Archi W. Bechlenberg / 10.05.2020 / 13:30 / Foto: Unbekannt / 10 / Seite ausdrucken

Ein Held weniger – Zum Tode von Dave Greenfield

Stranglers – die Würger – der Bandname gefiel mir sehr, besser noch als „The Clash“ oder „Sex Pistols“. Aber es war nicht alleine der Name, der mich zu einem Fan der Band machte. Ihr Keyboarder klang wie ein Jahrzehnt zuvor ähnlich einzigartig wie Ray Manzarek von den untergegangenen Doors, ihre Stücke waren feiner New Wave, basierten also schon auf ein paar Akkorden mehr als der vorher gegangene Punk von den Ramones, von Johnny Rotten oder Sid Vicious. Rau war die Musik der Stranglers dennoch; ich erinnere mich, dass ich mir für die ansonsten eher mittelmäßige Musikanlage in meinem spießigen Ford Granada Ghia (Braunmetallic mit Kunstlederdach) einen schweineteuren Subwoofer kaufte, um mit offenen Fenstern durch die Stadt fahren und dabei „No more Heroes“ vom Cassettenrekorder spielen zu können, so dass es auch wirklich jeder mitbekam. Zwar waren die anderen Stücke auf der gleichnamigen LP ebenfalls sehr eigen, vor allem das von einem ungebremsten Bass vor sich her getriebene „I feel like a Wog“, aber „No more Heroes“ war ohne Zweifel der Song für die Ewigkeit. Und da es umständlich war, die ohnehin sehr fragilen Tonband-Cassetten (die Älteren unter uns erinnern sich vermutlich) immer wieder bis zum Anfang des Stücks zurück zu spulen, hatte ich mir fürs Auto ein Band gebastelt, auf dem 90 Minuten lang nichts als keine Helden waren. Das dürfte um 1977 gewesen sein, ich war jung und brauchte die Aufmerksamkeit.

„They looked like the sort of people you pass in the street and your mother puts her arm round you, stares at the pavement and doubles her walking speed“ (Music writer Pete Paphides über die Stranglers)

Im Gegensatz zur „Szene“ nahm ich es den Würgern nicht übel, im Laufe der Zeit „kommerzieller“ zu werden. Selbst die Richtung Pop tendierenden Kompositionen der Combo behielten immer noch eine musikalische Raffinesse, die bei vergleichbaren Gruppen nur selten zu finden war. Für mich spielten die Stranglers in der gleichen Liga wie die Pretenders um Sängerin Crissie Hynde.

Das kommerziell erfolgreichste Stück ist ohne Frage „Golden Brown“ aus dem Album „La Folie“ (1981), eine Komposition, von der ein Kritiker schrieb, es sei vermutlich das einzige Stück, das sowohl 1681 als auch 1981 die Hitparaden anführen könnte. Womit er auf das dominierende Cembalo anspielt, mit dem Komponist Dave Greenfield den Klangteppich für das im komplizierten Wechsel zwischen 6/8- und 7/8-Takt und in es-Moll angelegte Stück anspielt. Die Bandmitglieder waren sich anfangs über die Bedeutung von Golden Brown gar nicht so recht im Klaren, nur Schlagzeuger Jet Black schlug vor, es als Single auszukoppeln. Was sich als Glücksfall erwies, die Platte wurde der größte kommerzielle Erfolg der Stranglers. Punks und New Wavers hassten es natürlich.

Was die Stranglers nicht weiter anfocht. Sie spielten selbst Klassiker vom Easy-Listening Gott Burt Bacharach („Walk on by“ auf dem Album „Black And White“ von 1978; hier klingt Dave Greenfield am nahesten an Ray Manzarek von den Doors). Auch heute noch sind die Musiker, außer ihr bereits 1990 ausgestiegenen Sänger und Gitarristen Hugh Cornwell, unter ihrem alten Namen aktiv. 

Bis auf Keyboarder Dave Greenfield („The band’s most approachable and charming member“, Pete Paphides) . Im April war er mit Herzproblemen in ein Londoner Krankenhaus gekommen, wo er im Laufe des Aufenthalts mit Covid-19 infiziert wurde. Eine Woche nach dieser Diagnose ist er am 3. Mai an den Folgen der Infektion gestorben. 45 Jahre lang spielte Dave bis in unsere Tage mit den Stranglers. „He, who gave us Golden Brown“,  nach dem inzwischen gängigen Sprachgebrauch „einer, der ohnehin bald gestorben wäre“, wurde 71 Jahre alt.

Links (Play it loud!)

Golden Brown - The Stranglers 

The Stranglers - No More Heroes 

The Stranglers - I Feel Like a Wog 

The Stranglers – Walk on by

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Leserpost

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Lars Schweitzer / 10.05.2020

“No more Heroes” hatte ich gerade letzte Woche noch auf dem alten “Punk and Wave Hits”-Tape im Auto gehört (ja, bei mir laufen immer noch Bänder im Auto)... RIP.

Carsten Zabel / 10.05.2020

Ein Jammer. Das Album Black and White von 1978 ist ein Meilenstein und hat schon seit langem einen VIP-Platz in meinem Plattenschrank. Und eine wunderbare Erinnerung an die eigene Vergangenheit, als noch alles wild, neu und vielversprechend war. Die Ernüchterung kam viel später. Danke Archi Bechlenberg für den wunderbaren Nachruf. RIP Dave Greenfield.

Jürgen Fischer / 10.05.2020

Bei Walk on by musste ich grinsen, da wird niemand Gloria Gaynor aus meinen Hirnwindungen verdrängen können. Aber ich merk’s, ich werde langsam alt. Hab doch erst vor drei Wochen Abitur gemacht ... halt, das kann nicht sein, ist ja alles verboten grad. Ich muss in einer Zeitschleife gelandet sein. @Frank-Michael Goldmann, Sie waren nicht zufällig auch mal bei Sounds unterwegs?

Karl Hans Bauer / 10.05.2020

Mein “favourite” der Stranglers war “Always the sun” Das Gitarrensolo ab Minute 2:57 war phantastisch, vielen Dank dafür.

Otto Nagel / 10.05.2020

An dem heutigen Archi fehlt mir der Laphroig,  die Cohiba und der alte schwedische Schlitten ! Und außerdem konnte ich mit Richard dem Kleinen mehr anfangen. Schade, nach der großen OP darf ich nicht mehr Rock’n Roll tanzen.

Arnold Warner / 10.05.2020

Sofort nach dem Lesen den Plattenschrank entstaubt. Welche lang verschütteten Schätze! Neben den Stranglers die Ramones, Tom Verlaine, The Undertones, Dr. Feelgood, Elvis Costello, Madness, The Tubes…. Ich kann gar nicht alle aufzählen und würde sie am liebsten alle zusammen in den Arm nehmen. Danke für die Erinnerung. Mein Abend ist gerettet. Der der Nachbarn vermutlich weniger.

Gerhard Döring / 10.05.2020

– Walk on by kenne ich ganz anders von Dionne Warwick und das waren Zeiten in welchen ich auf den AFN Berlin angewiesen war,der Titel lag ganz vorne in der Sendung “Frolik et viewe” welche wir beim Fußballspielen täglich nebenher laut hörten.Aber wie auch immer,Musik war damals besser und eigentlich sind wir Kulturell in Deutschland immer noch eingemauert.Als die GEMA abkassierte wurde nichts vernünftiges mehr auf deutschen Radiosendern gespielt und selten verirrt sich ein Star wegen zu hoher Besteuerung noch nach Deutschland, seitdem ist der Ofen aus. Dave Greenfield ist mir mit natürlich ein Begriff,die Stranglers werde ich jetzt in meiner Schallplattensammlung suchen und wenn ich diese LP gefunden habe werde ich diese sogleich auflegen,Erinnerung an tolle Zeiten.

Gert Köppe / 10.05.2020

Ja, die Stranglers. Das waren noch Zeiten. Einer meiner meist gehörtesten Titel war “Nice ‘N’ Sleazy”. Ich mochte die tiefen Gitarrentöne in dem Stück. Hat so schön gedröhnt. Da konnte ich schon mal die Nachbarn ärgern. Allerdings war die Keyboard-Einlage auch “außerirdisch”. Schade, die Besten gehen zuerst von uns. Und die schönen Zeiten kommen auch nicht wieder.

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