Gastautor / 23.11.2011 / 19:29 / 0 / Seite ausdrucken

Der Bischof und das Mindestalter

Ulrich Sahm

Heinrich Mussinghoff, Bischof zu Aachen, stellte sich im Juli dem Bochumer „NRW-Israel-Forum“ vor etwa 500 Gästen einer Diskussion mit diesem Korrespondenten über die Lage der Christen im Heiligen Land. Nach dem Luxemburger Außenminister und Israels Vizeaußenminister Danny Ayalon sollte er über die Lage der Christen im Heiligen Land reden.

Mussinghoff behauptete, dass Araber in Israel erst ab dem 20. Lebensjahr zum Studium zugelassen würden, aus Rücksicht auf die Militärdienst leistenden jungen Juden. Diese willkürliche Zurücksetzung zwinge junge Araber zur Auswanderung und sei eine klare Form der Diskriminierung von Arabern. Trotz Widerspruchs gegen diese abstruse Behauptung ließ der Bischof nicht locker.

Am 14. Oktober 2011 schrieb er in einem per Briefpost nach Jerusalem geschickten Brief, dass Sozialwissenschaften bei gewissen Universitäten erst ab dem 19. oder 20. Lebensjahr belegt werden könnten. Das wisse er aus „Unterlagen“ der Universitäten. „Mir und meinen Gewährsleuten ist klar, dass der Grund darin liegt, dass arabische Abiturienten/innen nicht eher ins Studium kommen sollen, als jüdisch-israelische junge Leute, die nach dem Abitur erst drei bzw. zwei Jahre Militärdienst ableisten müssen.“

Der Bischof fühlte sich durch den Einspruch „düpiert“, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass ein in Jerusalem lebender Journalist nicht sachkundig sei. „Wie steht es mit Ihrem Umgang mit der Wahrheit? Ich finde das bedenklich. In Sorge um Sie, Ihr Heinrich Mussinghoff“

Noch ehe das Bischofsamt in Aachen auf elektronischem Weg jene „Unterlagen“ geschickt hatte, ergab eine Umfrage bei mehreren Universitäten genau das Gegenteil dessen, was Mussinghoff „klar“ war.
Wie bei anderen Universitäten in der Welt verlangen israelische Universitäten das Abitur oder Aufnahmeprüfungen.

Der Sprecher des Sapir College fügte seiner Email eine Namensliste aller arabischen Studenten unter 20 bei. Elana Oberlander, Sprecherin der Bar Ilan Universität in Ramat Gan, wies darauf hin, dass Archäologie-Studenten zusätzlich ein Ärztezeugnis vorweisen müssten, wegen der anstrengenden Feldarbeit. Allein die Schule für Sozialarbeit habe ein Mindestalter von 19 Jahren für alle Bewerber festgelegt. „Die Studenten müssen reif genug sei, um verantwortungsvoll Begegnungen mit der Klientel der Sozialdienste zu bewältigen.“ In den USA sei für Sozialarbeit ein Mindestalter von 20 Jahren festgelegt. In Österreich kann dieses Fach ohne Matura studiert werden, aber erst ab 22.

Die vom Aachener Bischofsamt geschickten Unterlagen stellten sich als hebräische Internetseiten der Universitäten heraus. Der Bischof und seine Gewährsleute hatten übersehen, dass es kein Mindestalter bei sämtlichen Fächern gibt, mit Ausnahme der Sozialarbeit. Die Hebräische Universität in Jerusalem, die Ben Gurion Universität in Beer Schewa und ausgerechnet die Ariel-Universität in der Siedlerstadt Ariel im besetzten Westjordanland fordern nicht einmal bei Sozialstudien ein Mindestalter.

Mit kurzer Recherche hätte Mussinghof zudem herausfinden können, dass jeder zweite jüdische Israeli vom Militärdienst freigestellt wird, darunter schwangere, verheiratete und fromme Frauen, ultraorthodoxe Juden, Vorbestrafte und gesundheitlich Geschädigte. Ebenso hätte der Bischof wissen müssen, dass Drusen genauso wie Juden wehrpflichtig sind und dass sich viele muslimische Beduinen freiwillig zum Wehrdienst melden. Bekannt ist auch, dass sich in den letzten Jahren zunehmend mehr israelische Araber, Moslems wie Christen, freiwillig melden. Dafür gibt es „gute“ Gründe: Weil das Militär in einigen Fällen das Studium finanziert und Militärdienst im späteren Berufsleben Türen öffnet.

Mussinghoffs Behauptungen beim NRW-Israel-Forum in Bochum und sein ehrverletzender Brief wären eigentlich keine öffentliche Gegendarstellung wert. Aber bei dem Bischof zu Aachen, dem Vorsitzenden der Unterkommission „Fragen des Judentums“ in der Ökumenekommission der Deutschen Bischofskonferenz, dem Prior der rheinisch-westfälischen Ordensprovinz des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem und dem Autor mehrerer Bücher über das Heilige Land sind solche Ignoranz und zudem sein beleidigender Brief eine unfassbare Peinlichkeit. Anstatt über die Christen zu reden, ging es ihm offensichtlich allein darum, den jüdischen Staat wegen vermeintlicher Diskriminierung zu diffamieren und des Rassismus zu bezichtigen. Ausgerechnet die Tausenden arabischen Studenten an israelischen Universitäten, viele von ihnen jünger als 19 oder 20, belegen genau das Gegenteil dessen, was der Bischof und seine Gewährsleute in ihre „Unterlagen“ hineingelesen haben.
(C) Ulrich W. Sahm

Der Originalbrief des Bischofs an mich:

„Sehr geehrter Herr Sahm!
Am 06. Juli 2011 waren wir beide beim NRW-Israel-Forum in Bochum. ... Ich hatte behauptet, dass arabische junge Leute nach dem Abitur nicht sofort und unmittelbar ein Studium aufnehmen könnten und dass sie dann an ausländische Universitäten gehen und oftmals in den dortigen Ländern bleiben und Arbeit suchen. Sie haben das rundweg bestritten.
Ich habe mich kundig gemacht und habe Unterlagen einiger israelischer Universitäten, besonders aus Haifa; Safir College, Bar Elan - University, Tel Aviv - University, Biology Oranim College. Danach stellt sich mir die Lage so dar: Nur einige Fächer können mit 19 Lebensjahren belegt werden; die meisten Fächer aber können erst mit 20+ belegt werden, also erst nach dem zwanzigsten Lebensjahr (z. B. Speach Therapy, Socialworker, Physio Therapy, Nursing).
Mir und meinen Gewährsleuten ist klar, dass der Grund darin liegt, dass arabische Abiturienten/innen nicht eher ins Studium kommen sollen, als jüdisch-israelische junge Leute, die nach dem Abitur erst drei bzw. zwei Jahre Militärdienst ableisten müssen.
Ich kann mir nicht denken, dass Sie diese Zusammenhänge nicht gekannt haben, und fühle mich durch Ihren Einspruch düpiert. Denn jeder Mensch wird den Journalisten, der in Jerusalem lebt, eher für sachkundig halten, als einen Christen, der eher Dinge aus Büchern kennt oder Falschmeldungen aufsitzt. Wie steht es mit Ihrem Umgang mit der Wahrheit? Ich finde das bedenklich.
In Sorge um Sie, Ihr
Heinrich Mussinghoff“

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