Wolfgang Röhl / 24.04.2020 / 06:03 / Foto: Pixabay / 54 / Seite ausdrucken

Das große Verbots-Experiment

Anno 1920, in Deutschland scheiterte der Kapp-Putsch, machte sich das schon damals mächtigste Land des Westens daran, einem Laster Einhalt zu gebieten, das von vielen als epidemisch empfunden wurde. Der Volstead-Act, 1919 beschlossen durch eine Mehrheit der Bundesstaaten, trat im Jahr darauf in Kraft. Das Gesetz war das gigantischste Trockenlegungsprojekt der Geschichte. 

Verboten waren fortan Verkauf, Produktion und Transport von Getränken mit einem höheren Alkoholgehalt als 0,5 Prozent. „Die Herrschaft der Tränen ist vorbei“, jubelte ein Aktivist der Prohibitionsbewegung, der prominente Evangelist John Barleycorn. „Die Slums werden bald nur noch Erinnerung sein.“ Denn als Hauptursache von Kriminalität, häuslicher Gewalt, Armut, Krankheit oder gar Selbstmord galt vor allem den protestantischen Christenmenschen der Suff. Um ihn auszurotten, hatte man das Noble Experiment beschlossen – so wurde das Vorhaben mit heiligem Ernst getauft.

Das Experiment lief nicht sehr lange. Es erwies sich als nicht wirklich durchführbar. Das Gesetz wurde auf vielfältige Weise umgangen, ignoriert, hintertrieben. Es war schreiend ungerecht, es hatte katastrophale Nebenwirkungen. Daher wurde es immer unpopulärer. Erst recht in der Wirtschaftskrise nach 1929, als klar wurde, dass Amerika wichtigere Probleme hatte als den gemeinen Rausch.

Nach Volksabstimmungen in den Bundesstaaten wurde die Prohibition 1933 landesweit abgeschafft. Das Lager der „Wets“ feierte den Sieg über die „Drys“ unter Absingen des Liedes „Happy Days Are Here Again“, so etwas wie die Parteihymne der Demokratischen Partei (in Deutschland von den „Comedian Harmonists“ als „Wochenend und Sonnenschein“ gecovert). Allerdings bestand die Prohibition in einigen Staaten abgeschwächt fort, in Mississippi bis 1966.

Eine religiös unterfütterte Bewegung

War das Verbot prinzipiell eine vernünftige Idee? Tatsächlich war Alkoholmissbrauch vor allem in städtischen Unterschicht-Milieus („Salooning“) während des 19. Jahrhunderts ein Problem. Allerdings kein derart gravierendes wie in England hundert Jahre zuvor, Stichwort Gin Lane. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als die Abstinenzbewegung immer stärker wurde, war die kollektive Betäubungswelle in Amerika bereits abgeflacht.

Über den langjährigen Kampf der Alkoholgegner und ihre Motive ist emsig geforscht worden. Es handelte sich wohl hauptsächlich um eine religiös unterfütterte Bewegung, welche das weiße, evangelikal-protestantische, puritanische Amerika gegen die seit etwa 1850 millionenfach einwandernden trinkfreudigen, katholischen Fremdlinge verteidigen wollte, zum Beispiel gegen Osteuropäer, Deutsche, Italiener, Iren. Ein Sitten- und Kulturkampf mit teils rassistischen Untertönen. Auch der Ku-Klux-Klan mischte mit.

Und natürlich war einer der Ikonen des entwickelten Kapitalismus, der Autokönig Henry Ford, glühender Anhänger der Prohibition. Trunkene Arbeiter mussten ihm ein Gräuel sein. Er selber behauptete freilich, seine Abneigung rühre daher, dass „ich meine Autos nicht in die Hände einer Generation geben will, die vom Alkohol durchweicht ist.“

Der Durchbruch für die Trockenheitsapostel kam 1917, mit dem Kriegseintritt der Amerikaner. Ab jetzt, hieß es, durften keine Agrarprodukte mehr für Alkoholika wie Bier verschwendet werden. Die antideutsche Stimmung bereitete den Boden für die Zerschlagung der Großbrauereien, fast ausnahmslos von Deutsch-Amerikanern betrieben. Der aufstrebenden Coca-Cola-Company kam das gelegen. Kurz, hinter der Prohibition stand ein kunterbunter Strauß von Interessen.

In Europa verbindet man die Prohibition vor allem mit dem Aufkommen der Mafia. Was damit zu tun hat, dass ungezählte Filme furiose Bandenkriege zum Thema hatten, die sich Polizisten und Mafiosi lieferten oder die italienische, irische und jüdische Mobster untereinander ausfochten. Schon die 1930er Jahre brachten großes Gangsterkino. Als taffe Mafiabosse wurden Schauspieler wie Edward G. Robinson oder James Cagney zu Leinwandstars. 

Bekanntlich wurde Amerika die Mafia nie mehr los

Kevin Costner glänzte noch 1987 als Mafiaschreck Eliot Ness in „Die Unbestechlichen“. Der Topos Chicago als Synonym für Mord & Totschlag hat seinen Ursprung in diesen realen Mythen. Die großkalibrige „Tommy Gun“, eine formschöne, für den 1. Weltkrieg entwickelte Maschinenpistole, fand in ihrer Version mit dem großzügig munitionierten Rundmagazin bei diversen Massakern Verwendung und ging folgerichtig auch in die fiktiven Kintopp-Schlächtereien ein. Clyde Barrow alias Warren Beatty ballert damit im legendären Killerepos „Bonnie und Clyde“ um sich, das kurz nach der Prohibitionszeit spielt. 

Bekanntlich wurde Amerika die Mafia nie mehr los. Als nach dem Ende der Prohibition nicht länger Geld durch Alkoholschmuggel zu holen war, verlegte sich die organisierte Kriminalität auf andere Geschäftsfelder, vor allem auf Drogen. Weniger bekannt ist, was die Trockenzeit sonst noch anrichtete.

Zu den physischen Folgen gehörten massenhafte Schäden an Lebern und anderen Organen, die gepanschtem oder gar toxischem Gesöff ausgesetzt waren. „Jake Foot“, eine Lähmung von Fuß- und Handmuskeln durch synthetischen Sprit, befiel allein im Jahr 1930 schätzungsweise 15.000 Personen. 

Selbstredend waren davon nur weniger Betuchte betroffen. Wer genug Geld hatte, ließ sich erstklassigen Stoff kommen, der aus Kanada oder Mexiko stammte. Überhaupt musste während der Prohibitionszeit niemand darben, der zu den besseren Kreisen gehörte. Im Gegenteil, die Zwanziger röhrten auch und vor allem in Amerika, wie es F. Scott Fitzgerald in „Der große Gatsby“ opulent ausgemalt hat.

Was sich fundamental änderte: Die meisten Leute, die während der Prohibitionszeit ausgingen, ließen sich nunmehr vorsätzlich volllaufen. Im Speakeasy, der verbotenen, aber allgegenwärtigen Flüsterkneipe, suchte man Dröhnung, nicht Genuss. Es wurde kaum noch Bier oder Wein, dafür hartes Zeug gekippt. Schwachprozentiges anzubieten, lohnte sich für die meisten Schwarzbrauer und Transporteure nicht. 

Ausdrücklich zur Denunziation ermuntert

Auch Frauen gewöhnten sich nun ans Trinken. „1910 war dies noch Männersache“, besagte eine US-Studie über die Trinkgewohnheiten jener Zeit. „Ab 1920 änderte sich das.“ In dem Jahr wurde in Amerika flächendeckend das Frauenwahlrecht etabliert. Eine Ironie bestand darin, dass die 1873 gegründete Prohibitionsbewegung „Womans Christian Temperance Union“ letztlich dafür sorgte, dass später auch Frauen die verruchten, irgendwie hippen Speakeasys frequentierten.

Doch das war längst nicht alles. Das ehrenwerte Experiment erzeugte neben gewaltigen Löchern im Steuersäckel auch heftige moralische Kollateralschäden, in puncto Gesetzestreue geradezu eine Erosion. 

Denn die enormen Profite, welche Hersteller, Verteiler und Kaschemmenwirte illegal generierten, flossen notwendigerweise zum Teil in die Korruption. Politiker, Beamte und kleine Polizisten mussten bestochen werden, denn das Treiben der schwarzen Alkoholwirtschaft war oftmals nicht zu übersehen. Es gibt Kulturkritiker, die das bis auf den heutigen Tag miserable Ansehen der Cops bei Teilen der Bevölkerung auch als eine Spätfolge der Prohibitionszeit deuten. 

Natürlich waren nicht alle Offiziellen geschmiert. Das Finanzministerium beschäftigte gegen Ende der 1920er 4.000 Fahnder und Undercover-Agenten, die den Teufel Alkohol austreiben sollten. Als Aktionsbelege geknipste Fotos von Razzien, ausgehobenen Destillen und zerschlagenen Schnapsfässern finden sich zuhauf in Archiven. 

Für die Aktionen benötigte man auch die Mithilfe der nichttrinkenden Bevölkerung. Sie wurde ausdrücklich zur Denunziation ermuntert. Nach Hinweisen fiel die Polizei schon mal mit der Tür ins Haus: 

„Wer Pech hatte, konnte für den Kauf einer Flasche Whiskey ins Gefängnis wandern. Bürgerrechtler beklagten, dass sich die Strafverfolgungsbehörden immer mehr Befugnisse anmaßten. Willkürliche Verhaftungen und Hausdurchsuchungen ohne richterliche Genehmigung, die Beschlagnahme von Privateigentum, Bespitzelung, das Abhören von Telefonen – im Kampf gegen den Alkohol war vieles erlaubt, was in krassem Widerspruch zu den freiheitlichen Traditionen des Landes stand“, so die „Zeit“ zum 100. Jahrestag des ehrenwerten Experiments.

Foltern, auspeitschen, tätowieren

Die Aufforderung eines Blattes an seine Leser, Vorschläge für die Behandlung von Prohibitions-Brechern zu machen, gestattete Einblicke in die Abgründe von Abstinenzlerseelen: 

An der Zunge unter ein Flugzeug hängen und über die Vereinigten Staaten fliegen.

Vergifteten Schnaps durch Schwarzhändler verteilen lassen.

Trinkern die Ehe verbieten.

Trinker in flaschenförmigen Käfigen auf öffentlichen Plätzen ausstellen.

Foltern, auspeitschen, tätowieren, mit Brandzeichen versehen oder sterilisieren.

Soweit gehen nicht mal bestimmte Inspirationen, die auf „Taz“-Foren aufpoppen, wenn es etwa um das schändliche Treiben von Klimaleugnern geht. Oder um den alltäglichen Rassismus, um die Nazis in der Mitte der Gesellschaft. Obwohl, einige Vorstellungen im Kinderstürmer sind auch nicht ohne. More to come!

Gibt es im Jahr 2020 etwas zu lernen von anno 1920? Nicht auf den ersten Blick. Ein Virus ist ja keine gesellschaftliche, sondern eine biologische Entwicklung. Aber es geht leider auch in die Oberstübchen. Notorischen Weltrettern läuft angesichts der aktuellen, angeblich alternativlosen Notstandsmaßnahmen das Wasser im Mund zusammen. Sie sehen schon herrliche Zeiten aufziehen: 

Die Coronakrise hat innerhalb weniger Tage alles verändert. Das zeigt: Rasche politische Maßnahmen sind sehr wohl möglich, wenn es notwendig ist. Muss das nicht auch in der Klimakrise gelten, die ein noch viel größeres Risiko darstellt? 

Wetten dass: Sobald die medizinische Krise vorbei ist, beginnt ein Kulturkampf um Verbote. Hoffentlich geht er so aus wie damals in Amerika. 

Foto: Pixabay

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Karsten Dörre / 24.04.2020

Das Corona-Virus wird uns noch eine ganze Weile beschäftigen, unkt im “Focus” Prof. Harald Lesch, mittlerweile zum Überdisziplinär-Wissenschaftler mutiert. Da kann ich philosophisch hinzufügen, auch Leben und Tod werden uns noch eine Weile begleiten.

HaJo Wolf / 24.04.2020

Hier ist Deutschland, das Land der kadavergehorsamen Lemminge, Atomkraftgegner und Klimakatastrophenhopser. Hier würden Flüsterkneipen pleite machen, dafür aber die Zahl der Denuntianten rasant steigen (über 200 Anzeigen wegen Verstößen gegen das Kontaktverbot gehen täglich bei der Kölner Polizei ein!). Jeder hat Möglichkeit, sich über den Unsinn der Lock-down Maßnahmen zu informieren und sich offen dagegen zu stellen. Jeder weiß, dass Merkel mit Diktatur und Rechtsbruch herrscht. Und nicht passiert. Merkel darf ungestört und ungestraft ein ehemals blühendes Land ruinieren.

Wolfgang Nirada / 24.04.2020

Neben der italienischen, russischen, chinesischen und vietnamesischen Mafia, neben etlichen arabischen kriminellen “Clans” macht sich nun auch verstärkt die nigerianische Mafia in Deutschland breit… Ob das an den Drogenverkaufszonen liegt oder daran daß deutsche Gutmenschlein exzessiv moralisches Komasaufen betreiben und somit von sich selbst dauerbesoffen sind???

Werner Forres / 24.04.2020

Eine Parallele von staatlichem Verbot und massenhafter Umgehung desselben konnte man bereits am Horizont aufziehen sehen. Aus diesem Grund haben es die hohen Herrschaften auch nicht auf eine Konfrontation ankommen lassen und deshalb pünktlich zum RAMADAN das Versammlungsverbot offiziell aufgehoben, dort wo das Verbot noch formell besteht wird auch garantiert nicht eingegriffen. Als ein mögliches Verbot für die Zukunft könnte ich mir vorstellen, dass Pflegeheime und Krankenhäuser Besuchszeiten dauerhaft eingeschränkt lassen, wegen einem “latenten” Ansteckungsrisiko. Das heißt, das u.a. Kinder und Enkel ihre Großeltern nicht mehr sehen dürfen aufgrund von fadenscheinigen Begründungen. Der Pfleger muss nur behaupten: “Wir haben derzeit keine Tests und Ihr Negativtest ist ja schon eine Woche alt. Das Risiko ist uns zu groß.” Wäre auch mal interessant zu erfahren, wie viele Pflegeheim-Audits verschoben oder per Videokonferenz durchgeführt wurden. Anstatt mit Verboten wie zu Zeiten der Prohibition wird in diesem Fall der Staat aber eher mit Pflichten hantieren: Maskenpflicht, Impfpflicht, Impfausweispflicht, Quarantänepflicht, Selbstzahlpflicht für Tests, Corona-App-Pflicht, Reisevoranmeldepflicht, Antikörper-Blutspendepflicht, ... man sieht, das nimmt gar kein Ende.

Dr. Joachim Lucas / 24.04.2020

Letztlich hätte man bei der Prohibition die Gärung verbieten müssen. Das Gleiche gilt für Corona. Verbietet endlich die Viren. Schlimmer ist das, was die immer autoritären Linken daraus machen wollen. Verbote. Sie kennen nichts anderes. Der Irrsinn der Prohibition läßt sich sehr schön in der sehr vergnüglichen Dokumentation von Ken Burns “Prohibition” betrachten. Und so wäre es wohl auch bei einer “Covidition”. Einschränkung der Bürgerrechte, ran ans Vermögen, rein ins Sozialismusvergnügen, Kampf gegen die menschliche Natur. Und die Überwacher leben schön weiter wie die Schweine auf der “Animal-Farm”.

Dr. Klaus Rocholl / 24.04.2020

„ ...  galt vor allem den protestantischen Christenmenschen“ Hmmm - wo habe ich das nur schon mal gehört ... Merkel, ... Göring-Dingenskirchen, ... Bedford-Strohm, ... Kirchentag, ... wie heßen „Muttis“ ganze Betschwestern noch gleich? Die Seuche ist dieselbe - nur die Obsession ist diesmal eine andere. Das Problem heißt - wieder mal: evangelische Bigotterie!

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