Der Fiskus als Weihnachtsgans

Der ehemalige Steuerbeamte Hanno Berger hatte eine geradezu diabolische Idee. Wie wäre es, wenn man ganz legal und todsicher Geld verdienen kann? Ein gesichertes Einkommen, sozusagen mit Staatsgarantie? Gedacht, getan. Das Gebastel nennt sich Cum/Ex. Für Nicht-Lateiner: mit/ohne.

Für finanztechnische Laien: Eine einmal bezahlte Steuer kann mehrfach zurückgefordert werden. Das wird damit erreicht, dass durch Leerverkäufe und ähnliches Geschunkel um den Termin einer Dividendenausschüttung einer Aktie mehrere beneficial owners, also wirtschaftlich Berechtigte an dieser Aktie entstehen. Die wiederum noch mit Dividendenberechtigung oder ohne – nach der Ausschüttung – dasteht.

Damit wurde der deutsche Fiskus über Jahre verwirrt und verscheißert, das kann man nicht vornehmer ausdrücken. Ab 2012 wurde dieses Tricksermodell hochoffiziell verboten. Aber auch vorher war es natürlich illegal, obwohl sein Erfinder, der sich ins sichere Alpenreduit in der Schweiz zurückgezogen hat, bis heute behauptet, nach der Devise "was nicht verboten ist, ist erlaubt" sei es vielleicht moralisch anrüchig, aber legal gewesen.

Es habe sich um Arbitragegeschäfte gehandelt, also um das Ausnützen verschiedener Bewertungen an verschiedenen Handelsplätzen. Das ist natürlich Mumpitz. Kein Mumpitz ist, dass alleine der deutsche Fiskus um Milliarden betrogen wurde. Wie viele genau, da streiten sich die Gelehrten, selbst ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags konnte die Schadenssumme nicht genau beziffern.

Die umsatzstärkste Kanzlei des Landes

Diverse beteiligte Banken haben inzwischen Rückzahlungen in Millionenhöhe geleistet. Erst viele Jahre danach beginnt nun die Justiz, gegen erste Beteiligte den Prozess zu machen. Ins Fadenkreuz der Ermittler ist dabei auch die Großkanzlei Freshfields geraten.

Freshfields Bruckhaus Deringer als Anwaltskanzlei zu bezeichnen, wäre sehr tiefgestapelt. Der Konzern mit Hauptsitz London beschäftigt weltweit rund 4.700 Mitarbeiter und macht einen Umsatz von schlappen 1,6 Milliarden Euro pro Jahr. Der deutsche Ableger steuert dazu eine runde halbe Milliarde bei und ist damit die umsatzstärkste Kanzlei des Landes.

Giganten wie Freshfields werden von Regierungen, multinationalen Großkonzernen – und Banken gerne beschäftigt. Ihre Gutachten dienen als erste Verteidigungslinie, sollte es zu juristischen Auseinandersetzungen über die Rechtmäßigkeit eines Geschäftsmodells führen. Ob es um Gesetzesvorlagen wie das Finanzmarktstabilisierungsgesetz, den griechischen Schuldenschnitt oder Cum/Ex geht: Freshfields ist dabei.

Natürlich nur beratend, sollte der Blitz in Form einer Anklage einschlagen, hat man selbstverständlich nur eine Meinung geäußert. Als viele auf dieser Cum/Ex-Masche aufgebaute Fonds 2012 implodierten, weil durch den gesetzgeberischen Akt ihr Geschäftsmodell kaputt war, forderten reiche Anleger von Banken ihr Geld zurück. Besonders ins Feuer geriet dabei die Schweizer Privatbank Safra Sarasin. Prominente Kunden wie Carsten Maschmeyer oder Erwin Müller (Drogerie-Müller) fühlten sich übers Ohr gehauen. Freshfields wurde mit einem Gutachten beauftragt und riet zum Zahlen, samt Stillschweigensvereinbarung.

Aber Safra Sarasin war kampfeslustig und verweigerte einen Schadensersatz. Bis die Bank gerichtlich dazu gezwungen wurde. Hätte sie doch besser auf Freshfields gehört. Dass andererseits viele Banken und Versicherer auf Freshfields hörten, könnte allen Beteiligten viel Ärger einbrocken. Denn vor Kurzem, ein Novum in Deutschland, wurde der Steueranwalt Ulf Johannemann festgenommen und in Untersuchungshaft gesetzt.

Rendite von bis zu 7,5 Prozent – angeblich risikofrei

Ulf who? Mit dieser Frage zeigt der Leser, dass er nicht in der wirtschaftlichen Oberliga mitspielt. Johannemann war bis vor wenigen Wochen Partner bei Freshfields, Leiter der globalen Steuerrechtspraxis. Vielleicht hat das Wort "gobal" die Staatsanwaltschaft misstrauisch gemacht, denn sie äußerte die Befürchtung, dass sich der Staranwalt den Ermittlungen wegen mutmaßlicher Beihilfe zu schwerem Steuerbetrug entziehen könnte.

Es besteht der Verdacht, dass nicht nur die inzwischen insolvente kanadische Maple Bank auf den Ratschlag von Johannemann hörte. Das Geldhaus musste die Bücher deponieren, weil es nicht in der Lage war, alle Forderungen im Zusammenhang mit Cum/Ex zu erfüllen. Zudem ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen einen weiteren, noch aktiven Partner von Freshfields. Selbst die beiden vor dem Bonner Landgericht in Sachen Cum/Ex angeklagten britischen Aktienhändler sind weiterhin auf freiem Fuß, der Mastermind Berger sitzt im relativ sicheren Schweizer Exil.

Das Gerichtsverfahren vor dem Bonner Landgericht wirft ein Schlaglicht auf einen echten Wirtschaftskrimi. Mit einem Kronzeugen, der zum engsten Mitarbeiterkreis von Berger gehörte und auspackte, womit dieses Verfahren überhaupt erst angestoßen wurde. Eigentlich allen Beteiligten an diesen Mauscheleien musste von Anfang an klar gewesen sein, dass es sich um einen großangelegten Betrug handelt.

Selbst dem finanztechnischen Laien, zu dem sich auch die Milliardäre Maschmeyer und Drogerie-Müller erklärten – mit Erfolg –, musste einsichtig sein, dass ein Fonds nicht aus Luft und Liebe eine garantierte jährliche Rendite von bis zu 7,5 Prozent abwerfen konnte, angeblich risikofrei. Selbstverständlich wussten auch die Fondsmanager und die Finanzhäuser, die diese Fonds vertrieben, dass das gute alte Dividendenstripping eine lusche Sache ist.

Wahre Gewinnspanne von bis zu 100 Prozent

Aber da natürlich nur ein Bruchteil des Profits an die Anleger weitergegeben wurde, letztlich deren Geld im Risiko stand und der Intermediär, der Zwischenhändler, bei einer wahren Gewinnspanne von bis zu 100 Prozent der Versuchung nicht widerstehen konnte, wurde das Rad weitergedreht, bis es dann entgleiste.

Zum Skandal gehört allerdings auch, dass der deutsche Fiskus, diverse Finanzminister, verschiedene Male mit zunehmender Dringlichkeit darauf hingewiesen wurden, dass hier mit einem Steuertrick Milliardenbeträge erschwindelt werden – ohne eine Reaktion auszulösen. Vielleicht ließen sich auch überforderte Beamte oder Minister von Gutachten von Freshfields überzeugen, dass das schon alles seine Richtigkeit habe.

Wobei die banale Frage, womit ein solcher Cum/Ex-Fonds denn genau sein Geld verdient, mit welcher Wertschöpfung, mit welcher Investition, jedem klar gemacht hätte, dass es hier offensichtlich nicht mit rechten Dingen zugeht. Natürlich ist es gut und richtig, dass der Staat endlich mit einiger Härte des Gesetzes gegen einzelne Beteiligte an diesem Schwindel vorgeht und Finanzhäuser zur Rückgabe von unberechtigt einbehaltenen Gewinnen zwingt.

Dass der gleiche Staat aber über viele Jahre hinweg zu blöd war, dieses Geschummel abzustellen und dann nochmal viele Jahre brauchte, um die ersten Angeklagten vor Gericht zu bringen, ist ein Skandal im Skandal. Genauso wie dass der Staat mit lockerer Hand Milliarden an Steuergeldern ausschüttet, ohne der Berechtigung solcher Forderungen auf den Grund zu gehen. Aber der größte Skandal in all diesem Gemurkse um Steuerrückzahlungen ist, dass die Masche in anderer Form bis heute noch betrieben wird. Denn wie schnell der Hase Staat auch rennt, der Igel Finanzakrobat ist schon vor ihm da.

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U. Unger / 05.12.2019

Für mich eine klare Form des Staatsversagens,  der Gesetzgeber kriegt doch keine Regelung mehr hin, die nicht mit etwas Grips unterlaufen werden kann. Meistens reichen Geld, Beharrlichkeit und Anwälte den Gesetzbruch mindestens zu relativieren. Zumindestens milde Richter sind damit in aller Regel käuflich. Was mal die Ausnahme war, Gesetze für aussergewöhnliche Vorgänge sachgerecht zu interpretieren ist die Regel geworden. Etwas besser schneiden nur Reise- und Familienrecht ab, wo durch Frankfurter / Düsseldorfer Tabelle ein mittlerer Standard verwirklicht wird. Was nicht ausdrücklich verboten ist, ist erlaubt! Dieser demokratischen Auffassung stimme ich gerne zu. (Ausschließlich!) Wer Idioten mit der Verwaltung von Gemeinschaftsvermögen betraut, ist selbst schuld. Die Aktionäre haben Ihr Vermögen in vernünftigere Obhut gegeben, als die “demokratische” Gesellschaft. Die besten Leute gehen nun mal nicht mehr in den Staatsdienst. Hier wieder ein Beweis, der mich belustigt. Schräg, aber voll 2019!

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