“Mit dieser extrem fragwürdigen und international kritisierten Begründung hatte das EGMR nicht nur logisch schwach argumentiert, sondern den wissenschaftlichen Konsens unter Historikern weitgehend ignoriert und den politischen Einfluss der Türkei auf Drittstaaten schlicht ignoriert.” Das ist der entscheidende Satz. Statt sich an wissenschaftlichen Kriterien zu orientieren, hat das Gericht die Frage gestellt “Was sagt die Mehrheit der Staaten?”, also politisch motivierte Entscheidungen in den Vordergrund gestellt - obwohl klar sein sollte, dass gerade letztere von der historischen Wahrheit weit entfernt sein können, weil sie sich aus nationalen Interessen ergeben. Anders ausgedrückt: Hätte Deutschland sich, wie die Türkei, strikt geweigert, den Holocaust als Faktum anzuerkennen (natürlich den hypothetischen Fall voraussetzend, dass es dazu politisch in der Lage gewesen wäre) und hätte seinen Einfluss auf andere Staaten ausgeübt, damit diese das ebenfalls nicht tun - dann hätte auch hier das Gericht nach seiner Logik argumentieren können: “Holocaust leugnen ist Teil der Meinungsfreiheit, da ja viele Staaten der Welt ihn gar nicht anerkennen”. Das Gericht interessiert sich nicht für das Urteil, zu dem die übergroße Mehrheit der Historiker kommt. Es interessiert sich lediglich für die Haltung, die aus politischem Opportunismus erwächst, und gibt diese als legitime und für ein Gerichtsurteil relevante Position aus.
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