Henryk M. Broder / 11.12.2020 / 15:00 / Foto: Acgut.com / 65 / Seite ausdrucken

Die Verstaatlichung der Gesellschaft

Ich gebe zu: Derzeit würde ich nicht gerne in Angela Merkels Schuhen stecken. Auch nicht in einem Maßanzug von Kanzleramtsminister Helge Braun oder Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Ich möchte überhaupt mit niemand tauschen, der von Amts wegen mit Corona zu tun hat, das Vorgehen der Regierung begründen, die Pannen erklären und täglich neue Begriffe erfinden muss, wie „Lockdown light“ oder „Wellenbrecher Lockdown“. 

Nicht dass ich so etwas wie Mitgefühl mit der Kanzlerin und ihrem von der Corona-Krise gebeutelten Kabinett empfinden würde, Gott behüte, mir ist nur klar, dass ich in einer weit komfortableren Lage bin als die Kanzlerin und die 16 Ministerpräsidenten der Länder, die das eigentliche Kompetenz-Zentrum der Bundesrepublik bilden. Während ich es mit Karl Kraus halte – „Ich kann kein Ei legen, weiß aber genau, wann eines faul ist“ – müssen sie jeden Tag Entscheidungen fällen. Und egal, wofür oder wogegen sie sich entscheiden, sie haben nur die Wahl zwischen falsch und verkehrt.

Für die einen gehen die Restriktionen – Ausgehverbot, Besuchsverbot, Lokalverbot – viel zu weit, für die anderen nicht weit genug. Wenn man den Umfragen trauen darf, meinen etwa 20% der Deutschen, es müsse noch viel mehr verboten werden, damit das Virus aufhört, sich zu verbreiten. Der bayerische Ministerpräsident Söder hat vor Kurzem einen sehr sensiblen Punkt im Zentralnervensystem der führenden Urlaubernation Europas getroffen, als er sagte, die aktuellen Zahlen der Corona-Toten wären „so hoch, als würde jeden Tag ein Flugzeug abstürzen“.

Der neue BER ist besonders sicher

Der Vergleich leuchtete jedem ein, der schon mal von Stuttgart nach Palma geflogen ist. Würde jeden Tag an irgendeinem beliebigen Flughafen der Bundesrepublik eine Maschine beim Starten oder Landen abstürzen, wäre der gesamte Flugverkehr längst eingestellt. 

Tendenziell ist das bereits der Fall. Seit dem Beginn der Corona-Pandemie ist die Zahl der Flugbewegungen um rund 90% eingebrochen. Und je weniger Flüge stattfinden, umso geringer ist das Risiko, dass es zu einem Unglück kommt. Als besonders sicher kann deswegen der am 31. Oktober nach 14 Jahren Bauzeit eröffnete neue internationale Flughafen Berlin-Brandenburg gelten. Dort starten bzw. landen jede Stunde eine bis zwei Maschinen. Letzten Montag waren es zwischen 6.20 Uhr morgens bis 20.55 Uhr abends genau 17.  

Hätten die Bauherren – der Bund sowie die Länder Berlin und Brandenburg – nur geahnt, dass es so kommen würde, hätten sie sich noch mehr Zeit gelassen oder statt des Flughafens die größte Go-Kart-Bahn der Welt in die Landschaft gesetzt.

Corona wird als ein Menetekel in die Geschichte eingehen, das unvorhersehbar war. Wie der Erste und Zweite Weltkrieg, der Untergang der Titanic, der Absturz des Luftschiffs Hindenburg, die Wahl von Adolf Hitler zum Reichskanzler, der Überfall auf den Sender Gleiwitz und das Versagen der deutschen Mannschaft bei der Fußball-WM 2018 in Russland. 

Die Jungfrau bekommt ein Kind

Bei aller Kritik muss man der deutschen Regierung zugutehalten, dass sie wenig bis keine Erfahrung im Pandemien-Management hat. Woher auch? Auf der Tagesordnung der letzten Jahre stand der Kampf gegen den globalen Klimawandel, die Armut in Afrika und das Abholzen der Regenwälder in Brasilien, für die Energiewende, die Elektromobilität und eine Zwei-Staaten-Lösung im Nahen Osten. Für Pandemien und verwandte Katastrophen waren die WHO und die „Ärzte ohne Grenzen“ zuständig.

Corona hat die Bundesrepublik so unerwartet erwischt wie eine Jungfrau die Nachricht von einer unbemerkten Schwangerschaft. Das Kind hat noch keinen Namen – für das, was jetzt stattfindet, gibt es keinen Begriff. 

Man könnte es die „Verstaatlichung der Gesellschaft“ nennen, eine Kur, die sich langfristig als schädlicher erweisen könnte als die Krankheit. Der Staat hat nicht nur große Unternehmen wie Lufthansa und TUI mit Milliarden-Spritzen vor der Pleite gerettet, er alimentiert auch „Soloselbständige“, Wirte, Künstler, Hoteliers und Handwerker. Alles, was er dafür erwartet, ist ein bisschen Loyalität – dass sie nicht an den Protesten der „Querdenker“ teilnehmen, die innerhalb weniger Wochen zum Staatsfeind Nr. 1 aufgestiegen sind. Ministerin Franziska Giffey, zuständig für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, hat sich vor Kurzem weit aus ihrem Ressortfenster gelehnt und gefordert, „bei Gruppen, die sich verfassungsfeindlich äußern oder einen Angriff auf die Demokratie planen“, müsste „der Verfassungsschutz“ aktiv werden, obwohl „nicht alle, die bei solchen Demonstrationen mitlaufen, als Verfassungsfeinde angesehen werden“ können. 

Wer aber soll darüber entscheiden, welcher Demonstrant ein echter Verfassungsfeind ist und welcher nur ein Mitläufer? Die Frage könnte auch bei der Zuteilung des Impfstoffs eine Rolle spielen. Für die Antwort wäre dann der Gesundheitsminister zuständig. 

Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche

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Renate Bahl / 11.12.2020

Koennte der PCR-Test “Grips” bei der sog. Elite messen koennen, müssten vermutlich mehr als 45 Zyklen durchlaufen werden. Wenn ich Bruder/Schwester/ Tante oder oder waere, wuerde ich mich kaum noch unter Leute wagen. Die sind doch Alle zum Fremdschämen! In meinen Augen absoluter Abschaum.

Judith Panther / 11.12.2020

„WIR SCHAFFEN DAS!“ Hört sich inzwischen an wie Merkels Antwort auf die Frage, ob es wohl möglich wäre, Deutschland noch ein zweites Mal in Schutt und Asche zu legen. Langsam ist es mir peinlich einem Volk anzugehören, das sich von einer Nacktschnecke im Hosenanzug in den Abgrund reiten läßt.  

Rudi Brusch / 11.12.2020

Viren und Krankheitskeime? Waren das nicht Begriffe, die einem sofort eine Verurteilung wegen Volksverhetzung einbrachte, wenn man noch vor Kurzem auf diese “Gastgeschenke” der Noch-nicht-länger-hier-Lebenden hinwies. Und nun ist ein Virus auf einmal so wichtig, dass er zum Vorwand zur finalen Entmündigung der Bürger wird. Ich bettele nicht darum, an Corona zu erkranken, aber in meinen Augen bewegt sich dieses Lebensrisiko auf einem Level, das man - nüchtern betrachtet - nicht als wirklich außergewöhnlich hoch bewerten sollte. Aber darum geht es doch schon längst nicht mehr.

Paul J. Meier / 11.12.2020

Dafür, dass er keine Erfahrung mit Pandemien hat, bewegt sich Söder aber sehr selbstsicher auf diesem Parkett. Fast wie eine ausgebildeter Pandemiewirt! Södolf der erste seines Namens, König der Coronen, Herrscher über die 16 Bundeslande. Der eiserne Thron scheint in reichbarer Nähe. Winter is coming. Und mich friert es jetzt schon.

Carsten Bertram / 11.12.2020

Sterben in diesem Winterhalbjahr mit Corona wirklich signifikant mehr Menschen (an Corona und nicht mit Corona ! ) als früher in einem normalen Winterhalbjahr mit Grippe gestorben sind ? Das glaube ich noch nicht.  Dazu würde ich gerne mal korrekt ermittelte Zahlen sehen. 600 Tote am Tag, was bedeutet das schon ohne Vergleich ? Und bei Ermittlung der Übersterblichkeit bitte nicht Tote durch die Schutzmaßnahmen dazu zählen ! Als da wären zum Beispiel : Selbstmord, Vereinsamung, nichtbehandelte Krankheiten wie Schlaganfälle, Herzinfarkte, Krebs usw.

Karl Kaiser / 11.12.2020

Also Herr Broder! Sie möchten nicht im geräumigen Maßanzug des Herrn Braun stecken? Sie möchten keine Viertelmillion Steuergeld jedes Jahr erhalten, keine Flugbereitschaft, keine Spesen und Aufwandsentschädigungen ohne Ende? Echt jetzt? Obwohl von Ihnen nur verlangt wird, daß Ihnen der ganze Kram hier scheißegal ist? Sowas.

M.-A. Schneider / 11.12.2020

Ein echter Verfassungsfeind ist inzwischen schon derjenige, der auf den Unterschied zwischen “positiv getestet” und” infiziert” hinweist, und wenn er dann noch an die Abwägung der Maßnahmen und auf die Grundrechte erinnert, wird ihn der Verfassungsschutz vermutlich beobachten lassen.

Karola Sunck / 11.12.2020

Lieber Herr Broder, für mich hört sich ihr Beitrag an, als hätten sie Mitleid mit dem Merkel- Regime und müssten die Regierung in Schutz nehmen, weil sie nicht wissen was sie tun. Ich hoffe nicht Herr Broder, dass Sie sich weichkochen lassen und allmählich die Seiten wechseln. Das wäre fatal für die Regimekritiker hier, wenn Achgut plötzlich nach und nach zum Regierungsbefürworter mutieren würde. Ich hoffe nicht, dass Ihre Einstellung plötzlich in diese Richtung geht. Obwohl hier zur Zeit, noch jeder seine Meinung kundtun kann, was sehr zu begrüßen ist, sollte Achgut doch den Kritikern vorbehalten werden. Für Regime freundliche Bürger gibt es genug Möglichkeiten ihre Beiträge woanders zu veröffentlichen, um ihre vorbildliche Haltung dabei auszudrücken. Mitgefühl für Merkel und Co, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dazu hat diese Person zu viel Scherbenhaufen in diesem Lande produziert und wird riesige Scherbenhaufen hinterlassen, die die Bürger zukünftig unter großen Entbehrungen wegkehren müssen! Also ihr Mitgefühl mit dieser Regierung ist absolut nicht angebracht. Im Gegenteil, man sollte Mitgefühl mit der Bevölkerung aufbringen, besonders für die Kritiker des Regimes, die hier einen gewissen Durchblick haben und trotzdem nichts gegen das schädliche Wirken dieser absolut schlechten Regierung, gegen hiesiges Land und Leute, ausrichten können. Herr Broder, hoffentlich fallen sie nicht auf die Inszenierung der Merkel herein, wie sie verzweifelt um strengste Maßnahmen der Landesfürsten gegen die Bevölkerung bittet und sich dabei ein Paar Tränen aus den Augen drückt. Alles nur ein Täuschungsmanöver um ihren Willen zu bekommen. Kinderkram und grandiose Schauspielerei. Kennen wir doch von Ihr. Denken Sie bitte mal darüber nach!

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