Dirk Maxeiner / 21.07.2019 / 06:04 / Foto: Pixabay / 26 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Mit dem E-Roller nach drüben!

An diesem Wochenende feiert der Mensch 50 Jahre Mondbesuch. Ich wohnte der ursprünglichen Veranstaltung damals vor dem Nordmende-Schwarzweiß-Fernseher meiner Eltern bei, weshalb allerhand Erinnerungen aufsteigen. Der Heimatplanet war auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges zwischen Ost und West. Als junger West-Mensch, hatte man, wie heute auch, zumindest gefühlt links zu sein. Was dann von den jeweiligen Autoritäten mit der Bemerkung quittiert wurde: „Geh doch nach drüben, wenn’s dir hier nicht passt!“. Im Osten wurde Kritik – unter umgekehrten politischen Vorzeichen – bisweilen mit der gleichen Bemerkung unterbunden: „Mach doch rüber!“ Inzwischen kommt der ein wenig eindimensionale Umgang mit Kritik erstaunlicherweise wieder in Mode.

Das Rübermachen war allerdings einfacher gesagt als getan. Und das ist auch heute manchmal so. Erst vergangene Woche kam es am Checkpoint-Charly wieder zu einem dramatischen Zwischenfall. Ein 26-jähriger schwedischer Tourist unternahm mit Hilfe von 2,23 Promille und einem E-Roller den Versuch, die Demarkationslinie zu überschreiten, blieb aber in voller Fahrt an einem Kantstein hängen. Es ist nicht dokumentiert, ob er von Osten nach Westen oder von Westen nach Osten wollte, vielleicht wollte er auch nur ins Jenseits rüber machen. Anschließend versuchte er zu fliehen, konnte aber von Rettungssanitätern eingefangen und schwerverletzt ins Krankenhaus gebracht werden. Früher wurde die Republikflucht im Handschuhfach eines Cadillacs, im zur Festung umgebauten Lastwagen oder mit einem Heißluftballon begangen, heute genügt ein chinesischer E-Roller. Bedauerlicherweise ist beides ungefähr gleich gefährlich. 

E-Roller sind in Berlin die neue ökologische Alternative zum Laufen, weil man weniger Kalorien braucht und der Strom aus der Steckdose kommt. Gute Ideen setzen sich von selbst durch, besonders in Berlin, und deshalb sind die Dinger praktisch überall anzutreffen. Bewohner der Szeneviertel werden sogar körperlich ertüchtigt, weil sie über rumliegende Roller steigen müssen, um aus dem Haus zu kommen oder den Gehweg zu benutzen. Die E-Roller Aficionados umschwärmen den Verkehrsteilnehmer derweil wie die Motten das Licht, egal ob auf dem Bürgersteig oder der Avus. Manche zitternd und kippend, andere schwungvoll auf Wolke sieben, alle aber rot-grün blind. Manche sind auch Kombinationsweltmeister – schwungsvoll und blind auf Wolke sieben zitternd.

In einem permanenten Vorunfall-Stadium

Der Betrachter des Geschehens ist stets ein wenig nervös, weil der typische E-Rollerfahrer sich gewissermaßen strauchelnd fortbewegt, sich also in einem permanenten Vorunfall-Stadium befindet, ganz ähnlich übrigens der deutschen Verkehrs- und Energiepolitik. Ein Hinweis auf die Risiken des Rollerfahrens gibt übrigens eine Google-Suche. Wer „Die Physik des Rollerfahrens“ in die Suchmaschine eingibt, erhält unter anderem als Ergebnis: „Die Physik des Scheiterns“ und „Die Physik des Unmöglichen“.

Mangels sachdienlicher Fundstellen zum Thema möchte ich daher zunächst ein wenig auf die Physik des Fahrradfahrens eingehen, um dann näherungsweise Rückschlüsse auf den Roller zu ziehen. Beim Fahrradfahren ist langsames Fahren ein ständiges leichtes Kippen, Gegenlenken und Wiederaufrichten – je nach Können zeigt sich das in einer mehr oder weniger starken Schlangenlinie. Hat ein Fahrrad jedoch erst einmal eine Geschwindigkeit von etwa 20 km/h erreicht, so hält es sich beinahe von alleine aufrecht. Gute Räder laufen quasi eigenständig geradeaus. Verantwortlich sind Kreiselkräfte der rotierenden Reifen, die dem Kippen entgegen lenken. 

Der sogenannte gyroskopische Effekt sorgt dafür, dass die Radachse, die bei Störungen ausgelenkt wird, möglichst immer wieder in die Ausgangslage zurückwandert. Und damit sind wir bei des Rollers Kern: Je kleiner die Räder, desto geringer der gyroskopische Effekt. Außerdem haben kleine Räder die unangenehme Eigenschaft, nicht über Hindernisse hinwegzurollen, sondern den Rollerfahrer bei Widerstand in eine Apollo-ähnliche Umlaufbahn zu befördern. 

Nun ist ja alle Theorie grau. Deshalb habe ich natürlich einen Eigenversuch unternommen. Aus Sicherheitsgründen habe ich es allerdings bei einer Simulation belassen. Diese Methode auf dem Weg zur Erkenntnis ist in der Wissenschaft ja mittlerweile üblich, die Klimawissenschaft besteht praktisch nur aus Simulation. 

Ich stieß mich schwungvoll vom Terrassentisch ab

Die Gelegenheit zu meinem Selbstversuch ergab eine Einladung von Achse-Autor Gunter Weißgerber, „mal rüber zu machen“ und ihn in seiner Datsche im Leipziger Umland zu besuchen. Auf dem offenen Feuer im Garten stand ein großer Topf mit ungarischer Gulaschsuppe. Wir wollten eigentlich nicht viel über Politik reden, dann aber kam die Rede auf das Rezept der Gulaschsuppe. Das ist eine Rindfleischsuppe, der aus subversiven Gründen Schweineschmalz hinzugefügt wurde, das hat Tradition.

Schwein ist eine der meist verwendeten Zutaten in der Ungarischen Küche, weil die türkische Fremdherrschaft seinerzeit viele Lebensmittel eingeschränkt hatte. Nur Schweinefleisch und verschiedene andere Zubereitungen blieben für die Bauern übrig, da die Türken sie wegen ihrer Religion selber nicht essen durften. Und schwupp, schon ist man mit einer Gulaschsuppe mitten in der Politik. Nach einigen alkoholischen Verdauungshilfen tauchte der verwegene Gedanke auf: Victor Orban ist gleichsam das Schweineschmalz im europäischen Eintopf.

Unter Zuhilfename einer weiteren Flasche Obstler entwarfen wir noch weitere kluge geostrategische Szenarien. Es wurde spät und kalt, und wir zündeten den gasbetriebenen Heizpilz an, um die Feinstaubbelastung durch das offene Feuer und die ringsum abgeernteten Getreidefelder auszugleichen. Irgendwann nach Mitternacht war es dann Zeit für meine E-Roller-Simulation. Ich stieß mich schwungvoll vom Terrassentisch ab, strauchelte Richtung Terrassentür und ging dann in einen Kreisverkehr über, aus dem ich keine Ausfahrt fand. Wie heißt es oben so schön: „Es ist ein ständiges leichtes Kippen, Gegenlenken und Wiederaufrichten – je nach Können zeigt sich das in einer mehr oder weniger starken Schlangenlinie.“  Ich hatte verdammt kleine Räder und mein gyroskopischer Effekt tendierte gegen Null. Die Simulationsfahrt ging dann an einer stützenden Wand entlang, die aber ohne Vorwarnung abbrach. Und dann kam die Treppe zum Schlafgemach, gewissermaßen der Checkpoint Charly. Liebe E-Roller-Fahrer, denkt immer daran: Treppen sind mit dem Roller ganz schlecht, besonders bergab. 

 

Von Dirk Maxeiner ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Portofrei zu beziehen hier.

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Sabine Heinrich / 21.07.2019

Zunächst einmal Ihnen, lieber Herr Maxeiner, herzlichsten Dank für Ihren köstlichen Text, der meine Mundwinkel schon seit Minuten in entgegengesetzter Richtung der merkelschen verharren lässt! @ Stefan Lanz: Da Sie offensichtlich - ich schließe es aus Ihrem Vornamen - jüngeren Alters (also diesseits der 60) sind, wurde die Werbung Ihrer Jugend angepasst - ein E-Moped. Bei mir - schon etwas betagter (mein Vorname spricht Bände) ist es ein Elektromobil = elektrisch betriebener Rollstuhl. Ehrlich!!!

E Ekat / 21.07.2019

Stabilität des Fahrrads, und die ungarischen Zusammenhänge: gut erklärt. Bald wird sich jemand eine Doppelbereifung für Roller patentieren lassen. Das wirkt dem Kippeln entgegen. (Sofern mit diesem Beitrag ein Patentantrag nicht ruiniert wurde). 

A. Groma / 21.07.2019

Die seit Monaten andauernde alberne Diskussion um die rechtlichen Rahmenbedingungen des E-Rollerfahrens zeigt sehr gut den geistigen Zustand dieser Nation auf. Da werden ganze Batallione von Rechtsgelehrten beschäftigt, um auf typisch deutsche Art zu definieren, wie, wann und wo irgendwelche Hipster durch diese unsägliche Bundeshauptstadt rollern dürfen, natürlich mit Ökostrom. Zur Lösung echter Problemstellungen ist uns die Kompetenz längst abhanden gekommen.

E. Albert / 21.07.2019

“E-Roller sind in Berlin die neue ökologische Alternative zum Laufen, weil man weniger Kalorien braucht und der Strom aus der Steckdose kommt.” Köstlich! (Gleichzeitig finde ich Roller als Fortbewegungsmittel einer infantilen Gesellschaft, die einfach nicht mehr erwachsen werden will, durchaus konsequent. Wahrscheinlich werden demnächst Schnuller für Erwachsenen auch ganz hip…)

Fritz kolb / 21.07.2019

Als Kind hatte ich erst einen normalen Tretroller. Den fand ich damals schon ziemlich instabil und ihn zu bewegen sehr mühevoll. Daraufhin baute mir mein Großvater, der von Beruf Schmied war, einen sog. Wipproller. Sie erinnern sich? Durch eine Wippe, die man mit seinem Körpergewicht auf und ab bewegte, wurde über einen Zahnriemen das Hinterrad angetrieben, je nach Übersetzung ging es dann wesentlich schneller als mit dem Tretroller voran. Bis ich damit einmal ziemlich übel stürzte, weil Bremsen waren damals technisch untergeordnet, also kaum vorhanden. Danach das Fahrverbot, ausgesprochen durch meine Mutter. Es wurde ein Fahrrad für mich gekauft, ich lernte und fand danach, daß Rollerfahren ziemlich rückständig und allenfalls etwas für kleine Kinder sei. Nun wird also wegen der speziellen deutschen Klimabefindlichkeit das Rad der Geschichte zurückgedreht. Die Unvernunft der Klimaverblendeten nimmt mit dem Roller Fahrt auf, und mit Sicherheit die Unfallstatistik auch.

Peter Meyer / 21.07.2019

„Das Schweineschmalz im (ANSONSTEN UNVERDAULICHEN) europäischen (SOZIALISTISCHEN) Eintopf“

B.Klingemann / 21.07.2019

Absolut nachvollziehbar! Ich hoffe, Sie sind direkt ins Bett gefallen. Vor einigen Jahren bin ich in einer ähnlichen Situation übermütig auf die Honda Monkey eines Freundes gestiegen, um nachts durch Düsseldorf zu fahren. Auch hier: viel zu kleine Räder! Das ist kein Motorrad, das ist ein Kinderspielzeug!

Wolfgang Kaufmann / 21.07.2019

Never change a running system. Neulich wurde das Fahrrad zweihundert Jahre alt und gewann 1890 nochmal deutlich an Sicherheit durch die bekannte Erfindung der Brüder Michelin. Seitdem ist diese Technologie so fehlerfreundlich, dass schon Kinder damit umgehen können. – Doch wir wissen es mal wieder besser und müssen das Zweirad neu erfinden. Mit dem E-Scooter landen wir wieder ganz am Anfang, als die Obrigkeit den Gebrauch der Laufmaschine untersagten musste. – Dabei ist dieses labile Gerät wie kein zweites geeignet, den Verkehr in gentrifizierten Milieus zu reduzieren, wenn auch auf Kosten seiner Benutzer. Gerade der Begriff der Letzten Meile bekommt hier eine ganz neue Bedeutung.

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