Peter Grimm / 29.05.2023 / 08:00 / Foto: Shehbaz Sharif / 46 / Seite ausdrucken

Der teure Sieg des Sultans

Recep Tayyip Erdogan hat sich wieder einen Wahlsieg bei der Präsidentenwahl organisiert. Sein Land steckt zwar in der Krise, doch insbesondere Deutschland ist mit der Migration erpressbar, und der Westen insgesamt neigt angesichts der Schaukelpolitik des „NATO-Verbündeten“ gegenüber Russland und islamistischen Machthabern zu einem teuren Kuschelkurs. 

Wenn in einem Staat gewählt wird, in dem Oppositionspolitiker und kritische Journalisten im Gefängnis sitzen, stehen die Chancen von vornherein schlecht, dass am Ende ein ausgezähltes Wahlergebnis steht, mit dem es zu einem Machtwechsel kommen könnte. Trotz Wirtschaftskrise und Inflation: Wie wahrscheinlich ist die Abwahl eines Machthabers, der kritische Medien weitgehend abgewürgt und die Medienlandschaft größtenteils im Griff hat? Wenn die Bürger zudem bei öffentlichen regierungskritischen Äußerungen Strafen fürchten müssen, dann gibt es keine faire Wahl. Auch dann nicht, wenn die Stimmen tatsächlich überall korrekt ausgezählt worden sein sollten, ohne jegliche Manipulationen. 

Angesichts dieser Rahmenbedingungen ist das offizielle Ergebnis der Präsidenten-Stichwahl von nur 52,14 Prozent der Stimmen für Erdogan gegen die 47,86 Prozent seines Herausforderers Kemal Kilicdaroglu alles andere als ein überragender Sieg. Passend zu diesem Wahl-Klima war vielleicht die folgende Nachricht, die die deutschen Medienkonsumenten nur 28 Minuten nach Schließung der Wahllokale erreichte:

"Die Staatsanwaltschaft Istanbul hat Haftbefehle gegen die Betreiber von Erdogan-kritischen Twitter-Accounts erlassen. Darunter befinden sich reichweitenstarke Accounts wie Haber Report (687.000 Follower), DarkWeb Haber und Solcu Gazet (beide rund eine Million Follower). Grund dafür seien ‚Falschmeldungen‘, die die öffentliche Ordnung störten."

Diese wenig hoffnungsvolle kleine Meldung zum Wahlabschluss unterstreicht Erdogans Worte in seinen Siegesansprachen. "Wir werden keine Zugeständnisse bezüglich unserer Ziele machen", sagte er zu seinen Anhängern. Andere Meldungen zitieren einen Satz, den er schon öfter in Reden gesagt haben soll: „Wir werden bis zum Grab zusammen sein.“

„Das unfairste Wahlverfahren der letzten Jahre“

Für alle, die nicht zur Anhängerschaft Erdogans gehören, dürfte das wie eine Drohung klingen. Seine Gefolgschaft in der Regierungspartei AKP aber feierte – manchmal auf ganz eigene Weise, wie am Sonntagabend auch gemeldet wurde:

„Offenbar wurde ein Mitglied von Kilicdaroglus CHP auf einer Feier von AKP-Anhängern in Ordu ermordet, wie der Twitter-Account Solcu Gazete berichtet. Der stellvertretende Vorsitzende der CHP Cemil Enginyurt bestätigte dies."

Der knapp gescheiterte Oppositionskandidat Kemal Kilicdaroglu hat in einer Pressekonferenz Erdogans Sieg zwar anerkannt, aber klargestellt: „Wir haben das unfairste Wahlverfahren der letzten Jahre erlebt. Alle staatlichen Einrichtungen wurden für eine politische Partei mobilisiert. Bei dieser Wahl hat sich der Wille des Volkes, die autoritäre Herrschaft abzuwählen, dennoch trotz allen Drucks offenbart“.

Der inhaftierte ehemalige Vorsitzende der prokurdischen HDP, Selahattin Demirtas, der zur Wahl Kilicdaroglus aufgerufen hatte, meldete sich aus dem Gefängnis: „Es ist ein Wunder, dass wir diese Wahlergebnisse mit prinzipientreuer, ethischer Wahlarbeit gegen eine riesige operative Kraft, die den Staat übernommen hat, erreicht haben. In Wirklichkeit gab es keine Wahl, sondern eine große Operation."

Für Erdogan zählt nur das Ergebnis, und das lässt ihn weiterregieren. Und aus aller Welt erreichten ihn gestern Abend die passenden Glückwünsche dazu, die diesem Wahlsieg noch etwas mehr Legitimation verleihen. Vielleicht ist das nicht unbedingt bei solchen Gratulanten wie den in Afghanistan herrschenden islamistischen Taliban der Fall. Aber der "Regierungschef" der Taliban, Mullah Mohammed Hassan Achund, gehörte zu den ersten, die Erdogan gratulierten. Achund erklärte, er hoffe auf eine Fortsetzung „freundlicher Beziehungen“ mit der Türkei. Noch sind die Taliban bekanntlich von keinem Staat als afghanische Regierung anerkannt, aber sie scheinen sich an dieser Stelle Unterstützung vom wiedergewählten türkischen Präsidenten zu erhoffen. 

„Mit Präsident Erdogan werden wir weiter voranschreiten“

Auch Russlands Präsident Wladimir Putin beeilte sich mit Glückwünschen und erklärte, der Wahlsieg demonstriere die Unterstützung des türkischen Volkes für den Kurs „nationaler Souveränität und unabhängiger Außenpolitik". Für ihn ist Erdogans Weiterregieren in jedem Falle eine gute Nachricht. Der alte und neue türkische Herrscher mit seiner Schaukelpolitik zwischen Moskau und dem Westen, mit dem er eigentlich über die NATO verbündet ist, ist ein wichtiger Partner des Kreml, insbesondere bei der Umgehung westlicher Sanktionen. 

Zu diesen frühen internationalen Gratulanten von zweifelhaftem Ruf gesellten sich natürlich auch all jene mit aktuell besserem Ansehen auf der weltpolitischen Bühne, die Erdogans Sieg mit ihren Glückwünschen anerkannten, wie der ukrainische Präsident Selenskyj oder Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron. Letzterer habe auf Twitter geschrieben: „Mit Präsident Erdogan, dem ich zu seiner Wiederwahl gratuliere, werden wir weiter voranschreiten.“

In diesem Reigen darf natürlich auch Bundeskanzler Olaf Scholz nicht fehlen. „Gratulation an Präsident Erdogan zur Wiederwahl“, habe Scholz nach Medienberichten auf Twitter erklärt: „Nun wollen wir unsere gemeinsamen Themen mit frischem Elan vorantreiben.“ 

"Gemeinsame Themen" gibt es natürlich einige. Beispielsweise die Migration. Während Deutschlands Regierung die Verlockungen einer illegalen Einreise, bei der nach anschließendem Asylantrag die materielle Versorgung de facto garantiert ist, nicht einschränken will, lässt sich Erdogan bekanntlich dafür bezahlen, Millionen Migranten nicht weiter in die EU zu schicken. Insofern wird der Wahlerfolg Erdogans auch teuer für die EU und Deutschland.

Mehr Einfluss auf deutsche Wahlen?

"Frischen Elan" zeigten auch Erdogans Anhänger in Deutschland. 67,4 Prozent der in Deutschland lebenden türkischen Wähler sollen für ihn gestimmt haben. Und diesen Sieg feierten sie am Sonntagabend selbstverständlich auch. Medien berichteten über Autokorsos und feiernde Umzüge in Duisburg, Essen, München und Berlin. 

1,5 Millionen Türken in Deutschland sollen wahlberechtigt gewesen sein. Warum man es nun all denen, die sich berufen fühlen, in Deutschland über den türkischen Präsidenten abzustimmen, erleichtern muss, deutsche Zweitpässe zu bekommen, ist schwer erklärbar. Insbesondere mit Blick auf die Erdogan-Wähler. Soll Erdogan deutsche Politiker noch leichter damit unter Druck setzen können, dass er auch Einfluss auf viele Wahlberechtigte bei deutschen Wahlen hat?

Der Möchtegern-Sultan hat wieder einmal gesiegt. Die Hoffnung auf eine demokratische Entwicklung der Türkei hat sich nicht erfüllt. Und es gibt auch kaum Hoffnung, dass sich der Westen nun bemühen würde, den alten und neuen Machthaber vielleicht in die Schranken zu weisen und zu einer demokratischeren Entwicklung zu drängen. Es wird leider bei dem äußerst rücksichtsvollen Kurs mit Geld und guten Worten bleiben. 

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Wiebke Ruschewski / 29.05.2023

@J. Henn. Ich stimme Ihnen zu. Bei uns sieht es ähnlich aus. Nur haben wir noch nicht einmal eine vernünftige Alternative, die man guten Gewissens wählen könnte. Das ist leider wirklich so. Traurig aber wahr: Für manche muss es erst richtig knüppeldicke kommen, ehe sie begreifen. Tja, selbst schuld würde ich sagen! Aber jene die etwas heller sind, müssen leider erst einmal mitleiden. Oder sogar besonderds leiden. Die Dumpfbacken leiden selbst nicht so sehr an der selbst verschuldeten Misere. Und das ist die eigentliche Tragödie.

Angelika Meier / 29.05.2023

“in dem Oppositionspolitiker und kritische Journalisten im Gefängnis sitzen”: Ich sehe das mittlerweile pragmatisch. Wer die Macht in einem Land hat, hat die Macht. Ob nun durch Wahl oder Putsch oder wegen der Vorsehung, ist egal. Und ob die Wahl oder der Putsch legal waren, wer will das entscheiden? Wenn das Land klein ist, können es die größeren vielleicht mobben und zu “demokratischen” Entscheidungen zwingen. Ist das Land größer, geht das nicht mehr so leicht. Auch bei uns glaube ich nicht, dass ein Wahlsieg der AfD zugelassen würde. Ich glaube an die Macht. Und Wahlen, Rechtsstaat, Völkerrecht, ... ist nur dazu da, es besser zu verkaufen.

Wilfried Düring / 29.05.2023

Mischpoke-Cem (’Özdemir’) auf twitter: ‘... Die Autokorsos (der feiernden Erdogan-Wähler; WD) sind keine Feiern harmloser Anhänger eines etwas autoritären Politikers. Sie sind eine nicht zu überhörende Absage an unsere pluralistische Demokratie und Zeugnis unseres Scheiterns unter ihnen. Übersehen geht nicht mehr. ...’. Ja, ja - wie hieß es doch in der Diekmann-Doktrin, benannt nach der ZDF-Korrespondeuse Nicole Diekmann: ‘NAZI ist - wer nicht gruen wählt!’. Angeblich sollte das Satire sein! Aber es ist keine Satire - das dankeswerterweise offenherzige ‘Denken’ des gruenen Herrn Minister zeigt: Es ist BLUTIGER ERNST! Ein gütiger Gott behüte uns vor der totalen gruenen Machtergreifung und den dann folgenden Fackelzügen der Klima-Terroristen und ihrer Vorfeld-Organisationen. Feiernde Türken in umweltschädlichen Diesel-Autos werden uns dann - wie Sandkastenspiele vorkommen! 

T. Schneegaß / 29.05.2023

@Wilfried Düring: Es ist ganz einfach: Herr Grimm möchte darauf verweisen, dass D das politische Paradies auf Erden ist, in dem sich niemand einen Wahlsieg organisieren muss und oppositionelle Politiker und Journalisten allein schon deshalb nicht im Gefängnis sitzen, weil es die gar nicht gibt und im Paradies auch nicht nötig sind. Deshalb stehen die Chancen von vornherein gut, dass am Ende jeder Wahl ein ausgezähltes Wahlergebnis steht, mit dem es zu keinem Machtwechsel kommen kann. Wir Achse-Leser wissen ja, dass Herr Grimm gar nicht so denkt, warum er so schreibt, kann er nur selbst beantworten. Vielleicht fürchtet er sich doch vor dem Vorwurf der Delegitimierung des Paradieses und einem Hubschrauberflug nach Karlsruhe.

J.Henn / 29.05.2023

Beim Lesen ihres Artikels ist mir (doch schon leider sehr früh) aufgefallen: Das ist unsere Bundesrepublik, die sie hier beschreiben. Mit dem kleinen Unterschied: Wir haben keinen Oppositionspolitiker, der uns tatsächlich zur Wahl stehen könnte.  Es wird immer trauriger…

Karsten Dörre / 29.05.2023

“Die Hoffnung auf eine demokratische Entwicklung der Türkei hat sich nicht erfüllt.” - Wann schreiben deutsche Journalisten und deutsche Kommentatoren sowas Ähnliches für z.B. China, Nordkorea oder Kuba? Wäre mit einem Wahlsieg von Kilicdaroglu von 51 Prozent die Türkei schöner, besser und sicherer? Die Mehrheit der Türken will keinen eigenständigen Staat Kurdistan oder Verhältnisse, wie in z.B. Deutschland, wo die energetische und verkehrspolitische Infrastruktur von innen vom Staat angegriffen wird. So gesehen sind u.a. die türkischen Wähler in Deutschland für AKP und Erdogan konservativ nüchtern.

Wolf Hagen / 29.05.2023

Türken-Wahlberichterstattung wochenlang auf allen Sendern und in jedem Medium?! Was soll das Theater?! Mir ist egal, wer in der Türkei das Sagen hat, viel wichtiger wäre es die Folgen und Auswüchse einer völlig verfehlten Einwanderungspolitik wieder gerade zu rücken. Weg mit der doppelten Staatsbürgerschaft, entweder deutsch, oder türkisch. Und alle rauswerfen, die keinen sozialversicherungspflichtigen Job haben und zwar mit Kind und Kegel. Schluss mit Wahlen für Ausländer in Deutschland und all den Extrawürsten. All diesen Quatsch gibt es in anderen Ländern auch nicht für Deutsche. Wir haben lange genug die ganze Welt alimentiert, mit dem Ergebnis der höchsten Steuern weltweit, einem mittlerweile unterirdischem Bildungsniveau und einem massiv niedrigen Rentenniveau, während die Ausländer sich hier eine Dreistigkeit nach der anderen rausnehmen, statt sich zu integrieren, die Deutschen nicht respektieren, sondern im Gegenteil offen auslachen. Und am Ende wird man noch als “Rassist”, oder “Nazi” beschimpft, wenn man diese Zustände kritisiert.

Sabine Schönfeld / 29.05.2023

„Wir haben das unfairste Wahlverfahren der letzten Jahre erlebt. Alle staatlichen Einrichtungen wurden für eine politische Partei mobilisiert. Bei dieser Wahl hat sich der Wille des Volkes, die autoritäre Herrschaft abzuwählen, dennoch trotz allen Drucks offenbart“.  Wenn ich an den Umgang mit der AfD in Deutschland denke - die Ausgrenzung in den Parlamenten, die Angriffe auf die Abgeordneten, dazu auf der einen Seite das Totschweigen, auf der anderen Seite das Niederschreiben durch die meisten Medien, dann frage ich mich, wie weit wir hier eigentlich noch von dieser Türkei entfernt sind. Aber möglicherweise haben wir sie ja auch schon überholt - s. u.a. den Mordversuch auf den künftigen Kreistagsabgeordneten Bent Lund, der an diesem Vatertag von einer Migrantengang erst mit dem Motorrad von der Straße abgedrängt worden war, dann vor der eigenen Haustür von den einen festgehalten wurde und ein anderer stach auf ihn ein - ein Messerstich verfehlte knapp das Herz. Und viele Medien berichteten überhaupt nicht darüber, was in einer Demokratie eigentlich schon unmöglich (!) sein sollte. Totalitarismus findet offenbar regelmäßig dann statt, wenn - euphemistisch gesagt - geistig nicht eben herausragende Religiöse respektive fanatische Ideologen, die aber von ihrer Mission überzeugt sind, die Wahrheit als ihren ureigensten Besitz sehen. Dann erklärt man die politischen Gegner zu Unmenschen, zu Nichtmenschen, zu Untermenschen und dann “darf” man diese unterdrücken, drangsalieren und missachten und am Ende sogar töten. Das Schema ist immer das Gleiche, es ist das urfaschistische Schema und tatsächlich das genaue Gegenteil von Demokratie.

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