Gastautor / 14.03.2014 / 07:48 / 1 / Seite ausdrucken

Die Schweiz geht in die Revision

Adem Dolas

Das Schweizer Bundesamt für Justiz strebt eine Revision in dem Verfahren Perincek gegen Schweiz (Antragsnummer 27510/08) vor der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg an. Perincek, Jurist und Vorsitzender der türkischen Arbeiterpartei, hatte 2005 auf mehreren Kundgebungen in der Schweiz den Genozid an Armeniern als eine ,,internationale Lüge“ bezeichnet. Und: Er würde seine Meinung auch durch Anerkennung einer unabhängigen Historikerkommission nicht ändern.

Nach geltendem schweizerischem Recht, das die Leugnung des armenischen Genozids sowie des Holocaust an den Juden unter die Rassismus-Strafnorm stellt, wurde Perincek angeklagt und zu einer Geldstrafe verurteilt. Am 17. Dezember 2013 jedoch entschied der ECHR in erster Instanz, dass die Verurteilung Perinceks durch die Schweiz unrechtmäßig sei und eine Verletzung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung darstelle.

In seiner Begründung hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zunächst die Einstufung der Massaker an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges als Völkermord offen gelassen. Historische Forschung, so das Gericht, sei per definitionem ohne Anspruch auf endgültige Urteile oder absolute Wahrheiten. Zudem hätten weltweit lediglich 23 von 190 Staaten den Genozid an Armeniern anerkannt. Im Falle des Holocaust an den Juden jedoch sei die Sachlage anders; hier habe ein internationales Gericht die Fakten bestätigt.

Mit dieser extrem fragwürdigen und international kritisierten Begründung hatte das EGMR nicht nur logisch schwach argumentiert, sondern den wissenschaftlichen Konsens unter Historikern weitgehend ignoriert und den politischen Einfluss der Türkei auf Drittstaaten schlicht ignoriert. Praktisch bedeutete das Urteil, dass die Leugnung des Armenischen Völkermordes explizit erlaubt wurde - während die Leugnung des Holocaust verboten blieb.

Das Schweizer Justizministerium entspricht mit seiner Revision nunmehr vielen seit dem ECHR-Urteil veröffentlichten Petitionen sowie Protesten internationaler Intellektueller. Das Urteil war in den Augen der Opfer unerträglich. Es relativierte einen Völkermord gegen einen anderen.

Die Schweiz zeigt mit dieser Entscheidung Rückgrat und Verständnis für die Leiden der armenischer Opfer des Völkermordes von 1915 und ihrer Nachkommen.

Die Geschichte kennt keine Moral. Sie würdigt jedoch einen langen Atem.

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Thomas Baader / 14.03.2014

“Mit dieser extrem fragwürdigen und international kritisierten Begründung hatte das EGMR nicht nur logisch schwach argumentiert, sondern den wissenschaftlichen Konsens unter Historikern weitgehend ignoriert und den politischen Einfluss der Türkei auf Drittstaaten schlicht ignoriert.” Das ist der entscheidende Satz. Statt sich an wissenschaftlichen Kriterien zu orientieren, hat das Gericht die Frage gestellt “Was sagt die Mehrheit der Staaten?”, also politisch motivierte Entscheidungen in den Vordergrund gestellt - obwohl klar sein sollte, dass gerade letztere von der historischen Wahrheit weit entfernt sein können, weil sie sich aus nationalen Interessen ergeben. Anders ausgedrückt: Hätte Deutschland sich, wie die Türkei, strikt geweigert, den Holocaust als Faktum anzuerkennen (natürlich den hypothetischen Fall voraussetzend, dass es dazu politisch in der Lage gewesen wäre) und hätte seinen Einfluss auf andere Staaten ausgeübt, damit diese das ebenfalls nicht tun - dann hätte auch hier das Gericht nach seiner Logik argumentieren können: “Holocaust leugnen ist Teil der Meinungsfreiheit, da ja viele Staaten der Welt ihn gar nicht anerkennen”. Das Gericht interessiert sich nicht für das Urteil, zu dem die übergroße Mehrheit der Historiker kommt. Es interessiert sich lediglich für die Haltung, die aus politischem Opportunismus erwächst, und gibt diese als legitime und für ein Gerichtsurteil relevante Position aus.

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