Gastautor / 23.12.2011 / 23:28 / 0 / Seite ausdrucken

Der Völkermord an den Armeniern ist etwas, was die Türken den Armeniern niemals verzeihen werden

Thomas Baader

Wie man zuletzt in Paris sehen konnte, gibt es etwas, das türkischstämmige Europäer in vierstelliger Zahl empört auf die Straße treibt. Nein, es ist kein Ehrenmord. Auch zeigt die Community bislang keinerlei Bestrebungen, ein sichtbares Zeichen gegen die große Anzahl der Zwangsehen zu setzen. Noch nicht einmal die rassistische Neonazi-Mordserie hat es vermocht, derart viele türkischstämmige Menschen zu mobilisieren.

Der gute Ruf geht über alles. Er ist wichtiger als Menschenleben. Das zumindest ist das Signal, das die türkischstämmige Community in Frankreich durch ihr Demonstrationsverhalten derzeit ihren Mitmenschen gibt. Die Türkei selbst steht hierbei natürlich nicht zurück, und auch türkischstämmige Migranten in Deutschland scheuen leider ofmtals nicht vor plumper, rassistisch-nationalistisch gefärbter Genozidleugnung zurück.

Der Schreiber dieser Zeilen möchte darauf hinweisen, dass er im Falle des Srebrenica-Massakers alle Versuche, die es von Serben und auch von Deutschen gegeben hat, den Genozid an den jugoslawischen Muslimen zu verharmlosen, zu relativieren oder als nicht-existent zu erklären, stets mit Nachdruck zurückgewiesen hat. Das Verhalten, das dort von vielen Serben gezeigt wird, spiegelt sich im Verhalten vieler Türken bezüglich der armenischen Tragödie wieder. Bemerkt denn keiner der Leugner die offensichtlichen Parallelen? In beiden Fällen geht es um das Reinwaschen der eigenen Weste. Es ist, als wolle man sagen: Wir doch nicht! Andere schon… aber doch nicht bei uns! Die deutsche Spielart, die Auschwitzleugnung, kommt hierbei sofort in den Sinn. Sie ist verbreitet, aber im Gegensatz zu den türkischen und serbischen Lügen gesellschaftlich geächtet.

Und so erleben wir, dass Vertreter der Türkei dieser Tage von einer Einschränkung der Meinungsfreiheit faseln, wenn Frankreich die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern unter Strafe stellt. Dies ist dieselbe Türkei, die es unter Strafe stellt, wenn man den Völkermord an den Armeniern zu dem erklärt, was er ist: historische Wahrheit. Dass man in Ankara in dem eigenen Verhalten keine Einschränkung der Meinungsfreiheit sehen will, zeigt die Heuchelei, zu der Erdogan & Co fähig sind.

Was geht in Menschen vor, die - zu Recht und verständlicherweise - geschockt auf eine rassistisch motivierte Mordserie in Deutschland reagieren, aber noch nicht einmal den Ansatz eines Mitgefühls aufbringen können, sobald Hunderttausende von Toten einer anderen Ethnie angehören als der eigenen? In sämtlichen Internetforen und Kommentarbereichen großer Zeitungen sind dieser Tage türksichstämmige Nutzer aktiv, die nur eine Sorge umtreibt: die um den eigenen guten Ruf. Hier ist derselbe Mechanismus am Werke, der sich auch bei dem Phänomen der Ehrenmorde zeigt: ein Denken, bei dem das Ansehen alles, das Menschenleben nichts ist. Die Forennutzer erweisen sich hierei als gleichermaßen wirr wie ausfällig: So ist die Rede davon, dass Frankreich sich für seine Niederlage gegen das Osmanische Reich im Ersten Weltkrieg rächen wolle (hä?), dass man sich nun im Kalten Krieg mit Frankreich befinde und die Franzosen die Folgen schon noch spüren würden, und dass das Ganze nie passiert wäre, aber die Armenier es ja sowie verdient hätten. Fazit: Der Chip ist drin.

Blinder Nationalismus nimmt dabei oft größenwahnsinnige Formen an: Frankreich wolle einen “mächtigen wirtschaftlichen Konkurrenten” (der in Wahrheit noch hinter den kleinen Niederlanden rangiert) ausschalten. Immer wieder vorgebracht, auch von deutschen Kommentatoren, wird die Behauptung, dass Sarkozy ja nur nach den Wählerstimmen der armenischstämmigen Franzosen fische. Um die Dimensionen wieder zurecht zu rücken: Die Franzosen mit armenischen Wurzeln machen gerade mal 0,8% der Gesamtbevölkerung aus.

Erdogan erweist sich hierbei wieder einmal als aggressiver Nationalist reinsten Wassers: Er führt einen erpresserischen Tonfall in die Debatte ein, fordert die Franzosen auf, ihre eigene “dreckige” Geschichte aufzuarbeiten (als ob es in Frankreich nicht zahlreiche Bücher und Debatten gäbe, die sich kritisch mit dem Algerienkrieg und dem Kolonialismus auseinandersetzen). Als Diplomat und Politiker ist Erdogan ein Dilettant. Sein Auftreten auf der internationalen Bühne ist nicht aus dieser Zeit, sondern passt in die Kanonenbootpolitik vergangener Epochen.

Diskussionen wie diese lassen sich glücklicherweise nicht abwürgen. In diesem Sinne könnte man tatsächlich der Türkei zurufen: Willkommen in Europa! Ja, das ist es, was es bedeuten wird, Mitglied der Europäischen Union zu sein: der kritische Umgang mit sich selbst, der eigenen Geschichte und der eigenen Mentalität. Sollte die Türkei diese Probe nicht bestehen, dann wäre sie selbst es, die ihre Europauntauglichkeit erklärt hätte.


Siehe auch:
“Der Vorwurf, die osmanische Regierung habe 1915 die Armenier als Volk auslöschen wollen, trifft deshalb gleich mehrere empfindliche Nerven der modernen Türkei. Einige Gründerväter der Republik waren im Ersten Weltkrieg in die Massaker an den Armeniern verwickelt. Mehrere Männer, die bei der Befreiung Anatoliens von der Besatzung der Weltkriegs-Siegermächte zwischen 1918 und 1923 mitwirkten, wurden als mutmaßliche Drahtzieher von Massakern gegen die Armenier gesucht. Wenn der moderne türkische Staat dies als Tatsache akzeptiert, bringt er die bisherige Vorstellung von der ‘sauberen’ Nation zum Einsturz. Das Armenier-Thema ist laut Neumann ‘eine Frage der türkischen Identität geworden’.”
http://www.tagesspiegel.de/politik/massaker-an-armeniern-leugnen-wegen-der-staatsehre/5989510.html
http://menschenrechtsfundamentalisten.de/page8.php?post=783

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