Recep Tayyip Erdogan hat sich wieder einen Wahlsieg bei der Präsidentenwahl organisiert. Sein Land steckt zwar in der Krise, doch insbesondere Deutschland ist mit der Migration erpressbar, und der Westen insgesamt neigt angesichts der Schaukelpolitik des „NATO-Verbündeten“ gegenüber Russland und islamistischen Machthabern zu einem teuren Kuschelkurs.
Wenn in einem Staat gewählt wird, in dem Oppositionspolitiker und kritische Journalisten im Gefängnis sitzen, stehen die Chancen von vornherein schlecht, dass am Ende ein ausgezähltes Wahlergebnis steht, mit dem es zu einem Machtwechsel kommen könnte. Trotz Wirtschaftskrise und Inflation: Wie wahrscheinlich ist die Abwahl eines Machthabers, der kritische Medien weitgehend abgewürgt und die Medienlandschaft größtenteils im Griff hat? Wenn die Bürger zudem bei öffentlichen regierungskritischen Äußerungen Strafen fürchten müssen, dann gibt es keine faire Wahl. Auch dann nicht, wenn die Stimmen tatsächlich überall korrekt ausgezählt worden sein sollten, ohne jegliche Manipulationen.
Angesichts dieser Rahmenbedingungen ist das offizielle Ergebnis der Präsidenten-Stichwahl von nur 52,14 Prozent der Stimmen für Erdogan gegen die 47,86 Prozent seines Herausforderers Kemal Kilicdaroglu alles andere als ein überragender Sieg. Passend zu diesem Wahl-Klima war vielleicht die folgende Nachricht, die die deutschen Medienkonsumenten nur 28 Minuten nach Schließung der Wahllokale erreichte:
"Die Staatsanwaltschaft Istanbul hat Haftbefehle gegen die Betreiber von Erdogan-kritischen Twitter-Accounts erlassen. Darunter befinden sich reichweitenstarke Accounts wie Haber Report (687.000 Follower), DarkWeb Haber und Solcu Gazet (beide rund eine Million Follower). Grund dafür seien ‚Falschmeldungen‘, die die öffentliche Ordnung störten."
Diese wenig hoffnungsvolle kleine Meldung zum Wahlabschluss unterstreicht Erdogans Worte in seinen Siegesansprachen. "Wir werden keine Zugeständnisse bezüglich unserer Ziele machen", sagte er zu seinen Anhängern. Andere Meldungen zitieren einen Satz, den er schon öfter in Reden gesagt haben soll: „Wir werden bis zum Grab zusammen sein.“
„Das unfairste Wahlverfahren der letzten Jahre“
Für alle, die nicht zur Anhängerschaft Erdogans gehören, dürfte das wie eine Drohung klingen. Seine Gefolgschaft in der Regierungspartei AKP aber feierte – manchmal auf ganz eigene Weise, wie am Sonntagabend auch gemeldet wurde:
„Offenbar wurde ein Mitglied von Kilicdaroglus CHP auf einer Feier von AKP-Anhängern in Ordu ermordet, wie der Twitter-Account Solcu Gazete berichtet. Der stellvertretende Vorsitzende der CHP Cemil Enginyurt bestätigte dies."
Der knapp gescheiterte Oppositionskandidat Kemal Kilicdaroglu hat in einer Pressekonferenz Erdogans Sieg zwar anerkannt, aber klargestellt: „Wir haben das unfairste Wahlverfahren der letzten Jahre erlebt. Alle staatlichen Einrichtungen wurden für eine politische Partei mobilisiert. Bei dieser Wahl hat sich der Wille des Volkes, die autoritäre Herrschaft abzuwählen, dennoch trotz allen Drucks offenbart“.
Der inhaftierte ehemalige Vorsitzende der prokurdischen HDP, Selahattin Demirtas, der zur Wahl Kilicdaroglus aufgerufen hatte, meldete sich aus dem Gefängnis: „Es ist ein Wunder, dass wir diese Wahlergebnisse mit prinzipientreuer, ethischer Wahlarbeit gegen eine riesige operative Kraft, die den Staat übernommen hat, erreicht haben. In Wirklichkeit gab es keine Wahl, sondern eine große Operation."
Für Erdogan zählt nur das Ergebnis, und das lässt ihn weiterregieren. Und aus aller Welt erreichten ihn gestern Abend die passenden Glückwünsche dazu, die diesem Wahlsieg noch etwas mehr Legitimation verleihen. Vielleicht ist das nicht unbedingt bei solchen Gratulanten wie den in Afghanistan herrschenden islamistischen Taliban der Fall. Aber der "Regierungschef" der Taliban, Mullah Mohammed Hassan Achund, gehörte zu den ersten, die Erdogan gratulierten. Achund erklärte, er hoffe auf eine Fortsetzung „freundlicher Beziehungen“ mit der Türkei. Noch sind die Taliban bekanntlich von keinem Staat als afghanische Regierung anerkannt, aber sie scheinen sich an dieser Stelle Unterstützung vom wiedergewählten türkischen Präsidenten zu erhoffen.
„Mit Präsident Erdogan werden wir weiter voranschreiten“
Auch Russlands Präsident Wladimir Putin beeilte sich mit Glückwünschen und erklärte, der Wahlsieg demonstriere die Unterstützung des türkischen Volkes für den Kurs „nationaler Souveränität und unabhängiger Außenpolitik". Für ihn ist Erdogans Weiterregieren in jedem Falle eine gute Nachricht. Der alte und neue türkische Herrscher mit seiner Schaukelpolitik zwischen Moskau und dem Westen, mit dem er eigentlich über die NATO verbündet ist, ist ein wichtiger Partner des Kreml, insbesondere bei der Umgehung westlicher Sanktionen.
Zu diesen frühen internationalen Gratulanten von zweifelhaftem Ruf gesellten sich natürlich auch all jene mit aktuell besserem Ansehen auf der weltpolitischen Bühne, die Erdogans Sieg mit ihren Glückwünschen anerkannten, wie der ukrainische Präsident Selenskyj oder Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron. Letzterer habe auf Twitter geschrieben: „Mit Präsident Erdogan, dem ich zu seiner Wiederwahl gratuliere, werden wir weiter voranschreiten.“
In diesem Reigen darf natürlich auch Bundeskanzler Olaf Scholz nicht fehlen. „Gratulation an Präsident Erdogan zur Wiederwahl“, habe Scholz nach Medienberichten auf Twitter erklärt: „Nun wollen wir unsere gemeinsamen Themen mit frischem Elan vorantreiben.“
"Gemeinsame Themen" gibt es natürlich einige. Beispielsweise die Migration. Während Deutschlands Regierung die Verlockungen einer illegalen Einreise, bei der nach anschließendem Asylantrag die materielle Versorgung de facto garantiert ist, nicht einschränken will, lässt sich Erdogan bekanntlich dafür bezahlen, Millionen Migranten nicht weiter in die EU zu schicken. Insofern wird der Wahlerfolg Erdogans auch teuer für die EU und Deutschland.
Mehr Einfluss auf deutsche Wahlen?
"Frischen Elan" zeigten auch Erdogans Anhänger in Deutschland. 67,4 Prozent der in Deutschland lebenden türkischen Wähler sollen für ihn gestimmt haben. Und diesen Sieg feierten sie am Sonntagabend selbstverständlich auch. Medien berichteten über Autokorsos und feiernde Umzüge in Duisburg, Essen, München und Berlin.
1,5 Millionen Türken in Deutschland sollen wahlberechtigt gewesen sein. Warum man es nun all denen, die sich berufen fühlen, in Deutschland über den türkischen Präsidenten abzustimmen, erleichtern muss, deutsche Zweitpässe zu bekommen, ist schwer erklärbar. Insbesondere mit Blick auf die Erdogan-Wähler. Soll Erdogan deutsche Politiker noch leichter damit unter Druck setzen können, dass er auch Einfluss auf viele Wahlberechtigte bei deutschen Wahlen hat?
Der Möchtegern-Sultan hat wieder einmal gesiegt. Die Hoffnung auf eine demokratische Entwicklung der Türkei hat sich nicht erfüllt. Und es gibt auch kaum Hoffnung, dass sich der Westen nun bemühen würde, den alten und neuen Machthaber vielleicht in die Schranken zu weisen und zu einer demokratischeren Entwicklung zu drängen. Es wird leider bei dem äußerst rücksichtsvollen Kurs mit Geld und guten Worten bleiben.