Dirk Maxeiner / 20.09.2020 / 06:15 / Foto: Andreas Tille / 51 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Im Dampfwagen

Die gute Nachricht: Er wollte mich nicht umbringen. Nur warnen. Und mir mitteilen: It’s time to say goodbye. Ich wollte es mir lange nicht eingestehen, dass mein alter Volvo nun wirklich am Ende ist. 435.611 Kilometer seit 1989 verbinden. Er hat mich treu durch das wiedervereinigte Deutschland und dabei zehnmal um die Welt kutschiert, und jetzt mag er nicht mehr. Bevor ich zu den näheren Umständen unseres Abschieds komme, möchte ich vorab erwähnen, was ich bei dieser Gelegenheit nebenbei noch gelernt habe. Erstens: Warum Markus Söder vermutlich nicht in Berlin ankommen wird. Zweitens: Warum Flugzeuge abstürzen. Und drittens: Warum es für ein System tödlich ist, wenn das Vertrauen kaputt ist.

Aber eins nach dem anderen. Es passierte auf der A9, die von München über Nürnberg nach Berlin führt. Jenen Weg also, den auch Markus Söder gerne nehmen würde, er befindet sich gerade auf der Überholspur. Da befand ich mich auch, und zwar kurz vor der Abfahrt Schnaittach in Mittelfranken. Keine Staus, ein wunderbar sonniger Herbsttag, ich war guter Dinge, pünktlich in Berlin anzukommen. Trotz der Warnung von Sabine, die mich gefragt hatte: „Warum nimmst Du wieder die alte Kiste?“ Die Antwort lautete wie immer: „Weil mir die in Berlin niemand abfackelt, da wäre ja der Grillanzünder zu schade“. Die abgeranzte Erscheinung des alten Schweden hat sogar schon mal eine Nacht in Friedrichshain überstanden, ohne dass ihr auch nur eine Antenne gekrümmt worden wäre.

Doch ich sollte gar nicht erst nach Berlin gelangen. Sabines Misstrauen erwies sich leider als begründet – sie hat der alten Kiste schon vor ein paar Wochen die Freundschaft gekündigt. Einmal ging unterwegs die Servopumpe der Lenkung kaputt. Und einmal die Benzinpumpe. Das bescherte uns jeweils einen Nachmittag am Rande der Autobahn. Beides ließ ich reparieren, und ich dachte, es könnte jetzt keine Pumpe mehr kaputt gehen. Doch ich hatte die Wasserpumpe vergessen.

Und die verschied still, und ohne dass ich es bemerkte, in der Herbstsonne vor Schnaittach. Nun fährt ein Auto auch ohne Wasserpumpe, aber nicht sehr lange. Die Temperatur steigt und der Druck im Kessel wird höher und höher, bis das System in die Luft fliegt. Das funktioniert genau wie in der Politik, und die Sache platzt, ebenfalls genau wie in der Politik, an der schwächsten Stelle. Leider lässt sich nicht vorhersagen, wo diese sich befindet.

Das hätte nun nicht auch noch sein müssen 

In meinem Fall war es der Wärmetauscher der Heizung, der links unter dem Armaturenbrett angebracht ist. Der Schlauch der Zuleitung platzte und kochend heißer Wasserdampf schoss in den Fußraum. Mit zwei unangenehmen Folgen: Erstens konnte ich nicht mehr bremsen, weil ich Sandalen trug und mir die Füße verbrüht hätte. Zweitens vernebelte der Wasserdampf innerhalb von Sekunden die Scheiben und ich fuhr blind.

Zum Glück konnte ich die Seitenscheibe öffnen, so dass die Umgebung – zumindest rudimentär – wieder erkennbar war. Und da tauchte auch schon das Abfahrtsschild nach Schnaittach auf. Irgendwie bugsierte ich die Fuhre in die Ausfahrt und verminderte die Geschwindigkeit mit der Handbremse. Schließlich rollte ich auf dem Grünstreifen neben der Fahrbahn aus. Dort habe ich mindestens so tief ausgeatmet wie zuvor der Wärmetauscher.

Der erste klare Gedanke: Sorry alter Kamerad, aber das war es. Nie wieder. Ich stelle mir vor, das wäre auf der Landstraße beim Überholen eines Lastwagens passiert. Aber er wollte mich ja nicht umbringen, sondern nur warnen. Und deshalb hat er die Nummer an der für mich günstigsten möglichen Stelle aufgeführt. Danke, alter Kamerad. Ich rief den Pannendienst an und wollte mich eigentlich in die Wiese setzen und in der Herbstsonne warten. Davon sah ich aber schnell ab. Ich entdeckte verdächtig viele Tempotaschentücher. Und nahm dann auch olfaktorisch zur Kenntnis, dass ich mich mitten in einem einzigen Scheißhaufen befand.  Das hätte nun nicht auch noch sein müssen. 

Ich blieb notgedrungen im Auto sitzen und schöpfte mit einem Kaffebecher das kochende Wasser aus dem Fußraum. Dabei hatte ich die folgenden tiefschürfenden Gedanken. Erstens: Wenn ein System in die Luft fliegt, gehe davon aus, dass es an der ungünstigsten Stelle platzt, dich barfuss erwischt und eine unvorhersehbare Kettenreaktion auslöst. "Alles was schief gehen kann, wird auch schiefgehen", formuliert es Murphys Gesetz. Deshalb fallen Flugzeuge vom Himmel und stürzen Mauern um. Der Wärmetauscher der DDR war zum Beispiel der Grenzübergang Bornholmer Strasse. Gehe ferner davon aus, dass man einmal zerstörtes Vertrauen nicht wiedergutmachen kann. Bedenke zusätzlich, dass Du danach nicht im Paradies landest, sondern möglicherweise in einem riesigen Scheißhaufen.

 

Von Dirk Maxeiner ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Portofrei zu beziehen hier.

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Detlef Rogge / 20.09.2020

Mein Beileid, verehrter Herr Maxeiner. Wirklich nichts mehr zu machen? Mein Daimler ist zwanzig, alles was kaputt gehen kann, ging in den letzten Jahren auch kaputt, natürlich nacheinander - auch eine Form von Murphys Gesetz -, Kosten wohl um die 6.000 €. Allerdings rechne ich bei außerordentlichen Reparaturkosten wohl anders als die Mehrheit der Besitzer in die Jahre gekommener Autos. Ersatzbeschaffung neuer Daimler, sagen wir mal 40.000 €. Abschreibung Wertverlust, nach zwanzig Jahren tendiert der Wert des neuen Vehikels gegen Null. Somit kann ich jährlich 2.000 € an Extrareparaturkosten hinnehmen, ohne Verluste im Verhältnis zu einem Neuwagenkauf zu machen. Leider lassen sich wegen der desolaten Finanzpolitik der EZB keine Gewinne durch Kapitalerträge in die Rechnung mit einbeziehen. Vorteile der alten Gurke, die mir neben der Fortbewegung auch als mobiler Schutzraum dient, insbesondere für in Wedding ansässige Berliner kein zu vernachlässigender Aspekt, kein Autodieb mit auch nur ansatzweisem Verstand klaut ein Auto mit diversen Beulen und sichtbarem Rostfraß nebst ausgebauter hinterer Sitzbank, also ruhige und entspannte Nachtruhe. Weiterer Vorteil, völlig ungeniertes und angsfreies Fahren, was scheren mich weitere Parkrempler und andere Marginalien im Blechkleid? Technisch ist der Wagen einwandfrei, Überlandfahrten bedenkenlos jederzeit möglich.

Karl Mistelberger / 20.09.2020

Wenn es denn sein muss ist Schnaittach nicht die ungünstigste Ortschaft. Die Mitglieder des Alpenvereins sind nicht ohne Grund hier häufig unterwegs, zuletzt vorige Woche drei Ausfahrten weiter in Pegnitz. Eigene Erfahrungen mit dem Kühlkreislauf liegen schon länger zurück: Maggie schickte gerade ihre Truppen zu den Falklands, wir fuhren im Wohnmobil (V8, 440 cui, “you will get 10 to 16 miles per gallon”) über die Ebenen des Schlangenflusses als der Geysir ausbrach. Ein Army-Laster, der gerade entgegen kam hielt sofort an und fuhr erst weiter, als geklärt war, dass wir bloß Wasser aus der Bordküche nachfüllen mussten. Apropos, beim Tauschen auf die Sommerräder stand in diesem April ein Volvo 740 vor mir. Der war gerade zum Oldtimer konvertiert. Ein neuer Dachhimmel kostete 240 € plus Eigenleistung. Ohne kleine Investitionen geht wohl nichts.

Dr. R. Stiehler / 20.09.2020

Wunderbare Parabel, Herr Maxeiner. Bald ist es so weit. Durch den Scheißhaufen müssen wir halt durch. Strafe muss sein.

Hans-Peter Dollhopf / 20.09.2020

Servopumpe, Benzinpumpe, Wasserpumpe. Im Abstand von ein paar Wochen! Sonst noch etwas? Merkwürdige Anrufe oder Emails ...?

Thomas Mueller / 20.09.2020

Das weckt Erinnerungen: 1997 auf der A24 Richtung Hamburg platzte im Golf der Wärmetauscher und binnen Sekunden waren alle Scheiben incl. meiner (starken) Brille beschlagen. Und das passierte in dem Moment, als ich mit ca. 150 km/h beim Überholen eines LKW war. Ich kurbelte das Fahrerfenster runter und steckte den Kopf heraus und konnte mich am linken Randstreifen orientieren und so die Spur halten. Der umsichtige BMW-Fahrer hinter mir blockierte die Autobahn, so daß ich langsam an den rechten Standstreifen austrudeln konnte. Mir und den Passagieren ist außer dem gewaltigen Schreck nichts passiert.

Stefan Riedel / 20.09.2020

Nostalgia muss auch einmal erlaubt sein. Volvo und Auto, es war einmal. Und heute ?  Greta! Welcome to the nightmare (oder soll ich sagen Windmühle und Lastfahrrad?).

Eugen Richter / 20.09.2020

Im Herbst ist die Regierung Geschichte.

Uwe Schäfer / 20.09.2020

Ich bin schon lange gespannt ob ich neugierig bin, an welcher Stelle die vielen Dampfkessel Deutschlands, die, von den lieben Menschen an der Macht, unter Höchstdruck betrieben werden, platzen, wie weit die Sch…. spritzt und wer dann alles nicht schuld ist.

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