / 04.11.2018

Im Grundsatz ein Informativer Artikel. Beim Beschrieb der Magnetschwebebahn geht aber doch wohl die Euphorie mit dem Autor durch.  Die Bahn in Schanghai fand keine Nachfolger in China. Warum wohl? Sie kann wohl auch nur noch mit geringerer Geschwindigkeit betrieben werden. Es muss doch auch hinterfragt werden, warum kein privater Investor bereit war den Haupteil für den Bau bereit zu stellen.

Lars Bäcker / 04.11.2018

Kann mich noch gut erinnern, dass die Grünen (damals in der Regierung mit der SPD) am lautesten gegen den Transrapid zu Felde gezogen sind. Angeblich wegen der mit dem Bau der Hochstrecken verbundenen Umwelt einschnitte. Das ist im Übrigen die Partei, der es heute völlig Wurst ist, dass ganze Waldgebiete für Windkraftanlagen betoniert werden, die dann Vögel und Fledermäuse schreddern und den Menschen schlaflose Nächte und unerträgliche Tage beriten (Stichwort: Infraschall und Schattenschlag). Aber was reg‘ ich mich noch auf…

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