Jan Fleischhauer / 03.12.2009 / 02:32 / 0 / Seite ausdrucken

Demokratischer Unrechtsstaat

Von Jan Fleischhauer

Eines der grundlegenden Probleme bei der nachträglichen Befassung mit der zweiten deutschen Diktatur ist ihr Diktaturcharakter. Schon den Hinweis auf diesen empfinden viele, die sich der DDR verbunden fühlten und wohl immer noch fühlen, als abwertend, um nicht zu sagen als “diskriminierend”. Vielleicht sollten wir uns zum 20. Jahrestag des Mauerfalls einfach darauf verständigen, nicht mehr so offen von Diktatur zu reden; auf jeden Fall sollte man das Wort “Unrechtsstaat” vermeiden, weil dieses als besonders kränkend empfunden wird, wie sich gerade wieder auf dem Parteitag der Linken im thüringischen Schleiz beobachten ließ.

Es habe wohl Unrecht in der DDR gegeben, aber das gelte auch für andere Staaten wie die Bundesrepublik, erklärte dort der Erfurter Delegierte Hendrik Volkert unter großem Beifall der Versammelten. Er lasse sich nicht einreden, dass die DDR kein Rechtsstaat gewesen sei; sie habe eine Verfassung und ein Parlament gehabt, die vom Volk gewollt gewesen seien: “Die DDR ist ein Teil von mir und wird es bleiben”, fügte Volkert hinzu, womit nicht nur eine biographische Festlegung gemeint war.

Die Abgeordnete Ina Leukefeld liess sich auf selbiger Veranstaltung mit dem Satz vernehmen, sie werde die DDR keinesfalls einen Unrechtsstaat nennen, da dies auf die “Delegitimierung der DDR” hinauslaufe und auf die “Diskriminierung von 17 Millionen Menschen”. Als ein weiterer Delegierter von Chemnitz konstant als “Karl-Marx-Stadt” sprach, weil er dies offenbar so gewohnt war und auch keinen Grund sah, die Angewohnheit nach 20 Jahren Bundesrepuplik abzulegen, sah sich der Fraktionsvorsitzende der Linken im thüringischen Landtag, Bodo Ramelow, zu dem Hinweis genötigt, dass er nicht auf diesem Parteitag stehen würde, wenn es Karl-Marx-Stadt noch immer gäbe. Ramelow stammt aus dem Westen der Republik, wo er eine vorbildliche Gewerkschaftskarriere hinlegte, bevor er sich den Linken anschloss und dann mit diesen bei der letzten Landtagswahl 27,4 Prozent der abgegebenen Stimmen holte. “Verhaltenen Beifall” notierte der Korrespondent der “FAZ”, dem wir die Überlieferung obiger Zitate verdanken, an dieser Stelle.

Doch wie sollen wir die DDR nun nennen? Einen halben Rechtsstaat? Einen Vorläuferstaat? Nennen wir sie einfach eine unfertige Demokratie, das sollte auch bei den Genossen Volkert und Leukefeld keinen Anstoß erregen.

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