Der Sonntagsfahrer: Goodbye my Bell

Die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer sagt auch mal was Richtiges: "Das ist eine Legende, die wir heute verabschieden". Bei der Legende handelte es sich allerdings nicht um einen verdienten General oder Politiker, so was ist ja heute noch seltener als ein Maskengeschäft ohne Geruch. Und falls es im Personalbestand der Ministerien noch Legenden geben sollte, werden die eher nicht mit einem großen Zapfenstreich verabschiedet, sondern unauffällig in den einstweiligen Ruhestand entsorgt. Man will in Deutschland nicht an Qualität erinnert werden.

Da hat die gute alte Bell wirklich Glück und Frau Karrenbauer einen lichten Moment gehabt. Die Schöne ist der amerikanische Hubschrauber Bell UH-1D, der bei der Bundeswehr und dem Bundesgrenzschutz 50 Jahre Dienst schob. Die Namensgebung ist ein früher Fall von Gender-Gerechtigkeit denn der Hubschrauber hieß die Bell. Der Spitzname lautet auch "Huey" fonetisch im Amerikanischen für "UH",was auch dem Neutrum zu seinem Recht verhilft. Andererseits ist der Zweitname überhaupt nicht woke: Iroquois (Irokese). Nahe meiner Wohnstatt in der Eifel waren übrigens amerikanische Truppen stationiert. Für die war die Bell sowas wie ein Taxi, das fliegen kann. Ganz im Gegensatz zu heutigen sogenannten Lufttaxis, die zwar auch viel Lärm machen, aber nicht fliegen können.

Ab und zu machten die Amerikaner offenbar einen Bowling-Ausflug zur Ramstein-Airbase in der Pfalz. Unser Haus am Hang scheint dabei eine Irokesen-Wegmarke gewesen zu sein, sie freqentierten den Luftraum über unserem Dach geradezu fahrplanmäßig, und ich hatte immer Angst, dass sie den Blitzableiter streifen. Vielleicht wollten sie aber auch nur den amerikanischen Airforce-Offizier wecken, der im 1. Stock wohnte. Seine Anwesenheit war unschwer an dem roten Ford Falcon Cabriolet vor der Garage zu erkennen. Man nannte die Bell auch „Teppichklopfer". Erst klopfte der Rotor leise in der Ferne, dann wurde das rhythmische Schlagen immer lauter und schwoll an, bis sich die Balken unseres Daches darunter bogen. Dann rauschte das Ding im Tiefflug davon wie ein isländischer Wasserfall. Aus dieser Zeit stammt meine Faszination für Hubschrauber, die sich offenbar ins Ergbut eingeschlichen hat, denn das erste gesprochene Wort unseres Sohnes lautete: "Hubasabber". 

„Weil sie uns sonst die Eier wegschießen“

Das knallend-floppende Geräusch der Rotorblätter wurde sogar zur musikalischen Legende. Besonders als Titelmelodie aus dem Film Apokalypse Now von Francis Ford Coppola. Im „Ritt der Walküren" bilden Wagner, der Hubschrauber und der Vietnamkrieg eine vollkommen irre Symphonie der Gewalt.

Womit man der Bell, dem ersten turbinengetriebenen Hubschrauber der US-Armee, eigentlich unrecht tut: Er wurde ursprünglich zur Rettung und Evakuierung von verwundeten Soldaten im Feindesland entwickelt, und sein Klopfen am Himmel signalisierte unzähligen verzweifelten GI's: Hilfe ist im Anmarsch. Bedauerlicherweise verriet er es auch dem Feind. Sehr gelungen ist der Film-Dialog mit einem Neuling an Bord: "Warum sitzt ihr alle auf euren Helmen?". Antwort: "Weil sie uns sonst die Eier wegschießen". Das ikonographische Foto des letzen Fluges, der das verlorene Saigon verließ, zeigt ebenfalls eine Bell Huey, die Amerikaner vom Dach eines CIA-Gebäudes evakuiert.

In Deutschland genoss sie ebenfalls einen guten Ruf als Rettungshubschrauber, brachte es aber beim Olympia-Massaker in München zu trauriger Berühmtheit: Während eines dilettantischen Befreiungsversuchs wurden die beiden Bells mit den Geiseln von Kugeln durchsiebt, in einem der beiden explodierte eine Handgranate. 17 Menschen starben. 

Kein neues Tischtuch seit Queen Victoria

Der Hubschrauber war ein ausgeprochener Bestseller. Insgesamt wurden 16.000 Bell HU1 vom Stapel gelassen. Aktuell will die Ukraine den Luft-Oldtimer sogar neu auflegen. Alternativ könnte ich eine gebrauchte Bell HU1 für 99.000 Dollar, also schlappe 80.000 Euro empfehlen, Standort Belgien. Sowas macht einen deutlich schlankeren Fuß als ein Porsche 911, finde ich, auch der Verbrauch von etwa 160 Litern pro 100 Kilometer relativiert sich, weil man sich Politessen, Radarfallen und andere Wegelagerer spart und auf jedem Flachdach parken kann.

Meine persönliche Himmelfahrt mit der Schönen wurde mir indes 1980 im indischen Chandigarh zuteil. Ich bildete mich seinerzeit in der Redaktion des Stern fort (Konrad Kujau hatte die Hitler-Tagebücher aber zu meinem Bedauern noch nicht abgeliefert) und wurde zur Berichterstattung über die Himalaya-Rallye ins ferne Indien beordert. Der indische Fotograf hatte zwecks Luftaufnahmen eine obskure Bell samt undurchsichtigem Piloten in Chandigarh aufgetrieben, die uns nach Kashmir hineinflog.

Die Gegend zeigte sich so schön wie der Schwarzwald und ungefähr so sicher wie Kabul. Trotzdem war ich sehr froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Die Täler am Fuße des Himalaya sind tief und werden von fast unsichtbaren Stromleitungen gequert, was schon manchem Teppichklopfer zum Verhängnis wurde. Hinzu kommen unberechenbare Fallwinde. Das fühlt sich an wie ein Aufzug im Empire State Building, der plötzlich 30 Stockwerke durchsackt. Und kaum hat er sich gefangen, sackt er schon wieder 20 Stockwerke durch. Zum Glück bremste die Bell immer wieder rechtzeitig, und wir landeten schließlich auf der Wiese vor einem britischen Landsitz aus der Kolonialzeit. 

Und damit sind wir beim Helikoptergeld

Die Kellner schienen samt ihren weißen Handschuhen aus dem vorvorigen Jahrhundert – und auch das Tischtuch schien seit Queen Victoria nicht neu eingedeckt worden zu sein. Ich hätte dort gerne übernachtet, aber die örtliche Bevölkerung hatte dem Rallye-Tross mit Steinwürfen freundlich, aber bestimmt das Gefühl vermittelt, nicht willkommen zu sein. Einen Hinweis, den man in dieser Region ernst nehmen sollte. Also bestiegen wir unsere Bell und machten uns teppichklopfend aus dem Staub. Es gibt Situationen im Leben, da ist ein Hubschrauber wirklich praktisch. Auch für meine letzte Reise fände ich eine Bell  sehr angemessen, alternativ bitte ich um den Land-Rover von Prince Philip. Heute verfügen übrigens alle drei Parteien im Kashmir-Konflikt (Indien, China, Pakistan) über Atomwaffen.

Und damit sind wir beim Helikoptergeld. Helikoptergeld ist nämlich die einzige Atombombe, die man mit einem Hubschrauber ausliefern kann. Darunter versteht man die Ausweitung der Geldmenge durch Geldschöpfung, bei der das neu geschaffene Zentralbankgeld direkt an Staat oder Bürger ausgezahlt wird. Und zwar so lange, bis der Geldwert pulverisiert wird wie die Kathedrale von Hiroshima. Helikoptergeld ist im Prinzip genau das, was im Moment als Coronahilfen von Himmel herabregnet. Verehrte Bundesregierung, wie wäre es mit etwas mehr Stil? Lasst das Zeug doch aus einer Bell HU1 herabregnen. Das wäre wenigstens eine Show. Die Nutzlast der Bell beträgt 1.760 Kilo, soviel wiegen in 100-Euro-Scheinen rund 176 Millionen Euro. Ich bitte darum, mein Haus als Wegmarke zu nutzen und den Zaster durchs Dachfenster auszuliefern.

 

Von Dirk Maxeiner ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Portofrei zu beziehen hier.

Foto: Bundesarchiv/Ulrich Wienke CC BY-SA 3.0 de via Wikimedia Commons

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Emmanuel Precht / 18.04.2021

Ihre Faszination für Flieger ist schon erfreulich. Ich hab das genauso im Blut. Als Kind mit handwerklichen Getriebenheiten war eins sicher: Ein Hammer, Nagel und Brett = Flugzeug.  Vor einigen Jahren, ich glaub 2003 saß ich im Garten hinterm Haus, als ich zunächst leises, aber zügig anschwellendes Brummen wahrnahm. Im nächsten Moment explodierte das Geräusch mit dem Überflug von 2630 Pferdestärken, verteilt auf eine Hawker Hurricane und eine Messerschmitt BF109/H-0, die Flügelspitze an Flügelspitze in der geringsten erlaubten Höhe über die Dächer schossen. Da ich mir, ebenso wie Sie, den Erwerb solcher Herrlichkeiten nicht leisten kann, baue ich sie im Maßstab 1:3 nach und steuere diese fern. Der Nachweis dazu findet sich unter ... (Anm. d. Red.: Links sind hier leider nicht zugelassen. Bitte googeln: »rc-network Konstruktion und Bau einer Boeing P26 Peashooter in 1:3,5«) . Wohlan…

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